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„Oh ha, ist diese Plörre überhaupt noch als Kaffee zu bezeichnen?", beschwerte sich Lou am nächsten Morgen bei mir mit verkniffenen Lippen, als sie ihre Tasse auf den Tisch zurückstellte.

„Ja, sorry... ich war nicht ganz bei der Sache als ich ihn gekocht habe."

„Was war denn noch los gestern?"

„Er... ist kurz nach dir gegangen... und hat mir dann das hier geschrieben..."

Ich hielt ihr mein Handy mit seiner Nachricht unter die Nase.

Augenrollend sah sie wieder zu mir auf, nachdem sie rasch alles überflogen hatte.

„Er scheint ja ganz schön besitzergreifend zu sein Maddie. Das klingt ja schon so als wärst du gezwungen dich mit ihm zu treffen."

Ich runzelte die Stirn.
Was war denn nur los mit Lou? Vor ein paar Tagen war sie noch total begeistert von Hayden und seit gestern verhielt sie sich mehr als merkwürdig und schien ihre Meinung über ihn komplett geändert zu haben.

Aber hatte sie recht? Nahm sich Hayden einfach das was er wollte? Ohne Rücksicht, Zurückhaltung oder Respekt?
Gefragt, ob ich mich mit ihm treffen wollte, hatte er schonmal nicht.
Im Laden hatte ich ihm doch eigentlich klar gemacht, dass ich das alles gar nicht wollte.
Er schien das anscheinend zu ignorieren.

Doch dann schoss mir plötzlich dieses Gefühl von gestern Abend zurück in meinen Körper. Diese unglaublich vertraute Wärme, sein anziehender Geruch, seine tiefe, sanfte Stimme, meine brennende Haut unter seinen Fingerspitzen, sein Atem an meinem Ohr...

Als ich über meinen Zwiespalt nachdachte, spürte ich, wie sich Engel und Teufel auf meinen Schultern stritten.

Hastig schüttelte ich meinen Kopf, in der Hoffnung meine Gedanken damit löschen zu können.

Es half natürlich nicht.

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In den darauffolgenden Tagen hatte ich unglaublich viel zu tun und verbrachte die meiste Zeit mit dem Anfertigen neuer Schmuckstücke und dem Verpacken und Versenden ebendieser.

Bisher hatte ich mich noch nicht entschieden, ob ich am Freitag in das Auto steigen würde, um den Abend mit Hayden zu verbringen oder nicht.

Als ich - wie so oft in den letzten Stunden - wieder einmal grübelnd die Briefmarken auf meine Päckchen klebte, klingelte mein Telefon.

Ich bekam eine Nachricht, die alles verändern sollte.

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„Lou, Lou wo steckst du?", brüllte ich, nachdem ich die Wohnungstür geschlossen und meine Schuhe neben den Schrank gepfeffert hatte.

„Wohnzimmer!"

Ich schmiss mich mit einem Satz zu ihr auf die Couch.

Das Thema Hayden hatte ich ruhen lassen, da ich selbst nicht genau wusste, was ich darüber denken sollte.

„Du wirst es nicht glauben, aber Francesca Missarini hat mich eben angerufen",
platze es mir euphorisch heraus und ich grinste wie ein Honigkuchenpferd.

„Was? Das kann doch nicht wahr sein Mads! Die größte Fashioninfluencerin Londons hat sich bei dir gemeldet? Verarsch mich nicht... komm schon!"

Sie zog die Brauen hoch und legte den Kopf schief.

„Doch Lou, glaub mir! Es ist wahr!
Zu erst war ihre Assistentin am Apparat und dann habe ich mit ihr selbst gesprochen.
Sie stellt Donnerstag Abend ihre eigene Modekollektion im Harvey's vor.
Und sie will meine Ohrringe an ihren Models sehen und danach sollen wir beiden auf ihre Aftershowparty gehen."

Ich packte Lou an den Schultern, die vor Schreck keinen Ton mehr von sich gegeben hatte.

„Oh. Mein. Goooootttt", trällerte sie einige Sekunden später dann doch noch heraus.

Wir sprangen auf, fielen uns in die Arme, hüpften und lachten, so wie wir es vor einigen Wochen am Flughafen getan hatten.

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„Du siehst zum Anbeißen aus Honey", flötete Lou am Donnerstag Abend, als ich in meinem engen schwarzen Kleid und leuchtend grünen Ohrringen aus eigener Fertigung aus dem Bad stöckelte.

