Make-up? Kein Make-up?
Sonst hatte ich nie Make-up aufgetragen. Wieso auch? Schließlich war ich so ziemlich die Einzige, die meine Eltern zu Gesicht bekamen. Doch jetzt, wo ich das Interesse der Clique geweckt hatte, wollte ich unbedingt eine von ihnen sein. Und dazu gehörte nun einmal auch das Aussehen.
Ich entschied mich für etwas grauen Lidschatten, der nicht sonderlich zu erkennen war und leichtes Puder auf den Wangen, in der Hoffnung, nicht wegen meiner Röte aufzufallen, sobald ich Oliver sehen würde.
Der Kleiderschrank gab das Freizügigste her, das ich besaß. Ein rot kariertes Top mit Spaghettiträgern und eine kurze Hose, die mir gerade so über die Hüfte reichte. Ich hatte sie noch nie zuvor getragen, vielleicht einmal. Sie war eher eine Reserve, wenn die Sommer auf dem Wasser zu heiß wurden. Für gewöhnlich fand man mich aber nur in Badekleidung vor.
Es machte mich zwar noch lange nicht zu einer von ihnen, doch es kam dem sehr nah. Vielleicht hatte ich ja eine Chance, mich noch einmal zu beweisen.
***
Die Stunden zogen sich in die Länge. Man hätte meinen können, die Zeiger der Uhr bewegten sich eine Minute weiter, nur um dann wieder in ihre ursprüngliche Position zurückzufallen. Heute wurden nur Fächer unterrichtet, die ich nicht besonders willkommen hieß. Darunter Mathematik und Chemie.
Mein Blick verweilte beim Fenster, das mir einen Blick auf den Schulhof bot. Dort, wo ich schon in wenigen Minuten als Halbteil der Beliebten stehen würde. Ich konnte es kaum noch abwarten.
Leider war ich eine Klasse unter ihnen, sodass ich nicht den ganzen Tag mit ihnen verbringen konnte. So sehr wünschte ich mir, dass ich schon siebzehn wäre. Nur in Literatur und Geschichte hatte ich die Möglichkeit, den Altersunterschied kurz zu vergessen.
Wieder einmal schob ich mich über den überfüllten Flur, doch ich wurde früher als die meisten erlöst, als mich die Biegung zur Wiese der Beliebten ereilte. Mit Freude schlenderte ich selbstbewusst mit meinem Rucksack auf einer Schulter zu den anderen, die entspannt dasaßen. Cathrin mit einer Sonnenbrille in den Himmel blickend, sodass sie mich nicht kommen sah.
Oliver erkannte mich hingegen sofort und kam mir lächelnd entgegen, um mich freudig zu begrüßen. Auch Ethan, Jay, Dan, Scarlett und Aria bemerkten meine Anwesenheit und strahlten übers ganze Gesicht.
Erst als Oliver mich mit einem einfachen Hey begrüßte, blickte auch schließlich Cathrin verstohlen zu mir und schob die Sonnenbrille etwas höher auf die Nase.
"Hey. Seid ihr schon lange hier?", wollte ich spontan wissen. Schließlich ärgerte ich mich selbst über diese überflüssige Frage.
"Nein. Wir sind auch erst gerade gekommen", versicherte mir der Schwarzschopf und deutete auf seine Freunde hinter sich, die uns amüsiert beobachteten.
Für einen kurzen Moment verweilten wir so und schauten uns gegenseitig in die Augen. Ich vergaß kurz die Welt um uns herum.
Erst als Cathrin uns zurief, dass wir endlich zu den anderen stoßen sollen, lösten wir unsere Blicke voneinander. Innerlich keimte in mir sofort der Gedanke auf, dass sie uns nur zu sich zitierte, um uns weiterhin zu kontrollieren.
Trotzdem kamen wir ihrer Aufforderung langsam nach und gingen wieder zurück. Ein paar Meter, bevor wir den Platz erreichten, flüsterte Oliver mir verstohlen zu: "Du siehst anders aus. Gefällt mir", ohne, dass irgendjemand außer mir es hören konnte. Diese Worte waren nur für meine Ohren bestimmt gewesen.
Ein breites Lächeln legte sich auf meine Lippen, sodass es eigentlich auffallen musste, was in meinem Kopf gerade abging. Doch keiner reagierte darauf.
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See the truth | ✓
Teen FictionJennifer denkt nicht im Entferntesten daran, dass sich ihr Leben um hundertachtzig Grad drehen könnte. Ihre Heimat segelte zuvor immer auf den Wellen. Nach ihrem Umzug in die Kleinstadt Elizabeth City gerät ihr vorgeplantes Leben auf den Weltmeeren...