Wasser klatscht gegen den Glaszylinder und läuft in Strömen an seiner Innenseite hinunter. Es sammelt sich am Boden und steigt dann in tausenden Tropfen, zerstäubt und fein zur Mitte des Zylinders auf, wo es sich zu einer Kugel zusammenballt. Kleine Flammen lecken an der Außenseite der Kugel. Das Wasser kann ihnen nichts anhaben und sie schweben auf unerklärliche Weise in dem Glaszylinder. Eine von ihnen brennt sogar in der Mitte des Wasserballs.
Ihr flackerndes Licht scheint verzerrt durch die glitzernde Oberfläche des Wassers. Gleichzeitig klettern Rosenranken an den Wänden des Glaszylinders hinauf. Die Blüten wachsen in so atemberaubender Geschwindigkeit, dass der Betrachter mit bloßem Auge gar nicht wirklich begreift, was gerade passiert. Neue Trieblinge sprießen aus der Hauptader der Pflanze und nur Sekunden später ist es, als wären sie schon immer da gewesen. Sie vermischen sich mit dem Wasser und dem Feuer, werden dadurch jedoch nicht zerstört. Im Gegenteil. Die Flammen tanzen um die Blüten und das Wasser umrahmt das Spektakel glitzernd. Ein wunderschönes Schauspiel der Elemente.
Ich sehe diese unnatürliche Kraft vor mir, doch bin unfähig, eine Verbindung mit ihr aufzunehmen, geschweige denn, nach ihr zu greifen. Normalerweise müsste ich spüren, wie eins der Elemente von außen mit mir kommuniziert und etwas Mächtiges tief in mir weckt. Eine Kraft, die Wirbelstürme lostreten, Flutwellen springen, Waldbrände erzeugen oder Dschungel sprießen lassen kann. Doch nichts dergleichen. Statt der tiefen Verbundenheit mit einem der vier Elemente fühle ich mich leer und taub. Da ist nichts. Je mehr ich mich konzentriere, desto schlimmer wird es. Ich kneife die Augen zusammen, aber ich spüre nur, wie ich mich noch mehr verkrampfe. Es ist, als wollte ich versuchen, an gar nichts zu denken, was mir natürlich nicht gelingt. Kennt ihr dieses Gefühl?
„Mensch Brionna, jetzt streng dich doch mal an", donnert Giacomo Falcinis Stimme durch den Raum. Augenblicklich fallen Wasser, Feuer und Pflanze ineinander zusammen. Wie aus einer Trance gerissen nehme ich meine Umgebung wieder wahr. Kate, Alessia, Philippe und ich sitzen an dem Tisch im Konferenzzimmer von Alessandro Belluco. Vor uns steht der Glaszylinder, in dem die anderen drei soeben ihre Elemente heraufbeschworen haben.
Im Herbst haben sie diese Experimente im Freien durchgeführt, aber als es dann kälter wurde, sind wir in das Konferenzzimmer umgezogen. Obwohl Kate, Alessia und Philippe ständig vorsichtig waren, haben ihre Elemente trotzdem Spuren auf den Möbeln hinterlassen. Kurz vor Weihnachten hat Alessia einen riesigen Brandfleck auf dem Tisch hinterlassen und dank Kate gab es einen Wasserschaden am Fußboden. Deshalb ist der ganze Raum nun mit einer Plane ausgekleidet und Giacomo hat einen Zylinder aus Plexiglas angeschafft, in dem wir unsere Elemente benutzen können, ohne dass wir damit Alessandros Inneneinrichtung beschädigen.
Ich seufze nur. Es hat keinen Sinn, Giacomo zu erklären, dass ich mir bereits Mühe gebe. Egal, was ich sage, er wird es sowieso nicht verstehen. Im Gegensatz zu Kate, Alessia und Philippe spüre ich einfach keine Verbindung zu einem der vier Elemente. So sehr ich auch danach suche, ich fühle einfach nicht, wie ein Element von außen mit mir kommunizieren möchte und seine Kraft durch meinen Körper strömen lässt, damit ich sie benutzen kann. Es ist zum Verzweifeln.
„Gibt es denn immer noch keine Fortschritte?", seufzt er und wendet sich dabei an Alessia statt an mich.
Da Giacomo davon überzeugt ist, dass ein traumatisches Erlebnis in meiner Vergangenheit damit zu tun hat, dass ich keines der vier Elemente kontrollieren kann, hat er seine Tochter darauf angesetzt, mit mir über meine Kindheit und Jugend, sowie über etwaige Probleme zu reden. Alessia ist Psychotherapeutin, weshalb Giacomo glaubt, dass sie mir tatsächlich helfen kann.
Zuerst habe ich dem heftig widersprochen und mich geweigert, mit Alessia zu sprechen. Mit der Zeit musste ich dann aber doch feststellen, dass sie ziemlich in Ordnung ist. Ich würde sie jetzt nicht unbedingt als Freundin bezeichnen, aber schon als gute Bekannte. Doch auch Alessia vermag nicht zu sagen, was die Schuld daran tragen könnte, dass ich kein Element beherrsche. Manchmal überlegt sie, ob mich die Trennung meiner Eltern doch mehr mitgenommen hat, als ich zugeben möchte, aber das streite ich jedes Mal ab. Denn selbst wenn sie Therapeutin ist, bin immer noch ich diejenige, die mich am besten kennt.
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Die Elemente
FantasyKate und ich wechseln einen erstaunten Blick. Das ist es also, Marias Geheimnis. Der Grund, aus dem sie uns ihr Tagebuch vermacht hat. "Unglaublich", flüstert meine Schwester. Sie scheint genauso erschüttert zu sein wie ich. Endlich haben wir die fe...