55. Auf der Flucht (2)

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Pietro und mein Vater betreten das Zimmer. Jeder von ihnen trägt eine weiße Einkaufstüte aus Plastik. Als sie sehen, dass ich wach bin, lässt Pietro seine Tüte fallen. „Brionny!", ruft er und stürmt auf mich zu. Er schließt mich in seine Arme. Dabei schießen unerträgliche Schmerzen durch meinen Brustkorb. Wieder zucke ich zusammen. Welche Nachwirkungen hat das Gift bloß hinterlassen? Hoffentlich wird das bald besser. „Oh Gott, du bist wach. Wie geht's dir?", platzt es aus ihm heraus.

„Ich weiß es nicht", stöhne ich. Pietro lässt von mir ab und betrachtet mich kritisch. Dabei legt er die Stirn in Falten.

„Du siehst auch ganz schön..." Er sucht nach einem passenden Wort. „...fertig aus." Zum Glück ist kein Spiegel in dem Raum, denn ich möchte gar nicht wissen, wie ich aussehe. Eigentlich fühle ich mich ja gut, aber nachdem was Lucca mir eben gesagt hat, kann ich mir gut vorstellen, dass das Gegenteil der Fall ist.

„Brionna." Mein Vater stellt seine Einkaufstüte vorsichtig auf dem Schreibtisch ab, dann kommt er auf mich zu. Er sieht beinahe noch trauriger und müder aus als bei unserer letzten Begegnung. Auch diesmal kommt er mir fremd und gleichzeitig doch so bekannt vor. „Es tut mir so leid", flüstert er. Allerdings macht er keine Anstalten, mich in die Arme zu schließen. Beinahe noch mehr als bei unserem letzten Treffen steht da eine Distanz zwischen uns. Vorsichtig legt er eine Hand auf meine Schultern und drückt dann ganz sanft zu.

„Es geht schon", sage ich, damit er mich wieder loslässt. Tatsächlich schiebt er mich ein Stück von sich weg und betrachtet mich kritisch. „Möchtest du irgendetwas, was trinken, was essen?"

„Trinken wäre glaube ich gar nicht schlecht", gebe ich zu. Pietro reicht mir eine zweite Coladose. Die kippe ich beinahe so gierig herunter wie die erste. Dann leere ich noch eine Wasserflasche. Obgleich ich so viel getrunken habe, fühle ich mich immer noch ein bisschen durstig. Ich muss wirklich eine Menge Flüssigkeit verloren haben. Außerdem hält Pietro mir eine Packung M&Ms entgegen und Gummibärchen, die ich einfach so mit beiden Händen in mich hereinstopfe, doch Süßigkeiten allein werden meinen Hunger wohl nicht stillen können.

Zum Glück hat mein Vater auch daran gedacht, ein paar Bananen einzukaufen. Ich stopfe zwei davon in meinen Mund und zermatsche sie genüsslich mit den Zähnen. Es kommt mir vor, als wären diese Bananen das Leckerste, was ich je gegessen haben habe. Ein Gefühl von Glück durchströmt mich.

Nun fühle ich mich doch etwas gestärkt und zuversichtlicher. Auch meine Stimme klingt nicht mehr schwach, sondern wie gewohnt, als ich zum Sprechen ansetze: „Was ist eigentlich mit den Cinquenti? Konnten wir sie abschütteln?"

Für einen kurzen Augenblick zieht sich mein Magen schmerzhaft zusammen. Hoffentlich ist es uns gelungen, die Cinquenti abzuschütteln, denn ich fühle mich zu schwach, um heute Nacht noch vor ihnen zu fliehen. „Nachdem wir ins Auto gestiegen sind, haben wir sie nicht mehr gesehen", sagt Pietro und zuckt mit den Schultern.

„Ich weiß auch nicht, wo sie sind", fügt Lucca hinzu, „als ich meinen Ohrring anhatte, habe ich nur gespürt, dass sich die anderen vier von hier entfernen. Wohin kann ich nicht sagen, aber sie sind erst mal weg. Das ist die Hauptsache."

Erleichterung durchströmt meine Lungen. Lucca hat Recht. Für den Moment reicht das. Hauptsache, wir sind in Sicherheit. Woher sie von uns wissen und was sie in Siena wollten, können wir auch später noch in Erfahrung bringen.

„Was machen wir jetzt?", frage ich.

„Du ruhst dich jetzt aus und dann schauen wir weiter", sagt Lucca. Er wechselt einen Blick mit Pietro. Der nickt nur. „Wir entscheiden jetzt gemeinsam, was wir machen wollen. Ich habe den Geheimbund zunächst nicht informiert. Du musst uns erst mal noch einiges erklären, Brionny", verlangt er von mir. Zum einen bin ich erleichtert, dass er dem Geheimbund nicht Bescheid gesagt hat und dass ich mich nun nicht auch noch vor Giacomo für meine Beziehung zu Lucca rechtfertigen muss. Gleichzeitig habe ich jedoch keine Lust, mich mit Pietro auseinander zu setzen.

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