Wie angekündigt steigen wir in Siena um in die nächste Regionalbahn, die uns nach Florenz bringt. Hier sind viel mehr los als im Zug von Grosseto. Es ist immer noch früh am Tag und um diese Uhrzeit sind hauptsächlich Pendler und Schulkinder unterwegs. Trotzdem ergattern wir zwei freie Plätze am Fenster. Die hügelige Landschaft der Toskana zieht an unseren Augen vorbei. Die ersten Stunden des Morgens werden in ein gleißendes, helles Licht getaucht. Luccas Knie stoßen leicht gegen meine, als er seinen Rucksack auf dem Boden vor sich abstellt. Dann setzt er sich und unsere Beine berühren sich sanft. Ich spüre wie mein Blutdruck und Puls ansteigen, doch ich schiebe das auf den Rest des Kaffees, dessen glänzend schwarze Oberfläche noch immer in der Tasse zwischen meinen Fingern dampft.
Während wir im Zug sitzen, zeigt mir Lucca Abzüge aus dem Buch, das er in Falcinis Auftrag aus dem geheimen Archiv geholt hat. Macht der Artefakte von Simone Belluco. Er hat tatsächlich Wort gehalten und das Buch tatsächlich noch einmal in die Finger bekommen, obwohl die Gefahr bestand, dass er von Falcini dabei erwischt wird. Wenn ich noch einen Beweis gebraucht hätte, dass ich Lucca vertrauen kann, so ist er hiermit erbracht. Dankbar nehme ich die kopierten Buchseiten entgegen und blättere sie durch.
„Wie hast du das gemacht?", frage ich staunend.
„Ich habe sie mit meinem Handy abfotografiert und dann im Copy Shop ausgedruckt", gesteht er und lächelt dabei. Wieder wird dabei sein ganzes Gesicht von den positiven Gefühlen erfasst, sodass seine Augen so eigenartig leuchten.
Schnell wende ich mich von ihm ab und den kopierten Seiten zu. Tatsächlich erfahre ich nicht viel Neues. Hauptsächlich wird beschrieben, was Artefakte sind und wie sie funktionieren. Ein Kapitel über die Herstellung der Artefakte hat Giacomo sogar selbst geschrieben. Für den Geheimbund mag das Buch wohl nicht von großem Informationswert sein. Die Frage, die sich jedoch aufdrängt ist, was Falcini davon lernen kann.
Als ich Lucca danach frage, zuckt er nur mit den Schultern. „Von dem fünften Element gibt es, abgesehen von dem Diamant, in dem die Magie des Elements steckt, keine Artefakte", erklärt er, „vor ein paar Jahren hat Falcini mal mit Pfeilen experimentiert, mit denen er versucht hat, andere Menschen mit dem fünften Element zu vergiften. Das war schon ziemlich effektiv, aber er hat diese Pfeile nie wirklich benutzt."
Obwohl es mich nicht verwundern dürfte, bin ich trotzdem überrascht, wie viel Lucca mir bereitwillig erzählt. Ich blättere die Seiten des Buches noch ein wenig durch, dann stecke ich sie in meinen Rucksack. Was Artefakte angeht, so habe ich an diesem Tag für jedes der vier Elemente ein Artefakt mitgenommen. Wer weiß, wofür ich die noch gebrauchen kann.
Der Zug braucht knapp eine Stunde bis nach Florenz. Am Fahrkartenautomaten kaufen wir uns ein Ticket für den nächsten Zug nach Bologna. Auch dort finden wir ein Abteil für uns ganz alleine. Als ich Platz nehme und der Zug ruckelnd losfährt, überkommt mich eine matte Müdigkeit. Ich merke, wie ich meine Augen kaum noch offen halten kann. Das Bild vor meinen Augen flimmert und verschwimmt. Ständig klappen meine Lider hinunter. Anfangs wehre ich mich dagegen und hebe sie immer wieder, doch schließlich schlafe gegen Luccas Schulter gelehnt ein.
Ich wache erst kurz vor Bologna mit knurrendem Magen auf. Der zarte Geruch von Luccas Parfum steigt mir in die Nase und ich hätte mich am liebsten fester an ihn gekuschelt, um die Augen noch für ein paar Minuten zu schließen und in meinen Gedanken zu versinken. Doch dann ertönt die Durchsage des Zugführers, dass wir den Bahnhof in Bologna fast erreicht haben. Augenblicklich reiße ich die Augenlider nach oben, richte mich kerzengerade auf und bin plötzlich in einer ganz anderen, lauten Welt.
Die Euphorie des Vormittags ist verschwunden und hat schlechter Laune und Zweifeln Platz gemacht. Mir ist nicht sonderlich nach Reden und auch Lucca sagt nichts. Er hat Kopfhörer in den Ohren und starrt aus dem Fenster. Ich beobachte, wie seine dunklen Augen dabei wild hin und her zucken.
DU LIEST GERADE
Die Elemente
FantasyKate und ich wechseln einen erstaunten Blick. Das ist es also, Marias Geheimnis. Der Grund, aus dem sie uns ihr Tagebuch vermacht hat. "Unglaublich", flüstert meine Schwester. Sie scheint genauso erschüttert zu sein wie ich. Endlich haben wir die fe...