52. Die Jagd (1)

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Hinter Serafino setzt sich Hector in Bewegung und kommt auf uns zu. Seine Arme scheinen wenige Zentimeter neben seinem Körper in der Luft zu schweben. Er bewegt sich abgehackt. Fast als wäre er eine Maschine, die nicht richtig läuft. Die Luft um ihn flimmert regelrecht. Auch er hat im Gesicht deutlich abgenommen. Seine Wangenknochen stehen hervor und unter seinen Augen liegen schwere Schatten. Gleichzeitig strotzt er nur so vor Kraft.

„Wir müssen hier weg!", ruft Lucca mir zu und stößt mich von sich fort. Doch ich kann mich nicht bewegen. Der Anblick der Cinquenti nimmt mich vollkommen gefangen. Jeder von ihnen wirkt krank und dennoch lebendiger als je zuvor. Das muss am fünften Element liegen.

„Brionny komm!", ruft Lucca, nun deutlich lauter und panischer. Diesmal packt er mich am Handgelenk und zieht mich mit sich. Wie von selbst setzen sich meine Beine in Bewegung. Meine Füße stolpern die Straße entlang. Hart schlagen meine Fußsohlen auf das Kopfsteinpflaster. Hinter mir braut sich etwas zusammen. Obwohl ich es nicht wage, mich umzudrehen, kann ich die Magie regelrecht spüren.

Aus den Augenwinkeln schaue ich zu Lucca hinüber. Er wirkt gehetzt. Er trägt seinen Ohrring nicht, sonst könnte er den Cinquenti etwas entgegensetzen. Oder aber Falcini würde versuchen, auch über Lucca die Kontrolle zu erlangen.

Ohne Vorwarnung umschlingt er meinen Oberkörper. Mit seinem ganzen Gewicht reißt er mich mit sich zu Boden. Ich schreie auf. Die Welt vor meinen Augen verschwimmt. Ich spüre den Aufprall, bevor er passiert. Wir schlittern über das Kopfsteinpflaster. Währenddessen zischt über unsere Köpfe eine Welle aus Energie. Sie ist so stark, dass ich eine Gänsehaut bekomme. Mein Magen krampft sich zusammen. Hätten wir noch gestanden, hätte uns diese Kraftwelle voll erwischt. Vorsichtig schaue ich hoch. Es ist, als könnte ich die Energie sehen, die an uns vorbei zischt. Für einen Moment ist es erstaunlich still. Als würde die Welt den Atem anhalten. Kaum eine Sekunde später schlägt die Energiewelle jedoch einige Meter von uns entfernt explosionsartig in eine Hauswand ein. Die Detonation ist so laut, dass meine Trommelfelle zum Zerreißen gespannt sind.

Lucca wirft sich schützend über mich. Eine zweite von der Explosion ausgelöste Druckwelle fegt über uns hinweg. Ich höre ein Knirschen und spüre, wie Steine auf uns herabrieseln. Im ersten Augenblick kann ich nichts sehen. Überall ist Staub, der uns wie ein dichter Nebel umgibt. Lucca ist jedoch schon wieder auf den Beinen und zieht mich ebenfalls hoch. „Weiter!", ruft er.

Die ersten Schritte schleift er mich mit sich. Ich stolpere, schaffe es aber die Füße wieder voreinander zu stellen. Blind laufe ich an Luccas Seite entlang. Von weit entfernt höre ich laute Schreie und wie jemand brüllt: „Ruft die Polizei!" und „Wir brauchen einen Krankenwagen!"

Mein Herz zieht sich zusammen. Wen hat das fünfte Element getroffen? Die Gasse, in der wir standen, war doch vollkommen verlassen. In dem Dunst kann ich nichts erkennen. Hoffentlich ist niemand verletzt. Kurz überlege ich, umzudrehen und nach weiteren Opfern der Explosion zu schauen, doch Lucca rennt unbeirrt weiter. Ich folge ihm. Wir müssen hier weg.

Plötzlich biegen wir scharf links in eine Gasse ab. Auch hier ist kein Mensch zu sehen. Mit klopfendem Herzen hasten wir zwischen den eng beieinander stehenden Häusern entlang, bis wir zu einer Treppe gelangen, die steil bergauf führt. Nebeneinander sprinten wir die Stufen hoch. Die Muskeln in meinen Beinen brennen, die Luft in meinem Brustkorb sticht. Ich setze alle Kraft, die ich habe in meine Bewegungen. Nur weiter!

Wir rennen um unser Leben. Als kurz über die Schulter zurück schaue, stelle ich fest, dass die Cinquenti uns direkt auf den Fersen sind. Sie hetzen regelrecht hinter uns her. Als wären sie auf der Jagd.

Plötzlich wird eine Mülltonne, die vor einem der Häuser steht, von einer unsichtbaren Hand hochgehoben. Müllsäcke und Plastikverpackungen wirbeln durch die Luft. Die Mülltonne zischt knapp über unsere Köpfe. Dann kommt sie kurz vor den Cinquenti auf dem Boden auf, rollt auf sie zu und reißt die vier von den Füßen. Erstaunt drehe ich mich um.

Die ElementeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt