41. Team Leonardo (2)

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Erneut weiche ich einen Schritt zurück. Dabei hebe ich defensiv die Hände. Es zerreißt mir fast das Herz, aber in diesem Moment wünschte ich mir, dass sich mein Element bereits gezeigt hätte, damit ich mich gegen Lucca verteidigen kann, sollte es zum Kampf kommen.

Da blinzelt Lucca. Ich zucke zusammen, doch dann bemerke ich, dass der glasige Ausdruck in seinen Augen Tränen sind. Stumm laufen sie über seine Wangen, ohne dass er sie aufhalten kann. Hastig wischt er sich mit den Händen übers Gesicht. „Bitte entschuldige", flüstert er mit brüchiger Stimme, „ich wollte dich nicht erschrecken."

Als er das sagt schlucke ich schwer. Am liebsten wäre ich einen Schritt auf ihn zu gegangen, doch der Ohrring, der in seinem Ohr steckt, hält mich davon ab. Was, wenn er unter dem Einfluss Falcinis steht? Das würde eine große Gefahr für mich bedeuten. Selbst wenn er mir eigentlich nicht wehtun möchte.

Für einen Augenblick stehen wir beide unschlüssig voreindander. Nur langsam lasse ich die Hände sinken und trete dann doch einen Schritt auf ihn zu. Ehe ich mich versehe, schließen wir einander in die Arme. Lucca lehnt sein feuchtes, tränennasses Gesicht gegen meine Schulter und schluchzt herzerweichend auf.

Vorsichtig streiche ich ihm über den Rücken. Meine Hände wandern hinauf bis zu seinen Schultern und schließlich zu seinem linken Ohr. Blind taste ich nach dem Ohrstecker, löse den Verschluss und befreie Lucca von der Last des fünften Elements. Er zuckt zusammen und stöhnt leicht auf, so als hätte ich einen Stachel aus seiner Haut gezogen, der beständig Gift in seinen Körper pumpt.

Zuerst wirkt er erleichtert, doch dann schiebt er mich von sich und sieht mich ungläubig an. Beinahe auffordernd streckt er mir seine Hand entgegen. Ich verstehe sofort, was er mir mit dieser Geste sagen möchte. Zögernd lasse ich den Diamantohrring in seine Handfläche gleiten. Sobald das Schmuckstück seine Haut berührt, schließt Lucca die Hand zur Faust und lässt den Ohrring in seine Hosentasche gleiten.

Wieder blinzelt er Tränen aus den Augenwinkeln, doch dann lächelt er mich an. „Danke", sagt er. Noch immer flüstert er, doch seine Stimme klingt trotzdem kräftiger. Wieder schließen wir einander in die Arme. Seine Lippen suchen nach meinen und als unsere Münder aufeinander treffen, ist es, als würde auch von mir eine große Anspannung abfallen.

In unsere Umarmung verschlungen lassen wir uns auf die Matratze unter dem Sonnensegel sinken. Ein Knistern liegt in der Luft und wir können die Hände kaum voneinander lassen. Diesmal behalten wir unsere Kleidung jedoch an. Trotzdem erkunde ich mit den Händen jeden Zentimeter von Luccas Körper. Ich spüre seine weiche Haut und die Muskeln, die sich unter meinen Fingern anspannen. Es ist, als könnte er jetzt endlich wieder durchatmen.

Auch mir tut es so unglaublich gut, bei ihm zu sein, dass ich gar nicht begreife, warum ich ihn die letzten Tage nicht mehr vermisst habe. Auf der Suche nach Geborgenheit kuschele ich mich fester in Luccas Arme.

„Ich habe nicht damit gerechnet, dass du herkommst", sagt er. Seine Stimme vibriert in seinem Brustkorb unter meinem Ohr.

„Das war auch nicht geplant", gestehe ich und hebe den Blick, um ihn anzusehen. Noch immer wirken seine Augen rot und geschwollen, doch er hat aufgehört zu weinen. „Lucca, was ist los?" Ich traue mich fast schon gar nicht diese Frage zu stellen. Ist er wegen Falcini so aufgewühlt? Konnte Lucca Marias Geheimnis vor dem Herrscher des fünften Elements verbergen? Oder weiß er nun, dass Leonardo noch am Leben ist?

„Meine Mutter wird aus dem Krankenhaus entlassen", sagt er.

„Das sind doch tolle Neuigkeiten!", entfährt es mir, woraufhin er nur resigniert mit dem Kopf schüttelt. „Sie hat letztes Wochenende wieder versucht, sich umzubringen. Und trotzdem wollen ihre Ärzte, dass sie wieder nach Hause kommt. Ich wette, Falcini hat seine Finger im Spiel." Er schluckt schwer. „Ich weiß nicht, wie ich das alles länger alleine schaffen soll."

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