20 - Und weg...

53 5 31
                                    

Dieser Morgen war anders als alle bisherigen. Ich war sauer und enttäuscht von meinen Eltern, wie sie es einfach wagen konnten, Quantum zu verkaufen. Die vorherigen Tage hatten keine Chance gehabt, diese Wut auf sie zu mildern. Immer wieder fragte ich mich, wie sie es selbst übers Herz gebracht hatten, ihr langjähriges zu Hause einfach so aufzugeben.

Ich saß im Schneidersitz am Bug von unserem Boot, das nur noch wenige Stunden in unserem Besitz sein würde und dachte über alles mögliche nach. Von dem neuen Besitzer, der Quantum kaufen und vielleicht sogar umbenennen würde, bis hin zu Mom und Dads Geschichte, wie sie sich vor Jahren gefunden und sich zusammen ihr zu Hause auf dem Meer gekauft hatten - hin und weg von der Pracht dieses alten Bootes.

Es war ein heißer Sommer gewesen, genau wie dieser. Man könnte nun meinen, es wäre nur eine harmlose Sommerliebe gewesen, die an der abnehmenden Temperatur scheitern würde, sobald der Herbst kam - doch diese war die Liebe auf den ersten Blick.

Meine Mom hatte nach ihrem Schulabschluss nach neuen Abenteuern gesucht und hatte sich auf unerklärliche Weise auf einer Insel irgendwo vor Griechenland wiedergefunden.
Mein Dad hatte damals bereits ein kleines Segelboot, mit dem er die Meere abgefahren war.
Irgendwie waren sich die beiden begegnet und lernten zu lieben. Kaum hatten sie sich für ein Leben auf dem Wasser entschieden, kam ich auch schon auf die Welt.

Diese Geschichte hatten sie mir zumindest vor einigen Jahren erzählt. An genauere Details konnte ich mich nicht mehr erinnern.

Die frische Sommerbrise der Morgendämmerung kündigte den neuen Tag an, der heißer als der vorherige sein würde. Quantum würde in der Zeit fortgehen, in der ich in der Schule saß, sodass ich jetzt bereits Abschied von dem Boot nehmen musste. Mein Herz schien zu zerbrechen. So viele schöne Zeiten hatte ich hier erlebt. Quantum hatte praktisch miterlebt, wie ich aufgewachsen war.

Ich strich mit einer Hand über die Oberfläche des Decks. Der frische Lack glänzte in der wärmenden Sonne, den wir erst vor kurzem aufgetragen hatten. Es kam mir bereits wie eine halbe Ewigkeit vor, als ich noch nichts von dem Umzug gewusst hatte, nur davon, dass meine Eltern sich eventuell eine neue Arbeitsstelle suchen wollten.

Meine Stimmung ließ sich mit Verzweiflung und Trauer beschreiben - als würde ich darauf warten, dass ein sehr guter Freund von mir hingerichtet werden würde und dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis es so weit sein würde. Unvermeidbar und quälend zugleich - diese Zeit, die man ungeduldig abwartete, in der man mit dem Gedanken spielte, irgendetwas noch zu unternehmen, damit das herbeieilende Ereignis verhindert werden könnte.

Ich schaute kurz auf das Display meines Handys, nachdem ich es aus meiner Hosentasche gezogen hatte. Es war bereits halb acht.

Stöhnend und schwermütig erhob ich mich von meinem Lieblingsort und tat die letzten Schritte auf Quantum, um mein Board von drinnen zu holen. Dabei lief mir Mom noch einmal über den Weg. - "Ist noch etwas hier, das du im neuen Zuhause brauchst?"

Mich machte es ganz verrückt, wie sie von diesem Betonklotz sprach, als wäre es nur von kurzer Dauer.

"Nein, Mom. Alles perfekt! Tut einfach so, als wäre nichts und verkauft mein Zuhause! Alles prima!" - Diese Worte kamen einfach so ungesteuert aus meinem Mund. In dieser Sekunde fühlte es sich so richtig und gut an, einfach mal meine Meinung dazu abzugeben - doch nachdem die Worte ausgesprochen waren, bereute ich es sofort, sie gesagt zu haben.

Mein Dad hatte sich unauffällig eingemischt und beobachtete nun die Spannung zwischen Mom und mir. Ihr Gesichtsausdruck konnte ich bloß schwer deuten. Da lag irgendetwas aus Wut und Enttäuschung, aber auch irgendetwas aus...Mitgefühl?

Für einen Moment starten sie mich nur an, als hätte ich spanisch gesprochen. Erwarteten sie jetzt tatsächlich eine Entschuldigung von mir?

Ich winkte ab, weil es sowieso zu nichts Gutem führen würde oder es nur in einem riesigen Drama enden und mir das Gefühl geben würde, ich hätte etwas Falsches getan. Daraufhin würde ich mich entschuldigen, obwohl mir nichts leid tat und ich somit meine Eltern diesen Kampf um Quantum gewinnen ließ.

See the truth | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt