Schweigend laufen wir nebeneinander her. Es scheint, als brauchten wir keine großen Worte. Schließlich erreichen wir Steine, die zu einer Buhne aufgeschüttet sind und die ins Wasser ragen. Trotz des eisigen Windes setzen wir uns auf die Steine und schauen aufs Meer hinaus. Ich bin froh, dass ich nicht weiter laufen muss. Das hätte ich vermutlich nicht geschafft.
„Du siehst heute aber ebenfalls nicht besonders frisch aus", gibt Lucca zu bedenken, nachdem wir eine Weile geschwiegen und es einfach nur genossen haben, nebeneinander sitzen zu können.
„Ich hatte gestern meine letzte Prüfung", grummele ich. Ehe ich mich versehe, erzähle ich Lucca alles von der Party. Sogar von Philippe berichte ich, wobei ich mich aber nicht traue, Lucca anzusehen. Die Sache ist mir immer noch extrem unangenehm.
Auf meine Erzählung reagiert Lucca verärgert. Zuerst befürchte ich, dass er sauer auf mich ist, aber seine Wut richtet sich gegen Philippe. „Was bildet der sich bitteschön ein, dich einfach so zu küssen, obwohl du es gar nicht wolltest?", ruft er aus, „so ein eingebildeter Schnösel!" Eine Welle peitscht gegen den Stein, auf dem wir sitzen. Wassertropfen steigen in die Luft hoch und rieseln dann auf uns hinab. Zum Glück perlen sie an meiner Regenjacke ab, doch meine Jeans ist vollkommen durchnässt. Trotzdem bleibe ich neben Lucca sitzen. Obwohl mir das, was gestern passiert ist, unglaublich peinlich ist, so tut es doch gut, jemandem davon zu erzählen.
Fröstelnd reibe ich mir über die Arme. Dann fahre ich mit meiner Erzählung fort und berichte, wie ich an diesem Morgen Antonio in unserem Badezimmer begegnet bin. „Das war bestimmt unangenehm", meint Lucca verständnisvoll.
Ich schnaube. Unangenehm trifft es nicht mal annähernd. Ich hätte an diesem Morgen gern weniger von Antonio gesehen. Aber um ehrlich zu sein, ist das nicht mal die Sache, die mich am meisten daran stört.
„Weißt du, er ist vielleicht wie alt? Maximal Mitte dreißig. Meine Mutter ist einundvierzig. Er ist doch viel zu jung für sie. Was will sie denn mit ihm? Sie stürzt sich Hals über Kopf in etwas herein und am Ende müssen das wieder Kate und ich ausbaden, weil sie bestimmt wieder umziehen möchte, wenn das mit ihm auseinander geht", beschwere ich mich. Um ehrlich zu sein habe ich genug von meiner Mutter und ihrem Liebesleben. Diesmal kann sie nicht einfach wieder alle Zelte abbrechen und weglaufen, wenn die Sache mit Antonio schiefgehen sollte.
„Also ich finde nicht, dass er zu jung für sie ist. Das wären ja nichtmal zehn Jahre", gibt Lucca zu Bedenken, „außerdem ist doch die Hauptsache, dass sie glücklich ist. Du bist volljährig und im Herbst wirst du auf die Uni gehen. Du kannst machen, was du willst, selbst wenn deine Mutter aus Castiglione weg ziehen sollte." Ein bisschen ärgert es mich, dass Lucca Verständnis für meine Mutter aufbringt. Dadurch bekomme ich das Gefühl, im Unrecht zu sein. Dabei finde ich, sie verhält sich unmöglich.
„Hm", grummele ich nur. Hinter Luccas Worten steckt noch so viel mehr. Er hat Recht, ich bin volljährig und demnächst werde ich anfangen zu studieren. Allerdings habe ich keine Ahnung, wo und noch immer bin ich nicht in Planungslaune. Irgendwie habe ich das Gefühl, zuerst das fünfte Element besiegen zu müssen, bevor ich an die Uni gehen kann.
„Denkst du, dass ein normales Studium für jemanden wie mich möglich sein wird?", frage ich.
„Wie, für jemanden wie dich?"
„Naja, ich bin doch eine Elementträgerin."
„Achso ja... Nun um ehrlich zu sein, weiß ich das nicht. Für dich ist ein normales Leben wahrscheinlich genauso wenig möglich wie für mich. Aber man kann es zeitweise wenigstens versuchen." Für einen Moment schweigt er. Es wirkt, als wollte er noch etwas sagen, aber als sei er sich nicht sicher, ob er es tun sollte. Schließlich holt er tief Luft und fragt: „Welches Element beherrschst du denn?"
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Die Elemente
FantasyKate und ich wechseln einen erstaunten Blick. Das ist es also, Marias Geheimnis. Der Grund, aus dem sie uns ihr Tagebuch vermacht hat. "Unglaublich", flüstert meine Schwester. Sie scheint genauso erschüttert zu sein wie ich. Endlich haben wir die fe...