24. Verlorene Familie (3)

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Im ersten Moment denke ich: Das wars. Jetzt hat Philippe uns erwischt! Doch dann hebt sich die Klinke wieder und die Tür bleibt geschlossen. Erleichtert atme ich auf. Pietros Griff um meinen Arm wird noch ein bisschen fester.

„Achso, das befindet sich gar nicht im Arbeitszimmer, sondern im Konferenzraum?", höre ich Philippe fragen, „und damit komme ich ganz sicher in das geheime Archiv?"

Erstaunt lehne ich mich nach vorn. Von welchem geheimen Archiv spricht er? Gibt es noch etwas, das Pietro und ich nicht wissen? Vorstellen könnte ich es mir zumindest. Da Philippe keine Antwort erhält, nehme ich an, dass er mit jemandem telefoniert. Mit wem lässt sich nicht sagen. Ich möchte einen fragenden Blick mit Pietro wechseln und stelle fest, dass er die Augen fest geschlossen und die Lippen aufeinander gepresst hat.

„Nein, Brionna und Pietro wissen nichts davon", fährt Philippe nach einigen Sekunden fort, „sie sind beide irgendwo im Garten, beim Pool glaube ich." Als mein Name fällt, macht mein Herz einen hastigen Satz. Also geht es um ein Geheimnis. Aber warum zur Hölle sollen wir nichts davon wissen?

„Ja, klar ärgert es mich, dass ich mich bei ihr so plump angestellt habe. Aber ich bin nicht du, Alessia. Ich bin einfach nicht dazu in der Lage, Frauen in Bars anzusprechen, bloß weil mir ihr T-Shirt gefällt. Mir fällt es nicht leicht, ein Elementträger zu sein. Das ist manchmal..." Was Philippe dann sagt, verstehe ich nicht mehr, da er sich mit schnellen Schritten entfernt und seine Stimme immer leiser wird, bis ich nur noch zusammenhangslose Silben zu uns vordringen. Wenig später höre ich, wie er die Treppe zum Konferenzraum im ersten Stock hochpoltert.

Erstaunt stoße ich die Luft, die ich bis dahin angehalten habe, aus. Dann befreie ich mich von Pietros festem Griff. Mein bester Freund atmet tief ein und stemmt sich ebenfalls auf die Füße.

„Lass uns verschwinden", zischt er mir zu, doch ich schüttele nur mit dem Kopf. Bevor ich nicht erfahren habe, wofür ich hergekommen bin, gehe ich nicht weg.

Hastig wende ich mich wieder der Mappe über Ernesto Lombardini zu, doch ich erhalte nur Informationen, die ich sowieso schon habe. Als Lombardini meine Mutter kennenlernte, distanzierte er sich immer mehr vom Geheimbund. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er untersucht, wie sich die Fähigkeit zu einem Element vererbt, doch die Forschung stellte er bald ein. Vor 13 Jahren verschwand Lombardini spurlos. Seit dem gibt es keinen Hinweis auf seinen Aufenthaltsort und der Geheimbund hielt es nie für nötig, nach ihm zu suchen. Erst als Kate und ich aufs Spielfeld getreten sind, veränderte sich die Situation.

In den Aufzeichnungen heißt es nur, er habe sich wegen einer Affäre mit einer Studentin von seiner Familie getrennt und sei damit auch aus dem Geheimbund ausgetreten.

Ein leuchtend gelber Zettel prangt auf den Unterlagen, auf den jemand eine Notiz festgehalten hat. „Cinquenti?", steht dort.

„Reicht das jetzt?", fragt Pietro. Er ist sichtlich beunruhigt. Wie kann man sich nur so anstellen? Selbst wenn Philippe uns hier erwischen würde, kann er uns wohl kaum Vorwürfe machen. Wir wollen ja nicht mal was stehlen oder so.

„Ja, das reicht. Meine Großeltern sind tot. Und von meinem Vater fehlt nach wie vor jede Spur." Zumindest fast. Da gibt es ja immer noch Toscani. Aber davon erzähle ich Pietro nichts. Ich habe wenig Lust, dass der Geheimbund auch noch in meinen Familienangelegenheiten mitmischt.

Energisch klappe ich die Mappe zu und lasse sie wieder in der Kartei verschwinden. Dann verlassen wir das Büro. Pietro achtet peinlich genau darauf, dass wir alles so hinterlassen, wie wir es vorgefunden haben. Auf dem Flur im Bürogebäude schleicht er und sieht sich immer wieder erschrocken nach Philippe um, den ich jedoch nirgends entdecken kann. Den Weg über den Hof hinüber zur Villa rennen wir regelrecht. „Das ist jetzt ein bisschen übertrieben", keuche ich, aber Pietro lässt sich davon nicht beeindrucken.

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