Kapitel 5

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Ich schluckte und fing an zu zittern, als sich die Erinnerungen unaufhaltsam in meinen Kopf schlichen und dort ein schreckliches Gefühl auslösten. "Okay, okay. Du musst es mir nicht sagen." , sagte Markus schnell und lächelte mich aufmunternd an. Dankbar nickte ich und war froh über seine Verständlichkeit. "Es muss schrecklich gewesen sein, richtig?" , fragte er vorsichtig, als würde ich bei einer falschen frage stürmisch davon rennen, aber ich war mir sicher: Ich würde bei keiner seiner Fragen gehen, auch wenn sie aufdringlich wären. Irgendwas an ihm weckte ein mir inzwischen fremd gewordenes Gefühl: Sicherheit, Geborgenheit. Vielleicht war es seine Art, die geduldig war oder seine Augen, die Sympathie ausstrahlten. Zögerlich nickte ich und knetete meine Hände während er an seinem Kaffee nippte. "Bist du noch die Einzige?" Das erste mal dachte ich wirklich über meine Lage nach. Wie aussichtslos sie eigentlich war, denn seine Fragen brachten mich zum nachdenken. Ich würde niemals einen Job finden. Wer nahm schon ein Mädchen, was in der 5. Klasse obdachlos geworden ist und danach nicht mehr zu Schule gehen konnte.

Erneut nickte ich und meine Beine wurden ruhig. "Sind die anderen... ?" Wieder konnte er das Wort nicht aussprechen und langsam fragte ich mich, warum. Der Tod war in unserer Gesellschaft etwas ganz normales und wir könnten alle jeden Moment damit konfrontiert werden. "Markus" , bat ich ihn verzweifelt. Er sollte damit aufhören, sonst würde ich hier vor den ganzen Leuten weinen. "Tut mir leid. Ich bin sehr neugierig." 10 Minuten später hatten wir die Cafeteria verlassen und sofort schlug mir die Kälte entgegen. "Was wirst du jetzt machen?" , wollte Markus wissen. Ich zuckte mit den Schultern. "Auf ein Wunder warten." Bei meiner Situation bräuchte es ein sehr großes Wunder."Willst du nicht doch mein Angebot annehmen? Du kannst dir erst mal meine Wohnung angucken.Ich verspreche dir, ich bin kein Vergewaltiger. Und außerdem wird es immer kälter in der Nacht. Du erfrierst sonst." Sofort tauchte mir ein Bild meiner Mutter vor meinen Augen auf und ich spürte die Tränen aufkommen, ehe ich ohne weiter zu überlegen nickte.

Er betrat ein sympathisch aussehendes Wohnhaus und lief drei Stockwerke nach oben, während ich ihn hinterher dackelte, wie ein kleiner Hund. Immer wieder drehte er sich zu mir um, als würde er vermuten, dass ich jeden Moment doch kalte Füße bekomme und abhauen würde, bevor ich mich wieder an den kalten Betonboden gewöhnen musste. "Avril." Mein Name ging federleicht über seine Lippen und zog mich aus meinen Gedanken. Wir standen vor einer Holztür, an der ein typischer Weihnachtsschmuck hing. "Sorry, wenn es nicht so aufgeräumt ist, aber ich lebe hier alleine und hab nicht wirklich viel Zeit zum aufräumen." Sein Blick war tatsächlich entschuldigend und ich schüttelte den Kopf. "Du musst dich für nichts entschuldigen, denn du lässt ein fremdes, obdachloses Mädchen hier schlafen. Das ist wirklich toll von dir" , gab ich zurück und lächelte etwas. Markus grinste und schloss die Tür auf. Sofort schlug mir ein Duft von Keksen und Plätzchen entgegen. Mein Magen knurrte sofort, doch ich versuchte es mir nicht anmerken zu lassen.

Markus wirkte verwirrt und ging voraus in die Küche. Wie immer folgte ich ihm. "Mama, was machst du denn hier?" , fragte der Junge neben mir die Frau, die gerade die Plätzchen aus dem Ofen nahm. Sie drehte sich mit einem Lächeln um, doch als sie mich sah, verhärtete sich ihr Gesichtsausdruck. Unwohl versteckte ich mich hinter dem einem Kopf größerem Markus." Wir hatten doch zusammen etwas ausgemacht. Ich hab mich schon gefragt, wo du so lange warst. Aber du hast mich versetzt und warst mit sowas unterwegs?" Sie stemmte ihre Hände in die Hüften und blickte mich an. "Ich bin wirklich besseres von dir gewohnt Markus."

Meine letzte Hoffnung Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt