Auch am nächsten Morgen steckt die Freude auf ein Treffen mit Lucca noch tief in mir. Tatsächlich verleiht mir dieses Gefühl so viel Energie, dass ich im Meer schwimmen gehe, bevor der Badebetrieb so richtig los geht. Das im blassen Licht der Morgensonne grau schimmernde Wasser schwappt kühl gegen meine Knöchel, bevor ich in die Fluten stürze und das Leben an Land hinter mir lasse. Trotzdem fühle ich mich nach dem Schwimmen noch immer nicht ausgelastet, weshalb ich in der flirrenden Mittagshitze in den Schatten der Pinienwälder rund um Castiglione flüchte, um dort ein paar Kilometer zu laufen. Danach nehme ich den Hund meiner Großeltern auf einen Spaziergang mit. Erst da spüre ich, wie die Energie in meinen Muskeln allmählich verkocht.
Als die Schatten des Tages länger werden trudelt außerdem eine Nachricht von meinem Vater auf meinem Handy ein. Während ich die dunklen Buchstaben auf dem hell leuchtenden Hintergrund lese, beschleunigt sich der Puls in meinem Hals. Mein Vater nennt mir eine Uhrzeit und ein Restaurant für Freitag. Ich bin mir unsicher, ob ich ihm antworten soll, deshalb lasse ich es zunächst. Nach langem Überlegen entscheide ich mich aber schließlich doch dazu, ihm einen Emoji zu schicken, der mit dem Daumen nach oben zeigt.
Dann schnappe ich mir Kates Fahrrad aus dem Keller und radele in Richtung Palazzo Lido. Mit dem Rad bin ich um einiges schneller als ich erwartet habe und erreiche den Palazzo tatsächlich noch vor Lucca. Die Sonne neigt sich bereits dem Horizont entgegen und taucht alles in ein goldenes, glänzendes Licht. Ihre Strahlen küssen sanft und warm meine Haut. Als ich auf die Terrasse zwischen all die Pflanzen trete und plötzlich inmitten eines grünen Blätterwaldes stehe, komme ich mir ein bisschen vor wie ein Eindringling in Luccas privatem Raum. Vorsichtig beuge ich mich zu einer der Pflanzen herab. Mit den Fingerspitzen berühre ich die trockene, bröselige Erde an den Wurzeln. Ein kalter Wind kommt auf und ich reibe mir fröstelnd über die Arme.
Dann konzentriere ich mich jedoch wieder auf die Pflanze, die Musterung in ihren Blättern. Vielleicht gelingt es mir ja, eine Verbindung zu ihr aufzubauen. Womöglich muss ich nur aktiv auf die Suche nach meinem Element gehen, um es zu finden.
Ein schrilles Klingeln reißt mich aus meinen Gedanken. Erschrocken zucke ich zusammen, doch dann stelle ich fest, dass dieses Geräusch aus dem Handy in meiner Hosentasche kommt. Zuerst denke ich, es ist Lucca, der mich anruft und mir womöglich absagt, doch dann sehe ich Pietros Nummer auf dem Display. Was will der denn jetzt? Schweren Herzens nehme ich ab. Wer weiß, wie lange es dauert, bis Lucca kommt. Da kann ich in der Zwischenzeit auch genauso gut mit Pietro telefonieren.
„Hey, was gibt's?", frage ich ihn.
„Hey Brionny, soll ich dich gleich zu Massimos Party abholen?", antwortet er. Dabei klingt er locker und gelöst. So habe ich ihn in letzter Zeit selten erlebt.
Gleichzeitig überkommt es mich heiß und kalt. Scheiße! Massimos Party habe ich vollkommen vergessen! Aber ja, er hat uns am Montag für heute eingeladen. Für einen Moment bin ich hin- und hergerissen.
Da spüre ich, wie von hinten jemand seine Hände auf meine Hüften legt. Erschrocken fahre ich herum und sehe direkt in Luccas grinsendes Gesicht. Mein Magen kribbelt wie im Sturzflug und beinahe wäre mir das Handy aus der Hand gefallen. Na, da kommt Lucca ja genau zum richtigen Zeitpunkt.
„Du... ich kann heute nicht", stammele ich.
„Warum denn?", fragt Pietro enttäuscht, während Lucca fragend die Stirn in Falten legt.
„Ich... ich bin schon verabredet. Das mit der Party habe ich vollkommen vergessen", gestehe ich.
„Oh man, schade. Wir haben das doch ausgemacht... das... das finde ich jetzt echt doof... das wäre nochmal die Gelegenheit gewesen, mit allen zu feiern. Wer weiß, bald sind bestimmt schon viele weg. Ana fliegt auch in ein paar Wochen", mault Pietro. Ich verkneife mir zu sagen, dass mir das im Moment egal ist und dass statistisch gesehen die meisten jungen Leute in Italien sowieso bis in die zwanziger bei ihren Eltern leben werden.
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Die Elemente
FantasíaKate und ich wechseln einen erstaunten Blick. Das ist es also, Marias Geheimnis. Der Grund, aus dem sie uns ihr Tagebuch vermacht hat. "Unglaublich", flüstert meine Schwester. Sie scheint genauso erschüttert zu sein wie ich. Endlich haben wir die fe...