Ich war froh, dass alles flüssig aus meinem Mund kam und ich erst am Schluss heftig schluchzend mein Gesicht in meinen Händen vergrub. Ich vermisste sie so sehr. Manchmal sah ich das lachende Gesicht meines Bruders, bevor seine ausgehungerte Leiche vor meinem inneren Auge auftauchte.
Ich wurde an einen warmen Körper gepresst und spürte Markus's Arme um mich. Er sagte nichts, ließ mich meinen Frust und die verdrängte trauer abbauen und darüber war ich froh. Es war so, als wäre er schon mehrmals in so einer Situation gewesen. Als ich mich wieder aufrichtete sah ich Luisa am Türrahmen stehen und wie sie mich mitleidig musterte. Ich schenkte ihr ein Lächeln und auch Markus, der seine Hand an meinem Rücken ließ und mit seinem Daumen beruhigend hin und her strich. "Wie lange ist es her, dass...dein Bruder gestorben ist?" , fragte Luisa vorsichtig nach. Ich zog meine Knie an meinen Oberkörper und somit musste Markus seine Hand wegnehmen, da sie sonst zwischen dem Sofa und meinem Rücken eingeklemmt wäre. "Vor zwei Jahren. Kurz vor Weihnachten. Das ist mein zweites Weihnachten alleine." Sofort zog er mich wieder an sich und ich dachte schon, er hätte eine Sucht danach, Leute an sich zu drücken. Nun setzte sich auch Luisa zu uns. "Du bist nicht alleine. Du hast uns und deine Familie, die da oben auf dich herunter schaut und darüber lächelt, was für ein starkes und tapferes Mädchen sie haben." , meinte sie und legte eine Hand auf mein Knie. Die Berührungen der beiden gaben mir Halt und ich wischte mir lächelnd die Tränen aus dem Gesicht." Danke" , hauchte ich gerührt über so viel Warmherzigkeit. "Hast du Hunger?" , fragte mich die Frau neben mir und ohne zu zögern nickte ich. "Komm wir backen, es ist schließlich Heiligabend!"
"Warum ist Elea in Polen und nicht bei dir?" , fragte ich als wir uns an den Tisch in der Küche gesetzt haben und die Plätzchen im Backofen beobachtete. "Sie sieht ihre Familie selten und dann will sie wenigstens an Weihnachten bei ihnen sein." , gab er fast schon niedergeschlagen von sich. "Was ist mit deiner Familie?" Ich bemerkte, wie er sich anspannte, schluckte und meinen neugierigen Blick mied. Der Stuhl hinterließ ein unangenehmes Kratzen, als er aufstand. "Ich muss auf die Toilette." Schon fast rennend verließ er den Raum und ich schaute ihm verwirrt hinterher. Denkt er, ich merke nicht, wie er dem Thema ausgewichen ist?
Kurz war ich beleidigt und ignorierte ihn, aber dann hatte ich ein schlechtes Gewissen. Es war etwas, worüber er nicht reden wollte und das musste ich akzeptieren. Schließlich, nachdem ich mich unzählige Male bei Markus bedankt hatte für den Schal, war ich müde und er wies mir das Zimmer zu, was ich schon vorher hatte. Erneut überschüttete ich ihn mit Danksagungen.
Ich stand wieder nur in Unterwäsche vor dem Spiegel und obwohl ich ihn am liebsten kaputt machen oder weggehen würde, konnte ich nicht. Es war so lange her, dass ich mich im Spiegel gesehen habe und das auch noch so. Ich schreckte aus meinen Gedanken gefüllt mit Selbsthass auf, als die Zimmertür aufging und im Spiegel sah ich, dass Markus im Raum stand. Toll.
Blitzschnell hielt ich mir einen Pullover vor meinen Oberkörper, aber leider bedeckte er nicht meine Beine. "Fuck", murmelte Markus und starrte mich mit geschocktem Gesichtsausdruck an. "Woher hast du die ganzen Narben und Wunden?" Peinlich berührt stand ich da, versuchte mich hinter meinem Pulli zu verstecken, während Markus ungeniert glotzte.
"Das Leben hat mich gezeichnet."
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Meine letzte Hoffnung
FanficAvril ist 17 Jahre alt und sitzt seit zwei Jahren auf der Straße. Jeder Tag ist ein Überlebenskampf für sie. Bis eines Tages ein großzügiger spender ein Halt an ihrem Kaffeebecher machte und sich ihr Leben komplett wendete. Der Spender und Avril war...