35. Im Sonnenuntergang (1)

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Wieder sitzen wir schweigend nebeneinander und lauschen in die Dunkelheit der Nacht. Bis auf das Zirpen der Grillen ist es beinahe komplett still. Ein leichter Wind streicht über das Wasser des Sees, das in schwachen Wellen regelmäßig und ganz seicht ans Ufer schlägt. Wir müssen nicht viel sagen. Es reicht, dass wir einfach nebeneinander sitzen. Noch immer ist diese Situation so unwirklich und es fühlt sich an, als würde das alles nicht mir, sondern einer ganz anderen Person passieren.

In der Ferne knattert ein Motorrad und die ersten Vögel beginnen zu zwitschern. Diese Geräusche holen mich ins Leben und zu mir selbst zurück. Müdigkeit steckt tief in meinen Knochen, doch ich spüre, dass ich jetzt nicht schlafen könnte, selbst wenn ich es wollte.

Mein Vater sagt kein Wort. Ich sehe, wie er seine Brille abnimmt und sich über die Augen wischt. Immer wieder rennen stumme Tränen über seine Wangen, doch dann hat er sich meist schnell im Griff, nur um im nächsten Moment gleich wieder loszuheulen. So geht das eine ganze Weile, bis die letzten Tränen versiegen und er aus tiefstem Herzen seufzt. Insgeheim bin ich froh, dass er aufgehört hat zu weinen, denn dadurch kam ich mir so hilflos und verloren vor.

„Ich bin dankbar dafür, dass du hier bist", sagt er.

„Ja, das bin ich auch", entgegne ich, obwohl ich mir noch nicht sicher bin, ob ich ihn leiden kann.

„Ich habe den Fehler gemacht, mich von meinem Vater abzuwenden. Diesen Fehler möchte ich nicht noch einmal machen. Ich wäre gern wieder ein Teil deines Lebens. Was hältst du davon?", fragt er.

„Ich weiß es nicht", antworte ich ehrlich, „wärst du das denn auch, wenn ich heute nicht hierher gekommen wäre?"

„Ja, das wollte ich schon immer", antwortet mein Vater, „aber das ist natürlich deine Entscheidung." Nicht ich habe mich von ihm abgewendet, sonder er sich von mir. Trotzdem brauchen wir einander und ich spüre, dass ich ohne ihn nicht weiter kommen werde. Auch nicht bei der Aufgabe, die Maria mir gestellt hat. Ganz egal, was ich von Maria halten mag, wenn wir das fünfte Element besiegen wollen, müssen wir zu Ende bringen, was sie begonnen hat.

„Ich denke, dass ich deine Unterstützung bei der Suche nach Leonardo schon gut gebrauchen kann", gebe ich zu. Nun ist es an mir zu seufzen. „Aber von Mum und Kate solltest du dich erst mal fernhalten."

Darauf erwidert mein Vater nichts mehr, sondern nickt nur. Das finde ich schade. Ich weiß nicht warum, aber ein Teil von mir hat erwartet, dass er die beiden unbedingt sehen will, nun da ich aufgetaucht bin.

„Dann werden wir wohl zu zweit nach Leonardo suchen", meint er.

„Wir sind zu dritt", beschließe ich, „Lucca steht auch auf meiner Seite."

„Diesem Lucca kannst du vertrauen", sagt er.

„Wie kommst du darauf?", frage ich. Währenddessen färbt sich die tiefschwarze Nacht um uns herum grau. Vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber ich meine, ganz hinten am Horizont über den Bergen einen schmalen Lichtstreifen zu erkennen, der einen neuen Tag ankündigt.

„Ich merke so etwas meistens recht schnell. Allein, wie er dich anschaut. Du bist ihm sehr wichtig, das sieht man."

Nicht schon wieder dieses Thema! Augenblicklich werde ich rot. Ich spüre, wie mir die Hitze buchstäblich ins Gesicht schießt. „Moment mal, also so wichtig bin ich ihm nicht. Wir kämpfen bloß gemeinsam gegen das fünfte Element", stelle ich klar.

„Oh, das dachte ich, entschuldige", lenkt mein Vater ein, „er wirkt auf jeden Fall ziemlich verliebt in dich."

„Um ehrlich zu sein, ist das nicht das Thema, über das wir nach dreizehn Jahren reden müssen", weise ich ihn zurück. Er versteht sofort und schweigt, während es um uns herum immer heller wird. Der schmale Lichtstreifen am Himmel verwandelt sich in orange-gelbe Sonnenstrahlen, die hinter den Bergen hervorlugen. Ein neuer Tag.

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