23 - Farbenfroh ins neue Leben

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Tasche - Check
Geld - Check
Vorstellung einer Farbe - Check
Handy - Check
Sonnenbrille - Check
Einkaufsliste mit Schutzklamotten, Kreppband, Pinseln, Farben - Check

***

Die Zahlen auf meinem Handydisplay deuteten mir die Uhrzeit fünf vor drei an. Meine Augen verfingen sich in dem leeren, weißen Zimmer - meine Gedanken füllten ihn bereits mit angenehmen Pastellfarben. Mein Blick schwang nach draußen in Richtung des Raumes meines Nachbarn, verweilte dort und suchte ihn nach Luke ab, schwang wieder zurück in mein Zimmer auf die Tasche, die nun mit all den Dingen auf meiner Gedankenliste gefüllt war.

Ich zählte bereits die Minuten bis zu wichtigen Anhaltspunkten des nahenden Abends; fünf Minuten, bis Luke hier klingeln, zwanzig Minuten bis sein Pick-up uns zum Baumarkt tragen würde, den ich bei Google Maps zuvor herausgesucht hatte. Höchstens sechzig Minuten, bis wir die ideale Farbe gefunden hätten und drei Stunden, bis wir mit etwas Glück mit dem Streichen fertig sein würden.

Bei diesem langen, anstrengenden Plan war ich froh, dass ich ihn nicht alleine erledigen musste. Luke hatte sich bereit erklärt, mir zu helfen. Momentan war mir wirklich jede Person lieber, als meine Eltern, die wie kleine, aufgeregte Kinder durch das ganze Haus liefen und jede unentdeckte Ecke erstaunt erkunden mussten.

Es klingelte.

In diesem einen Moment wurde mir schlagartig bewusst, welches Vorhaben ich da gerade einging. Wie Freunde würden wir Farbe kaufen, die wir daraufhin an die Wand pinseln würden. Wie Freunde würden wir dabei Musik hören, quatschen und vielleicht sogar lachen, als wäre niemals ein Streit über uns gekommen.

Dieser Gedanke fühlte sich merkwürdig in meinem Kopf an und wollte einfach nicht da reinpassen. Was wäre, wenn dieser Tag wieder in Streit enden würde oder wenn uns doch noch jemand bekanntes über den Weg lief?

Eine laute Stimme von unten brachte mich zurück ins Hier und jetzt: „Jennifer! Besuch für dich!"

Meine Mom war unüberhörbar. Als ich kleiner war, hatte ihre Stimme doppelt so laut übers ganze Wasser geschallt, dass ich mir ziemlich sicher war, dass man ihre Stimme im Umkreis von zwanzig Meilen noch hören konnte, die schrille Stimme immer noch nicht vergessen hatte und sich vor ihr bis heute fürchtete.

Ich griff nach der Tasche und stieg die Treppen in den Flur hinab, in dem meine Mom die Tür offen hielt und mich munter anlächelte.

„Wieso hast du mir verschwiegen, dass du ein Date mit unserem Nachbarn hast?", wollte sie wissen, wobei Luke, der sich immer noch im Türrahmen hinter ihr befand, jedes Wort mithören konnte, jedoch nur blöd grinste und eindeutig eine amüsante Antwort erwartete.

Mein Atem blieb irgendwo zwischen Kehle und Lunge stecken und meine Füße übersahen beinah die letzte Stufe. Ich konnte mich jedoch noch in letzter Minute fangen und rutschte somit nicht aus, um daraufhin in die beiden hineinzustolpern.

Unten angekommen, wechselte ich zwischen den unveränderten Gesichtsausdrücken hin und her. Eine Art Krächzen verließ mein Inneres: „Mom! Das ist kein Date! Wir kaufen nur Farbe für mein Zimmer und streichen es dann!"

„Oh, na dann, viel Spaß euch beiden!", zwinkerte sie mir zu. Mir war klar, dass ihre Gedanken alles andere als von meiner Aussage überzeugt waren. Wieso dachte sie bloß immer, die Rede wäre von intimen Dingen, die ich ihr versuchte zu verschweigen?

Ich drückte mich nur wortlos an ihr vorbei und ging geradewegs vom Vorgarten in Richtung Lukes Pick-up, den er bereits auf der Straße in Richtung unseres Ziels positioniert hatte. Luke wechselte noch die letzten Worte mit Mom, kam dann jedoch auch hinterher.

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