Der Bus fährt brausend hinter mir weiter. Ich presse den Korb voller Schoko-Muffins enger an meinen Körper. Vor mir erhebt sich ein massives, rechteckiges Gebäude. "Feuerwehr – Wache Süd" steht in roter Schrift auf der Wand. Das Tor zu den Feuerwehrautos ist heruntergefahren. Der Platz ist leer.
Hier scheint niemand herumzulungern. Ich schlucke leer und wage es, die Einfahrt zu durchqueren und nach dem Personaleingang zu suchen. Wie kommt man in dieses Gebäude, wenn man keine Feuerwehrfrau ist?
„Hallo? Ist da jemand?", rufe ich nicht besonders laut.
Keine Antwort.
Ich gehe am grossen Tor entlang, bis ich die Ecke des Gebäudes erreiche. Gleich dahinter gibt es eine rote Tür, die etwas schäbig aussieht, aber doch an einen Eingang erinnert. Ich versuche mein Glück und ziehe sie auf.
Eine lange, enge Treppe führt in den ersten Stock. Ein ungutes Gefühl beschleicht mich, als ich die Stufen hochsteige. Theoretisch gesehen begehe ich gerade Hausfriedensbruch und mache mich strafbar. Und das alles wegen eines vermissten Feuerwehrmannes.
„Hallooo-ooo?", sage ich ein zweites Mal, als ich das Obergeschoss erreiche. Unweit von mir befindet sich eine weitere Tür, die leicht angelehnt ist. Daraus höre ich Männerstimmen. Viele Männerstimmen.
Ich werde automatisch nervöser. Wenn Chris wirklich da ist, was werde ich sagen? Wie werde ich erklären, dass ich ihm Muffins gebracht habe? Meine Geburtstagsmuffins, um genau zu sein. Wofür bringe ich ihm die eigentlich? Dafür, dass er mir nicht mehr schreibt?
Plötzlich fühle ich mich doof und ich will schon auf dem Absatz kehrtmachen, da wird die Tür aufgerissen und das schöne Gesicht von Chris erscheint im Türrahmen. Mein Herz bleibt wie auf Kommando stehen.
„Da hat doch jemand geru–", will er sagen, aber er hört mitten im Satz auf zu sprechen, als er mich sieht. Und erkennt.
„Emma? Was machst du hier?", fragt er und kommt ganz aus der Tür. „Alles in Ordnung?
Er trägt ein weisses T-Shirt zu seiner Uniformhose, die ihm locker an der Hüfte liegt. Die Hosenträger hängen seitlich herunter. In seinem Gesicht liegt ein sorgenvoller Ausdruck, der mich überrascht.
„Äh nein, alles gut. Du hast nicht mehr geschrieben", beginne ich und bereue es sofort, das als Erstes gesagt zu haben.
Warum kann ich mich nicht wie ein gottverdammter, normaler Mensch benehmen? Wahrscheinlich habe ich alles mit diesem einen Satz verbockt.
„Oh ...", sagt Chris und kratzt sich dabei verlegen am Hinterkopf, „das ist mir etwas untergegangen. Am Wochenende war Emil bei mir. Da hatte ich keine Zeit, um auf mein Telefon zu schauen. Und dann wurde er auch noch krank und wollte nicht zu seiner Mutter nach Hause, also musste ich Montag und Dienstag auf ihn aufpassen. Tut mir leid. War alles bisschen viel mit der Arbeit."
„Ah", stosse ich aus, denn ich weiss nicht, was ich dazu sagen soll.
Meine Egozentrik ist mir peinlich. Jetzt fühle ich mich schlecht. Dafür, ihn so verteufelt zu haben und ihm fiktive Vorwürfe gemacht zu haben, mich zu vernachlässigen. Dabei hat er bloss seine Vaterpflichten wahrgenommen. Die Sorte von Pflichten, die durchaus wichtiger sind, als sich um mich zu kümmern.
Chris' Blick fällt auf die acht Muffins in meinem Korb. Er runzelt die Stirn. Ich versuche mich weiter zu erklären, ohne die Sache noch unangenehmer zu machen:
„Ich wollte nicht stören. Ich ... ich wollte bloss vorbeischauen und euch meine Geburtstagsmuffins bringen. Die kann ich nicht alle alleine essen, das wäre für meinen Blutzuckerspiegel wirklich nicht gut. Da müsstet ihr dann zu mir nach Hause ausrücken, um mich aus meinem Zuckerkoma zu holen und das wäre absolute Geld- und Zeitverschwendung. Besser ihr rettet alte Menschen über den Zebrastreifen. Oder Hunde aus der Kanalisation."
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Herzbruchversicherung
ChickLitAls Emma eines Tages in der Schleuse ihres Arbeitgebers stecken bleibt und beinahe schon ein Testament ihrer Freundin per WhatsApp schreibt, lernt sie den reifen Feuerwehrmann Chris kennen, der sie aus der Situation rettet. Tage später, nachdem Emma...