26 - Eine von vielen

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Ich wollte nicht eine von vielen sein.

Das war der erste Gedanke, den ich am nächsten Morgen fassen konnte. Doch meine Gedanken sollten sich eigentlich mit einem ganz anderen Thema befassen, nämlich der Tatsache, dass Cathrin, die Königin allen Böses, sich heute Nachmittag als meine beste Freundin ausgeben würde. Hoffentlich hielt sie das durch. Schließlich würde ich die Probleme mit meinen Eltern haben, würde sie es vergeigen.

Doch meine Gedanken waren im Moment bei Oliver und mir und dem, was wir da vor der Clique verbargen. Oliver selbst meinte schließlich, dass es besser wäre, einige Wahrheiten geheim zu halten. Doch zählte es als Wahrheit, wenn man sich dessen gar nicht bewusst war, dass es eine war?

Dieses Gedankenspiel brachte mich noch um.

Ich stieg die Treppen ins Bad hinab, machte mich dort zurecht und holte mir eine Schale mit Müsli aus der angrenzenden Küche. Als ich mich jedoch an den Esstisch setzen wollte, hörte ich einige lachende Stimmen aus dem Schlafzimmer meiner Eltern. - Es waren meine Eltern. Ehrlich gesagt waren es meine Eltern, die sich vor Lachen gar nicht mehr einkriegen konnten und schnell dachte ich, sie hätten diesmal tatsächlich im Lotto gewonnen.

Ich tappte in ihre Richtung und lehnte mich in den Türrahmen, um sie zu beobachten. Die beiden bemerkten mich tatsächlich nicht. Erst, als sie sich zum Gehen wenden wollten, stießen sie auf mich.

"Was ist so lustig?", wollte ich wissen. Sofort grinsten sie mich an.

"Nichts, wir freuen uns nur, dass du eine neue Freundin und einen Freund hast", meinte Dad, woraufhin Mom ihn ergänzte: "Er ist doch dein fester Freund, oder?"

"Mom!", zischte ich. Ich wusste ja selbst nicht, was ich darauf antworten sollte. Waren wir Freund und Freundin? War er mein Freund oder nur irgendein Freund von mir?

"Ach, lass sie Schatz", holte mich mein Vater aus der Schlangengrube heraus: "Sie ist in der Pubertät. Das sind schwere Zeiten."

Ich nickte und drehte mich um, um mein Müsli weiterzuessen, was im Esszimmer schon auf mich wartete. Ich wusste nicht, was ich darauf geantwortet hätte, hätte Mom sich nicht mit dieser Ausrede zufriedengegeben. Aber das war sicherlich nicht der Grund dafür, weshalb sie so lautstark gelacht hatten.

Doch es schien mir nur fair, wenn ich sie nicht auf ihren glücklichen Moment ansprach und sie mich nicht auf Oliver. Also beließ ich es dabei. Im Hause Golden war es schon gang und gäbe geworden, dass irgendjemand lachte und sei es nur, weil man mit seinem Gewissen vereinbart hatte, etwas optimistischer eingestellt zu sein.

***

Meine Eltern setzten sich schweigend mit mir an den Tisch. - Ungewöhnlich.

Meine Eltern schauten mich an, als hätte ich etwas Unangemessenes gesagt. - Noch ungewöhnlicher.

Meine Eltern aßen nichts und wollten es anscheinend auch nicht. Um diese Zeit hatten sie schon längst gefrühstückt. - Definitiv ungewöhnlich.

"Alles in Ordnung bei euch?", erkundigte ich mich, weil mir diese Stille und die in der Gegend starrenden Augen unheimlich vorkamen.

"Ja. Alles bestens. Wieso?" - Als wüssten sie die Antwort darauf nicht.

"Wollt ihr nichts essen oder eurer Arbeit nachgehen, wie sonst auch immer?"

"Wir dachten uns, wir verbringen den Morgen mehr mit unserer Tochter. Wenn wir schon in eine neue Stadt ziehen, können wir die Grundlagen und Gewohnheiten unseres alten Lebens ja auch verändern", antwortete Dad.

Ich schluckte schwer. Nicht, weil es etwas Seltsames war - was es auf jeden Fall war. Was sich für mich dadurch ändern würde, das machte mir Angst. Die dunklen Kapitel in meinem Leben, die ich in ihrer Gegenwart aus Versehen Preis geben könnte.

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