Mein Kopf war leer. Ich hatte bereits alles auf ein Blatt Papier gekritzelt, was ich über das Attentat von Sarajevo wusste - und nun war alles, was ich mir über zwei Wochen erarbeitet hatte, aufgeschrieben und wartete auf seinen Einsatz in der Präsentation.
Oliver streckte sich auf seinem Platz, bevor er sich wieder in gekrümmter Haltung seinem Handy widmete, als hätte er bis jetzt die ganze harte Arbeit alleine geführt. - Doch aus irgendeinem Grund war ich nicht sauer oder beleidigt von seinem Verhalten. Das lag vielleicht daran, dass ich mir immer noch unschlüssig mit der Entscheidung war, ob da wirklich mehr als nur Freundschaft oder es tatsächlich nur eine alberne kindische Schwärmerei war. Es hätte mir den Kopf zerbrechen müssen. Luke hatte mir erst richtig deutlich gemacht, dass ich mir selbst nicht sicher war, was dort zwischen Oliver und mir vor sich ging. Alleine die Unsicherheit, ob Oliver etwas für mich empfand, müsste mich ins Grab befördern.
Ich wollte ihn zu gerne fragen, ob er so fühlte wie ich. Doch irgendwie wollte ich es auch nicht - zumindest noch nicht. Ich wäre nicht bereit für eine Antwort von ihm, die mich verletzen würde.
Meine Stimmungsschwankungen, die meine Motivation an der Arbeit nicht gerade förderten, waren im Augenblick wie ein Stück Papier, das vom Wind hin und her getragen wurde oder wie der Mond, der sich monatlich in seiner Bahn wandelte. So unterschiedlich und schnell wechselbar, unvorhersehbar und unplanbar.
In einem Moment fand ich genug Mut in mir, um ihn diese eine wichtige Frage zu stellen. - Im nächsten Moment verpuffte dieser aber einfach in der Luft und war bis fortan nie mehr gesehen. In diesem Augenblick fehlte dieser Mut zu fragen, weshalb ich lieber über die Ecken des Blattes strich und Eselsohren hinein formte.
"Ich hab gehört, dass du morgen beim Cheerleading mitmachst", brach Oliver die Stille zwischen uns, wobei er jedoch nicht den Blick von seinem Handy riss.
"Ähm...ja. Da ist so eine Sache zwischen Cathrin und mir. Ist kompliziert. Jedenfalls ja. Ich probiere es morgen mal aus."
"Hört sich gut an. Freue mich schon drauf, dich in der Halbzeit an der Seite des Feldes zu sehen, wie du dein Cheerleadingzeugs durchziehst", meinte er und schaute kurz hoch. Seine Augen funkelten wie tausend Sterne in den Tiefen eines klaren Gewässers. Es verzauberte mich immer wieder, wie diese Augen seine Umgebung wahrnahmen und dabei so unfassbar schön aussahen.
Ich zuckte kurz mit den Schultern: "Ist nichts Großes. Ich meine, wenn ich das freiwillig aus Spaß machen würde, hätte Cathrin mich sicherlich niemals in ihr Cheerleadingteam gelassen. Also ich meine, es macht schon Spaß, aber es ist halt nichts Besonderes."
Erst nachdem ich es ausgesprochen hatte, bemerkte ich, wie dämlich sich das gerade angehört haben musste. In meinem Kopf hatte es sich definitiv besser angehört.
Die wärmenden Sonnenstrahlen schienen durch das Fenster hindurch und warfen Schatten meiner Hand auf das Papier, in der ich einen Kugelschreiber in den Fingern nervös drehte und ihn dabei beobachtete.
"Du wirst bestimmt fantastisch sein", redete er weiter und ließ mir sofort einen kalten Schauer über den Rücken laufen: "Aber pass mit Cathrin auf. Sie liebt es, Leute zu verarschen und bleibt dabei ziemlich gefühlskalt und nimmt keine Rücksicht."
"Wirst du jetzt schon zu Luke?", schoss es aus mir heraus, gefolgt von einem Lachen. Ich hatte nicht über meine Worte vorher nachgedacht und so geschah es, dass ich das Thema wieder aufwühlte, über das ich eigentlich den Schleier des Vergessens ziehen wollte. Ich hatte gehofft, Oliver hätte die Worte, die an dem Abend über Luke gefallen sind, längst vergessen. Nun schnitt ich das Thema selbst wieder an.
Mit einem Räuspern versuchte ich, meine Frage irgendwie so gut es ging rückgängig zu machen oder zumindest sie zu überspielen. Oliver zog wieder dieses unbeschreibliche Gesicht. - Die Augenbrauen streng zusammengezogen, kein einzelner Muskel zu irgendeiner Geste bewegt, was die Mundwinkel betraf.
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See the truth | ✓
Teen FictionJennifer denkt nicht im Entferntesten daran, dass sich ihr Leben um hundertachtzig Grad drehen könnte. Ihre Heimat segelte zuvor immer auf den Wellen. Nach ihrem Umzug in die Kleinstadt Elizabeth City gerät ihr vorgeplantes Leben auf den Weltmeeren...