Obwohl ich Luke in den vergangenen Literaturstunden nicht gesehen hatte, verhielt er sich ganz natürlich, als wäre er die letzten Male nur nicht aufgefallen, doch anwesend gewesen. Still und heimlich in einer Ecke des Raumes.
Mister Harris hielt der Klasse wieder einmal einen Vortrag darüber, wie sehr er die Literatur doch liebte und jedes einzelne Buch, das sich in eines der vielen Regale seines Hauses befand. Egal wie klein und dünn es auch war oder wie unbedeutend der Autor jeher war, der, wie Mister Harris fand, viel mehr Aufsehen verdient hatte, doch schon längst verstorben war, bevor es passieren konnte.
Jeder im Raum wirkte desinteressiert und beschäftigte sich mit sich lieber selbst, um der Stunde zu entfliehen. Doch die absolute Ausnahme boten Luke und ich, die wie kleine aufgeregte Kinder an ihren Tischen saßen und gebannt zuhörten. Leider war neben mir kein freier Platz mehr frei, sodass er sich ein paar Reihen hinter mich setzen musste.
Immer noch redete er kaum ein Wort mit mir, noch mit sonst irgendwem. Doch ich konnte es ihm aus den Augen ablesen, wie lange er sich auf diese eine Stunde gefreut hatte.
Wenn ich ihn mir recht unter die Lupe nahm, wunderte es mich nicht, wenn er genauso besessen vom Lesen und von Büchern war, wie seine Schwester.
"Und nun bitte etwas zum Schreiben herausholen", forderte unser Lehrer uns auf, woraufhin alle sofort in ihren Taschen wühlten. Ich blickte einmal kurz über die Schulter. Weshalb wusste ich nicht. Vielleicht wollte ich irgendetwas hinauszögern oder den Moment ganz einfach nur festhalten.
Anstatt, dass Luke ein Blatt und ein Stift rauskramte, schrieb er bereits irgendetwas in ein kleines Büchlein. Schlicht gehalten mit einem schwarzen Cover, darauf eine rote Rose, die sofort wie ein Dorn ins Auge stach.
Ich war wie vernarrt in dieses kleine Buch und in die ganzen, vielen Wörter und Kritzeleien, die dort sicherlich eingraviert waren und dem Stift, der immer wieder im gleichen Takt auf dem Papier aufsetzte.
Ich schüttelte kurz unbedeutend mit dem Kopf, um wieder zurück in Mister Harris Literaturunterricht zu gelangen und streckte meinen Arm nach meiner Tasche aus.
Leere. - Irritiert sah ich zu der Stelle, an der normalerweise an Tagen wie diesen meine Tasche mit allen Materialien stand, die ich für den Unterricht benötigte.
"Ist alles in Ordnung mit dir, Jennifer?", fragte Mister Harris mich besorgt. Ich schüttelte schnell mit dem Kopf: "Ich habe nur...meine Tasche zu Hause vergessen." - Meine Stimme brach dabei und schaute schuldbewusst in die Augen meines Lehrers.
"Irgendwann wird sie auch noch ihren Kopf vergessen", lachte Cathrin belustigt auf, was ihr wütende Blicke von mir einfing.
"Cathrin. Kannst du Jennifer für heute dein Material leihen?", fragte er lächelnd und trat etwas weiter an sie heran, um daraufhin der Augen verdrehenden Cathrin einen Stift und ein Blatt Papier zu entwenden und es auf meinen Platz zu legen.
"Danke", sagte ich zu Mister Harris und ich schätzte auch irgendwie zu Cathrin. Nickend stellte sich der Herr wieder auf seine alte Position und lehnte sich an das Pult, während er die Klasse betrachtete.
"Ihr habt nun bis Ende der Stunde Zeit, ein Blatt zu eines eurer Lieblingsromane zu schreiben. Nächste Woche möchte ich, dass ihr euer Lieblingsbuch dann vorstellt. Eine kurze Beschreibung, eure eigene Meinung und wie es ein erfolgreicher Roman werden konnte. Noch Fragen?" - Er blickte in die Runde, die stillschweigend und genervt anfing zu schreiben.
Mein Kopf müsste eigentlich platzen vor lauter Ideen, die sich in diesen Sekunden angestaut hatten. Es gab so viele schöne Romane, die ich nur zu gerne vorstellen wollte. So viele Bücher aus Papier, die sich über Jahre auf Quantum angestaut und dabei keineswegs ihre Einzigartigkeit noch ihren Spannungsfaktor verloren hatten.
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See the truth | ✓
Teen FictionJennifer denkt nicht im Entferntesten daran, dass sich ihr Leben um hundertachtzig Grad drehen könnte. Ihre Heimat segelte zuvor immer auf den Wellen. Nach ihrem Umzug in die Kleinstadt Elizabeth City gerät ihr vorgeplantes Leben auf den Weltmeeren...