18. Ein lang ersehntes Ende (3)

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Seine Lippen sind weicher, als ich vermutet habe, dafür ist sein Kinn aber rau und stoppelig.

KLIRR! Das Zerspringen von Glas reißt mich aus meinen Gedanken und ich schiebe Philippe von mir fort. Zuerst befürchte ich, wir hätten eines der Gläser oder gar die Wasserkaraffe vom Tisch geworfen, doch dann fällt mein Blick auf den Basilikum, der in einem Tongefäß neben der Spüle stand. Das Gefäß ist komplett zersprungen. Überall liegen Erdklumpen herum. Was mich aber noch mehr verwundert, ist die Basilikumpflanze, die ein gutes Stück gewachsen zu sein scheint. Außerdem weist sie an den Enden dicke Wurzeln auf, die bestimmt niemals in das kleine Tongefäß gepasst hätten.

„Was ist das?", frage ich erschrocken, „war ich das etwa?"

„Nein, das war ich", gesteht Philippe und sieht dabei schuldbewusst auf die Sauerei. „Das... sowas passiert immer, wenn meine Gefühle zu intensiv werden..." Seine ohnehin schon rot glänzenden Wangen werden noch dunkler. Ihm ist die Situation sichtlich unangenehm und mir auch. Der Alkohol drückt pulsierend auf meine Schläfen, aber die betrunkene, willenlose Brionny lasse ich trotzdem hinter mir zurück.

Schnell befreie ich mich aus Philippes Umarmung. „Ich denke, das is keine gute Idee", sage ich bestimmt zu ihm.

„Was denn?", fragt er und legt die Stirn in Falten. Ich seufze. Dafür, dass er sonst so schlau tut, steht er nun aber ganz schön auf dem Schlauch.

„Na das mit uns. Dass wir uns küssen", stelle ich klar. Wenn ich ehrlich zu mir bin, hätte ich das an Silvester schon nicht zulassen sollen. Umso mehr ärgert es mich, dass ich es nun noch einmal so weit habe kommen lassen. Damit ist jetzt Schluss!

„Aber wir sind beide Elementträger", argumentiert Philippe, „das passt doch ideal." Für einen Moment wirkt er regelrecht fassungslos. So als könnte er gar nicht glauben, dass ich ihn soeben zurückgewiesen habe.

„Ja, wir sind beide Elementträger, aber dadurch werden wir nicht automatisch zum perfekten Paar", erkläre ich ihm, „es gehört mehr dazu, verstehst du?"

Doch Philippe sieht nicht so aus, als würde er mich verstehen. Stattdessen schüttelt er nur langsam den Kopf und öffnet den Mund, so als würde er nach den richtigen Worten suchen, sie aber nicht finden. Nur langsam presst er die Lippen wieder aufeinander. Ein bisschen kommt er mir vor wie ein Fisch, der nach Luft schnappt.

„Es tut mir wirklich leid", füge ich hinzu. Dabei traue ich mich gar nicht, Philippe anzusehen. Die ganze Situation ist mir so unangenehm, dass ich mich am liebsten auf der Stelle in Luft aufgelöst hätte.

Schließlich räuspert sich Philippe. „Wie willst du wissen, dass wir nicht das perfekte Paar wären, wenn du es nicht probierst?", fragt er. Doch ich schüttele nur den Kopf. „Manche Sachen weiß man einfach", erwidere ich. Ist das denn so schwer zu verstehen?

Scheinbar schon, denn Philippe setzt erneut zum Sprechen an. „Aber..."

„Kein aber", unterbreche ih ihn unwirsch, „das ist jetzt einfach so, okay?"

Mit diesen Worten drehe ich mich um, stürme aus der Küche und durchs Wohnzimmer zurück in das Partytreiben. Nur weg von Philippe. Mein Herz pocht wie wild und ich kann nicht so richtig begreifen, was soeben passiert ist. Komischer Tag. Komische Situation. Komischer Philippe. Komische Brionny. Komische Welt.

Auf der Terrasse der Bellucos ist eine Menge los. Meine Mitschüler haben die Musik noch lauter aufgedreht und beginnen nun zu tanzen. Hey Mambo, Mambo italiano... Neben mir steht Pietro und wackelt mit den Hüften. Gemeinerweise sieht das sogar bei ihm gut aus. Wütend schnappe ich mir den Becher, den er in der Hand hält. Ohne nachzuschauen, was er da gerade trinkt, kippe ich den Inhalt dieses Bechers auf Ex herunter. Danach hätte ich mich fast übergeben, so widerlich ist das Schnaps-Gemisch, das er da getrunken hat. Doch meine Aktion wird mit lautem Gejubel registriert. Selbst Pietro sieht begeistert aus, dabei habe ich ihm gerade sein Getränk geklaut.

„Noch mehr", ruft er und stellt für uns beide gleich die nächste Mische zusammen. „Wer als erstes fertig ist", sagt er und hält mir den Becher entgegen. Wir prosten einander zu und kippen das Zeug dann auf Ex weg. Beinahe zeitgleich setzen wir die Becher ab und fallen uns in die Arme. „Unentschieden", brüllt Pietro in mein Ohr. Über Pietros Schulter sehe ich, wie Philippe ebenfalls wieder den Poolbereich betritt. Schlagartig vergeht mir die Lust zu feiern. Ich verziehe mich zu Stella, die als Einzige noch nüchtern ist.

„Alles okay?", fragt sie, als ich mich kraftlos neben ihr auf eine der Liegen am Pool fallen lasse. „Ja", stöhne ich. Dabei fühle ich mich nicht so, als sei alles okay. Die Lust aufs Feiern ist vergangen und ich fühle mich viel zu betrunken. Komischer Tag. Komische Party. Komische Brionny.

Nach der Anspannung der letzten Wochen will ich mich einfach nur noch hinlegen und schlafen. Deshalb bin ich ziemlich froh, als Massimo, der ebenfalls in Castiglione della Pescaia wohnt, von seinem Vater abgeholt wird und fragt, ob er mich mit nach Hause nehmen soll. Ich verabschiede mich von Pietro und Stella, dann klettere ich hinter Massimo ins Auto. Jedoch nicht ohne mir dabei den Kopf an der Tür zu stoßen. Oh Mann! Es wird Zeit, dass ich ins Bett komme.

Massimos Vater beglückwünscht uns zu den abgelegten Prüfungen. Falls er merkt, wie betrunken wir sind, lässt er dazu kein Wort verlauten, was ich ihm ziemlich hoch anrechne. Auch dass sein Sohn tropfnass ist, weil er im Pool schwimmen war, nimmt er einfach so hin. Statt uns weiter nach den Prüfungen und der Party zu fragen, dreht er das Radio voll auf und schweigt. In Castiglione setzt er mich direkt vor meiner Haustür ab. Gottseidank, denn ich könnte keinen Schritt mehr laufen. Bevor ich aussteige, bedanke ich mich bei ihm.

Dann stolpere ich schwankend die Stufen bis zur Tür hoch. Zum Aufschließen brauche ich mehrere Versuche, aber schließlich klappt es. „Hallo... jemand da?", rufe ich, aber ich erhalte keine Antwort. Also scheinbar nicht. Gottseidank. Auch wenn es Mum und Kate wohl ziemlich egal wäre, möchte ich ihnen nicht unbedingt in diesem Zustand begegnen.

Im Flur liegt ein Päckchen für mich. Ich klemme es mir unter meinen Arm und schleppe mich hoch in mein Zimmer. Dort reiße ich das Päckchen sofort auf. Es enthält das Buch von Antonio Toscani, das ich mir auf Marias letztes Rätsel hin bestellt habe. Na endlich! Wurde auch mal Zeit! In den letzten Wochen habe ich das Buch beinahe komplett vergessen. Es ist schließlich schon eine Weile her, dass ich es bestellt habe.

Bevor ich mir das Buch jedoch genauer ansehen kann, gleitet es aus meinen Fingern und fällt aufgeschlagen zu Boden. Komischer Tag. Komisches Buch. Komische Trunkenheit.

Ächzend bücke ich mich, um das Buch aufzuheben. Dabei fällt mein Blick auf die aufgeschlagene Seite. Es ist die Letzte mit Informationen über den Autor. Erschrocken halte ich den Atem an und hätte das Buch um ein Haar wieder fallen lassen. Ist es nur mein betrunkener Kopf oder starrt mir da von dem schwarz-weiß Fotos des Autors tatsächlich das Gesicht meines Vaters entgegen?

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