Ich hatte mich tatsächlich getraut, outfittechnisch dieses Mal etwas mehr zu wagen und ein Kleid zu tragen, das meine Kurven nicht versteckte, sondern betonte.
Der weiche Stoff schmiegte sich perfekt an meine Haut. Die Ärmel waren lang und eng und der Rollkragen berührte beinah meine Ohrläppchen.

„Danke Süße. Ich fühle mich auch tatsächlich wohl darin. Du siehst auch toll aus."

Am Körper meiner besten Freundin hing ein kurzes pinkes Cocktailkleid mit tiefem Decolleté und Rückenausschnitt.
Uns jap - sie konnte es tragen!

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„Taaaaxxxxxxxiiiiiii", rief sie in die Nacht hinein und sofort bremste ein Wagen und fuhr uns zur Location.

Lou und ich hatten zwei Nachtschichten eingelegt um den Schmuck für Francesca rechtzeitig fertig zu bekommen.
Durch das von Lou aufgemotzte Instagramprofil war sie auf mein Unternehmen aufmerksam geworden.

Die Ohrringe hatte ich bereits am Mittag ins Harvey's gebracht.

„Einfach unfassbar Mads! Ich glaub ich träume", lallte sie beinah als sie sah, wie pompös sowohl die Einrichtung als auch die Dekoration der Location waren.
Hier hatten tatsächlich absolute Profis ihre Hände im Spiel. Es war sehr dunkel und die sperrliche indirekte Beleuchtung ließ das Harvey's fast mystisch erscheinen.

Als die ersten Models den Laufsteg betraten und ich die funkelnden Steine und Perlen an ihren Ohren erkennen konnte, überkam mich ein Gefühl von unfassbarem Stolz.
Meine Stücke waren von den Lichttechnikern perfekt ins Szene gesetzt worden und leuchteten um die Wette.

Mein Herz pochte wild und ich konnte kaum aufhören zu grinsen.
Lou quiekte und drückte meine Hand fest.

„Ich bin sooooo stolz auf dich", flüsterte sie mir mit glasigen Augen zu.
„Ohne dich, wäre ich jetzt nicht hier. Wir sind ein perfektes Team", entgegnete ich ebenfalls mit feuchtem Blick.

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Nach der Show, die ein voller Erfolg gewesen war, kam Francesca auf uns zu und lobte uns in höchsten Tönen.
Ich hatte mein Handy bereits zig mal in meiner Tasche vibrieren gespürt. Unzählige Aufträge flatterten in mein Mailfach.
Insgeheim hoffte ich mit jeder Nachricht, dass es die letzte für heute sein würde, damit ich die vielen Anfragen überhaupt noch bearbeiten konnte.

Im Glücksrausch huschten Lou und ich auf die Tanzfläche der Aftershowparty.
Alle Anspannung war von mir abgefallen. Ich hatte mir 2 oder auch 3 Drinks genehmigt und bewegte mich zu den heißen Klängen auf dem Dancefloor.

Was für ein Abend!

„Ich muss mal kurz für kleine Schmuckdesignerinnen", brüllte ich Lou ins Ohr und bahnte mir den Weg zu den Toiletten.

Man, war das dunkel hier.
Vor allem in den engen Gängen des Harvey's.

Alles schien so unglaublich luxuriös - sogar die Papiertuchspender auf den Toiletten.

Nachdem ich meine Hände getrocknet hatte, verließ ich den Waschraum und stöckelte wieder durch den wenig beleuchteten Gang, der zum Hauptsaal führte.

„Miss, bitte folgen Sie mir", unterbrach eine tiefe Stimme meine Gedanken.
Ich riss die Augen weit auf und hielt den Atem an.

Als ich mich im Zeitlupentempo umdrehte blickte ich gegen einen massiv trainierten Brustkorb in dunklem Anzug.
Ich ließ meine Augen nach oben wandern und erblickte einen Mann um die 40, der eine Körpergröße von mindestens 2 Metern erreichte.
Er hatte einen kahlrasierten Kopf, kleine Augen und schmale Lippen. Er sah so aus als könne er absolut jeden mit einem einzigen Faustschlag zu Boden bringen.

Ein kalter Schauer überkam mich.

Was sollte das? Wer war er und was wollte er von mir?

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LondonboyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt