Jimmy - Ein neuer Lebensabschnitt

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Mein Geburtstag stand vor der Tür. Gerne hätte ich Noah an diesem Wochenende bei mir gehabt, doch ich wollte Anna und Paddy nicht schon wieder um etwas bitten. Sie managten bereits die Besuchszeiten und das war mehr, als ich verlangen konnte. Diese funktionierten super, doch Chiara hatte ich seit über acht Monaten nicht mehr gesehen. Noch immer vermisste ich sie sehr. Wann würde das endlich aufhören? Ich lud alle meine Geschwister ein, um meinen Geburtstag zu feiern. Zusammen mit Meike, stand ich in der Küche um etwas vorzubereiten, als ich Blicke auf mir spürte. Langsam drehte ich mich um und sah SIE. Zuerst dachte ich, ich würde halluzinieren. Doch als ich Meikes ungläubigen Blick sah, wusste ich, dass ich meinen Augen trauen konnte. „Ich lasse euch kurz allein", sagte meine Frau und ging zu den anderen. Ich trat zu Chiara vor die Tür. In ihren Armen hielt sie meinen Sohn. Meine Gefühle fuhren Achterbahn. Als ich sie erblickte stockte mir der Atem. Diese Frau brachte mich um den Verstand. Am liebsten hätte ich sie sofort in meine Arme gezogen. Ich konnte mich kaum zurückhalten. Augenblicklich wurde ich wütend auf mich selbst. Leider benutzte ich sie erneut als Ventil. Bewusst tat ich ihr weh. „Wann gehst du zur Presse?" An ihrem verdutzten Blick sah ich, dass sie meinen Gedanken nicht folgen konnte. „Wie bitte? Hast du sie noch alle? Du kennst mich scheinbar nicht. Denkst du ich habe das geplant und dich reingelegt? Hast du auch nur irgendwo, irgendetwas über mich und Noah gelesen?" „Nein", gab ich klein bei. Wütend presste sie hervor: „Wie auch. Du bist ja nicht mal als sein Vater registriert!" Sofort wollte sie mir Noah entreißen, doch das ließ ich nicht zu. Diese Information war mir neu und katapultierte mich in die Realität. „Was? Wie meinst du das?" „Nach der Geburt habe ich beim Namen des Vaters „unbekannt" eintragen lassen." Ich wusste nicht was ich darauf sagen sollte. Doch dieses Thema würden wir mit Sicherheit noch einmal besprechen. Jetzt war ich noch wütender. „Was willst du Chiara?", fragte ich süffisant. „Ich möchte, dass du Noah zukünftig länger bei dir hast. Ich wünsche mir, dass er nicht nur Daddy zu dir sagt, sondern dich auch als das sieht." „Das ist kein Problem. Ich habe das bereits mit Meike besprochen. Auch wir wollen viel Zeit mit ihm verbringen." Chiara versuchte ihre Aufgebrachtheit zu überspielen. Doch ich hatte sie durchschaut. „Falls es möglich ist, hätte ich gerne, dass du Englisch mit ihm sprichst. So könnte er zweisprachig aufwachsen." „Ok, das lässt sich einrichten. Wir reden oft Englisch untereinander. Was noch?" „Sollte er Interesse an Musik, oder an einem Instrument haben, möchte ich, dass du diese Seite förderst. Du weißt, ich bin die unmusikalischste Person auf dieser Erde." Ich lachte auf. Mir fiel ein, wie sie im Auto „Nanana" gesungen hatte. Durch die Erinnerung veränderte sich meine Stimmung augenblicklich. „Natürlich. Wir haben viele verschiedene Instrumente zu Hause. Er kann sich ausprobieren. Was ist mit Geld? Du hast alles was ich bisher an dich überwiesen habe, zurückgeschickt. Warum nimmst du das nicht an?" „Ich brauche dein Geld nicht, Jimmy. Wenn du es Noah unbedingt geben willst, leg ein Sparkonto für ihn an und überweise dein Geld dorthin. Du kannst es ihm geben wann immer du willst und er alt genug dafür ist." Ich starrte sie an. Unfähig etwas zu sagen. „Ich sollte gehen." Sie küsste unseren Sohn zum Abschied und plötzlich war sie ganz nah an meinem Gesicht. Die Spannung in der Luft war greifbar. Nur mit größter Anstrengung konnte ich mich beherrschen. „Ich kann nicht", flüsterte ich. Ihre Stimme versagte, lediglich ein Flüstern verließ ihre Lippen: „Ich weiß." Sie drehte sich um und lief die Treppen hinunter. Kurz schaute ich mich um, ob uns auch niemand beobachtet hatte. Dann ging ich mit meinem Sohn zu den anderen. Jeder hieß ihn in unserer Familie willkommen. Ich war erleichtert und glücklich, denn auch Patricia war heute wie ausgewechselt und drückte mich an sich. Paddy war der einzige der merkte, dass meine gute Miene teilweise nur aufgesetzt war. Das konnte ich in seinen Augen sehen. Mein Geburtstag wurde das ganze Wochenende gefeiert. Doch Samstagnachmittag wollte ich ein paar Stunden für mich sein und beschloss mit Noah spazieren zu gehen. Als ich gerade das Grundstück verlassen wollte, hielt Paddy mich auf. „Darf ich dich begleiten?" Ich zögerte, denn ich wusste, dass er seit gestern auf den richtigen Moment wartete um mit mir zu sprechen. „Komm schon Jimmy. Ich sehe doch, dass es dir nicht gut geht." „Ok." Paddy hatte Mia dabei. Beide schoben wir die Kinderwägen vor uns her und schwiegen uns an. Ich genoss die Stille. Irgendwann begann ich das Gespräch. „Ich bemühe mich wirklich, es mit Meike zu schaffen, das musst du mir glauben, Paddy. Sie hat so viel für mich getan, mir alles verziehen und liebt Noah. Sie nimmt ihn an, als wäre es ihr eigenes Kind. Aber immer öfter habe ich das Gefühl, mir selbst und meiner Frau etwas vorzulügen. Ich habe Chiara fast ein Jahr lang nicht gesehen, auch nicht mit ihr gesprochen. Dennoch denke ich ständig an sie. Als sie gestern vor mir stand, schlug mir mein Herz bis zum Hals. Danke übrigens, dass ihr das möglich gemacht habt. Noah an meinem Geburtstag bei mir zu haben, bedeutet mir einfach alles. Das meine ich ernst." „Keine Ursache. Wir machen das gern." Wieder schwieg ich. „Wie willst du weiter machen, Jimmy? Soll ich Lukas anrufen und ihm sagen, dass du kommst? Nimm dir doch endlich eine Auszeit und sprich mit ihm." Ich war unsicher. „Liebst du sie?" „Ja." „Was ist mit Meike? Liebst du sie auch?" „Ja natürlich. Wir sind schon über zehn Jahre verheiratet. Aber es fühlt sich mittlerweile anders an, als meine Liebe zu Chiara." „Du hast dich für deine Frau wegen eurer Kinder entschieden. Habe ich recht?" Ich nickte. „Und seit gestern weißt du, dass du so nicht länger leben kannst und willst. Deine Entscheidung hat sich geändert in dem Moment, als sie vor deiner Tür stand." „Ja." „Nun hast du deine Antwort, Jimmy. Die Frage ist, was wirst du tun?" Mein kleiner Bruder hatte Recht. Ich konnte mir und vor allem meiner Frau nichts mehr vormachen. Es würde nie wieder so werden wie es war und die Liebe zu Chiara war mächtiger als ich es mir je eingestehen könnte. „Ich werde mit Meike sprechen und versuchen ihr alles zu erklären. Oh Gott, ich darf gar nicht daran denken. Das wird sie umbringen." Paddy nickte. „Ich bin da. Egal welchen Weg du gehen willst. Anna und ich stehen dir zur Seite." Ich umarmte meinen Bruder und dankte ihm.

