Ein knappes Jahr später
(Chris)
Ich sitze mit Emil auf dem Asphalt. Unsere Füsse baumeln über dem wiegenden Wasser. Die Hitze des Bodens ist selbst durch den dicken Stoff unserer Shorts zu spüren. Wir betrachten in aller Ruhe die Fischerboote, wie sie in den winzigen Hafen von Centuri einfahren. Es ist ein verdammt heisser Tag auf Korsika, aber die sanfte Meeresbrise, die uns um den Nacken spielt, kühlt genügend.
„Siehst du das", sage ich an meinen Sohn gerichtet und deute zu den kleinen Koggen, die mit qualmenden Motoren ankommen. „Das sind Langustenfischer."
Emil folgt meinem Blick und kneift die Augen zusammen. Er mustert die alten Korsen fasziniert, wie sie mit braungebrannten Armen und einst weissen, stark beschmutzten T-Shirts ihre Körbe vom Bug an Land hieven.
„Was sind Langusten, Papi?", will Emil wissen und reckt den Kopf seitlich zu mir hoch.
„Langusten sind wie Krebse, nur länger und dunkler in ihrer Farbe", antworte ich ihm.
„Haben die auch so Zangen und eklige Beine?", höre ich Emma hinter uns fragen. Sie ist endlich von unserer Unterkunft zurückgekehrt.
Emil verzieht sein Gesicht zu einer Grimasse beim Gedanken an Krabbelbeine. Er streckt die Zunge raus und kreischt laut: „BÄÄÄÄH!". Genau wie ich, ist er von Kreaturen, die mehr als vier Beine besitzen und sich in dunklen Ecken verstecken, nicht so begeistert.
„Ah, du bist zurück!", begrüsse ich meine Freundin und erhebe mich.
Den Staub des Bodens klopfe ich mir von den Shorts. Hier ist es so trocken. Uns wurde gesagt, dass dieser Sommer in Korsika besonders regenarm war, weshalb die Insel an einer akuten Dürre leidet. Nichtsdestotrotz ist es hier wunderschön.
Ich war selbst zwar oft in Frankreich, hatte es aber noch nie bis nach Korsika geschafft. Es war Emmas Idee und ich muss ehrlich gestehen, ich bin begeistert. Alleine schon die Reise hierhin war atemberaubend. Über die Alpen, durch die Lombardei bis ans ligurische Meer.
Sie brachte den Vorschlag, als ich ihr zu ihrem Geburtstag eine Reise mit Emil und mir schenkte.
Korsika ist unser erster gemeinsamer Urlaub. Nachdem Emma ihren Job an den Nagel gehängt hatte und sich eine Zeit lang neu orientierte, war eine Reise für uns einfach nicht möglich. Nun ist es aber offiziell: Emma startet nächsten Monat in ihrem neuen Job als Praktikantin in einer kleinen Marketingagentur und so beschloss ich, ihr dieses Geschenk zu machen.
Für eine Person, die noch nie wirklich gereist ist, war ich erstaunt zu hören, dass sie einen solch spezifischen Ort wählen wollte. Den Grund, weshalb sie dieses verschlafene und vom Tourismus kaum berührte Städtchen auf der rauen Insel kannte, wollte sie mir nicht verraten.
„Hast du dich eingecremt?", forsche ich nach, denn mit ihrer Porzellanhaut holt die sich garantiert nach fünf Minuten einen Sonnenbrand.
Erst letztens musste ich ihren ganzen Körper mit einer After-Sun Lotion einschmieren, weil sie in meinem Garten in der Sonne eingeschlafen war.
„Von Kopf bis Fuss", sagt sie und macht einen Schmollmund.
Ich grinse. Sie hat wohl darauf gehofft, mal braun zu werden.
„Ich will ja nicht, dass du so rot wie die Krebse wirst, die wir heute essen wollen", gebe ich ihr zu verstehen.
Sie nickt und stellt sich auf die Zehenspitzen, um ihre wundervoll weichen Lippen auf meine zu drücken. Ich liebe es, wenn sie sich meine Zuneigung ungefragt holt. Ihre dunklen Augen schimmern fordernd im Licht der Sonne. Diese zwei Haselnüsse haben mich sofort umgehauen, seit dem ersten Mal, als die mich so erwartungsvoll und mit einem Hauch von Belustigung gemustert haben.

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Herzbruchversicherung
ChickLitAls Emma eines Tages in der Schleuse ihres Arbeitgebers stecken bleibt und beinahe schon ein Testament ihrer Freundin per WhatsApp schreibt, lernt sie den reifen Feuerwehrmann Chris kennen, der sie aus der Situation rettet. Tage später, nachdem Emma...