29 - Widerwillig abgelenkt

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Nun stand ich endlich hier. Nach zwei Wochen waren wir endlich bereit, die Geschichtspräsentation vorzutragen. Nach zwei Wochen voller harter Arbeit. Und nun machten sich die vielen Stunden harter Arbeit bezahlt.

Zitternd hielt ich die Karteikarten in der Hand und schaute mich in der Klasse um. Die Schüler, die dort gelangweilt saßen, waren mir recht fremd. Das erste und letzte Mal, an dem ich sie zur Abwechslung überrascht gesehen hatte, war als sie Oliver und mich zusammen in den Klassenraum eintreten gesehen hatten.

Misses Newberry lächelte wie immer und lehnte mit verschränkten Armen an der Wand am anderen Ende des Klassenraumes.

Ich blickte noch ein allerletztes Mal zu Oliver, um mich zu vergewissern, dass er ebenfalls soweit war, um das Attentat von Sarajevo zu präsentieren.

Mein gesamter Körper zitterte. Womöglich lag es an der Tatsache, dass das Fach Geschichte für mich zu wichtig war, um es zu verpatzen.

Ein letztes Mal atmete ich durch und begann dann mit der Einführung zum Thema: "Willkommen zu unserer Präsentation zu dem Attentat von Sarajevo."

"Das Inhaltsverzeichnis. Auslöser, der entscheidende Tag, Folge, Gerichtsverhandlung, Gefängnisstrafe,...", ratterte Oliver den Text herunter, den ich heute Morgen noch schnell auf eine Karteikarte gekritzelt hatte. Dabei sagte er genau das, was man ihm aufgegeben hatte. Ein wenig wie ein Übersetzer, der die Schrift für Blinde vorlas.

"Nun komme ich zum ersten Punkt; der Auslöser für das Attentat. Es fing alles mit dem Balkan und dem Konflikt an, der dadurch entstand, als dieser aufgegeben wurde. Jedes Land wollte die Herrschaft darüber erlangen. Gleichzeitig war auch noch das Wettrüsten im vollen Gange. Da war es klar; das konnte kein gutes Ende nehmen."

Oliver löste mich ab und nannte wieder genau das, was ich ihm aufgeschrieben hatte, wobei er alles von dieser winzigen Karte ablas. Er hatte es nicht einmal zuvor gelernt. Was hatte ich von ihm erwartet?

Während Oliver alles weitere präsentierte, wagte ich einen erneuten Blick in die Runde. Cathrin und die anderen waren schon wieder nicht da. Was hatte ich auch von ihnen erwartet? Still herumsitzen und einer Präsentation das Gehör zu schenken konnten sie einfach nicht.

Auf einmal bildete ich mir ein, Luke am Ende des Raumes sitzen zu sehen. Ein Gefühl von Schmerz durchstach mich. Die Worte von gestern schallten in mir wider. Der Anblick, wie er mich wütend inmitten von tonnenweisem Regen im Dunkeln alleine ließ. Und seine Worte, die immer noch in meinem Kopf für immer gefestigt sein würden: Ich liebe dich.

Natürlich war es in einem anderen Zusammenhang gemeint, aber es klang so echt und natürlich...

Ich starrte auf diesen einen Schüler, der mich so sehr an Luke erinnerte und stellte mir vor, er würde sein Lächeln tragen.

Mein Zittern hörte auf einmal auf. Mein Herz schlug dennoch schnell, doch aus anderen Gründen. Ich wurde von einer Welle der Wärme und des Glücklichseins überspült. Obwohl Luke und ich immer noch um Olivers und meine Beziehung stritten, vergaß ich für einen kurzen Moment diesen absurden Konflikt und sah nur sein Lächeln, das mich an die schönen Erinnerungen von uns zurückerinnern ließ. Wie wir mein Zimmer gestrichen hatten oder als er mir sein Gedicht in seinem Pick-up vorgelesen hatte. Diese kleinen, wunderbar kleinen Momente.

"Jenny", sagte Oliver, sodass es die ganze Klasse hören konnte. Ich zuckte kurz zusammen. Der Schüler, der Luke ähnelte, wurde wieder ein normaler Schüler, der sich das Lachen verkneifen musste. Kein Wunder. Ich war in meinen Tagtraum gefallen und nun blamierte ich mich vor der gesamten Klasse.

"Ähm...tut mir leid, wo sind wir?", flüsterte ich und blickte in Olivers Augen. Er lächelte belustigt und sagte dann wieder in derselben Lautstärke: "Bei den Folgen des Attentats."

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