Meike merkte ebenfalls, dass sich etwas verändert hatte. Als wir nach dem Geburtstagswochenende wieder zuhause waren, bat ich sie um ein Gespräch. Nur schwer brachte ich meine Gedanken über meine Lippen. Ich erklärte ihr, dass ich so nicht weiterleben konnte und auch nicht wollte. Meine Gefühle hatten sich verändert und ich musste ihr all das sagen. Meine Frau begann zu weinen. Sie wusste, dass ich nicht nur ausziehen würde, sondern mich soeben von ihr trennte. Ich hatte Angst, dass sie wieder zusammenbrechen würde. Doch ich wollte niemandem mehr etwas vorlügen. „Ziehst du zu ihr?" „Nein natürlich nicht. Sie weiß nichts von meinen Plänen. Ich werde mir eine Wohnung nehmen. Die Kinder können jederzeit zu mir kommen. Ich werde immer für euch da sein, Meike. Das meine ich ernst. Ich werde dich überall unterstützen." „Aber nicht mehr so wie davor." „Nein", antwortete ich leise. Wir weinten beide, weil wir nicht geschafft hatten, was wir uns vor Jahren versprachen. Meine Tränen galten auch meinen Kindern, weil ich sich nicht mehr jederzeit sehen konnte und das tat mir unfassbar weh. Als ich alles mit Meike geklärt hatte, packte ich meine Sachen und verließ unser gemeinsames Zuhause. Meine Gefühle überwältigten mich. Traurigkeit und Erleichterung in gleichen Maßen.
Eine Wohnung war Gott sei Dank schnell gefunden. Mein Apartment war nicht groß und die Möbel, die ich abgelöst hatte, gefielen mir nicht sehr gut. Doch vorerst hatte ich keine Wahl, denn ich wollte so schnell als möglich aus unserem Haus ausziehen. Das wichtigste war, dass sie in der Mitte von Meikes und Chiaras Wohnung lag. Eigentlich wollte ich nur Paddy und Anna über meine Pläne einweihen, doch auch meine Frau wollte mit jemanden über unsere Situation sprechen. Somit wussten auch Patricia und Kira Bescheid und bald der Rest der Familie. Im Prinzip war es egal, denn ich stand zu hundert Prozent hinter meiner Entscheidung. 

Butterflies in my BellyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt