1 - Die Flucht

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Noch einige Meilen. Mein Herz hämmerte im schnellen Tempo gegen meine Brust, während ich meine vom kalten schweiß bedeckten Hände gegen mein Kleid presste.
Zum Glück hatte ich mir neben Proviant auch bequemere Kleidung eingepackt, denn in diesem Kleid wäre ich nicht einmal einige Schritte weit gekommen, ohne an irgendeinem Ast hängenzubleiben und mir bei meinem Glück das Genick zu brechen.
Ich hasste es. Dieses Kleid. Diese Aufgabe, zu der mein Vater mich zwang. Ich hasste es hin und her geschoben zu werden, als wäre ich nicht mehr als ein Joker,
den man dann verwendete, wenn alles andere nicht mehr passte.
Vielleicht habe ich Glück und sie würden denken ich wäre Tot. Vielleicht würden sie es akzeptieren.
Die Hoffnung war gering, doch sie war da und ich hielt daran fest. Nun, denn die Alternative wäre nämlich nicht angenehm.
Sie bedeutete einen Wettkampf gegen die Zeit zu führen.
Denn wenn sie nach mir suchen, wenn sie Farin nach mir ausschicken sollten, den Fährtenleser meines Reiches, welcher noch dazu ein elender Sadist ist...ich wüsste nicht wie es mir ergehen würde, sollte man mich finden.
Ich nahm ein großes Risiko auf mich und ich wusste noch immer nicht ganz, ob es die richtige Entscheidung sein würde meinem Königreich zu entsagen.

~~~

Ich hörte die Hufen der Pferde auf dem Waldboden. Die Sonne war untergegangen und unsere Rast ist wenige Stunden her. Mit zitternden Fingern schob ich die Vorhänge zur Seite und blickte in den dunklen Wald hinaus. Es war soweit. Es musste jetzt sein.
Leise zog ich mein Kleid aus und tauschte es gegen eine Hose, eine weite Tunika und Stiefeln aus. Nachdem ich mir den dunkelbraunen Umhang mit einer Kapuze übergestreift hatte, blickte ich nochmals aus dem Fenster.
Ich hatte mir den Wald der Stille bewusst ausgesucht. Er war zwar nicht ganz ungefährlich, doch ich könnte mich durchschlagen. Diese Tatsache hatte ich dem General meines Vaters, Ather Dagaan zu verdanken. Ich wusste nicht, ob es daran lag das Ather und seine Frau Sarane Dagaan keine Kinder zeugen konnten und er mich deswegen unter seine fittiche nahm, wenn niemand hinsah, oder daran, dass ich meinem Vater grundsätzlich egal war.
Es war im Grunde unwichtig, denn letztendlich verdankte ich diesem Mann alles. Dank ihm wusste ich, wie man kämpfte und überlebte.
Dank ihm hatte ich nun den Mut dazu die Tür zur Kutsche zu öffnen, meine Tasche an mich zu nehmen und hinauszuspringen.
Der kalte Wind peitschte mir entgegen und ich fiel und rollte mich unsanft in Richtung des Waldes ab.
Der Sturz zerrte an meinen Nerven, da der Aufprall höllisch weh tat. Ich spürte die Schürfwunde an meiner Hand, als ich den Fehler machte sie auszustrecken.
Ein dumpfer Schmerz explodierte im nächsten Moment an meiner rechten Hüfte und meinem Arm und presste mir die Luft aus meiner Lunge.
Trotzdem zwang ich mich den Schrei, der sich bildete, hinunterzuschlucken, um unbemerkt zu bleiben.
Ein Mucks und der Kutscher hätte mich gehört.
Ein Mucks und mein ganzer Plan wäre ein missglückter Versuch einer 17 Jährigen Rebellin, die das vorgesehene Leben für sich nicht akzeptierte.
Nun ich hatte das Glück auf meiner Seite.
Eigentlich hätten mich mehrere Wachen und gefühlt ein ganzes Fußvolk zum Erdreich begleiten sollen. Doch nach einer Abstimmung wurde schnell klar, dass es eine Kutsche ohne Wappen sein sollte.
Denn hätte das Sternenreich Wind davon bekommen, dass eine Allianz zwischen dem Sonnenreich und dem Erdreich vorgesehen war, dann wäre unsere Reise alles andere als gemütlich ausgefallen.
Das Sternenreich hätte es zu verhindern gewusst.
Sie waren mächtig.
Viel zu mächtig, weshalb mein Vater wohl an dieser Allianz so festhielt.
Denn das Erdreich ist ein sehr wankelmütiges Reich.
Man könnte jetzt meinen das Erdreich wäre eine graue Zone. Das Reich, welches sich immer heraus hält.
Nein, das Erdreich tritt dann vor, wenn sie ihre Vorteile daraus ziehen können. Ich war dieser Vorteil.
In meinen Adern fließt das Blut unseres alten Volkes.
Die Macht in meinen Adern sollte sich zwar erst mit meinem Aufstieg entfachen, doch schon jetzt wurde ich genau wegen dieser Macht benutzt.
Und da für die Thronfolge meine zwei älteren Brüder vorgesehen waren, war ich nicht mehr Wert als Vieh, welches zum Verkauf stand.
Während meine Gedanken sich ihren Weg bahnten, begutachtete ich meine zugezogenen Verletzungen.
Meine Hand blutete leicht und meine komplette rechte Seite fühlte sich taub an. Ansonsten ging es mir prächtig dafür, dass ich aus einer fahrenden Kutsche gesprungen bin.
Mein Blick huschte ein letztes mal in Richtung der längst verschwundenen Kutsche, während ich blind nach dem Verband in meiner Tasche Griff.
Nach einigen Schritten weiter in den Wald hinein, versorgte ich meine Hand.
Nachdem ich das Verbandszeug wieder in die Tasche verstaut hatte, zog ich den Dolch heraus und schnallte diesen an meinen Oberschenkel. Den Schmuck behielt ich, denn sollte es knapp werden brauchte ich Münzen. Und dieser Schmuck verhalf mir definitiv zu einer betrachtlichen Summe.

Hier war ich nun. Mein Plan war aufgegangen.
So lebendig hatte ich mich seit Jahren nicht mehr gefühlt.
Ich lächelte zum kaum sichtbaren Himmel hinauf und sog die kalte Nachtluft in mich ein.
Mit geschlossenen Augen lauschte ich Stumm in den Wald hinein und war verwundert über die Stille. Zu hören war nur der Wind, welcher die Blätter zum rascheln brachte. Der Duft nach nasser Erde und Kiefern stieg mir in die Nase. Jetzt wusste ich warum dieser Wald den Namen ,,Wald der Stille" trug.
Mit meinen Fae Ohren hätte ich weitaus mehr hören müssen, auch wenn ich noch nicht meinen Aufstieg hinter mir hatte. Doch so war es nicht.
Ich genoss diese Ruhe. Und mit einem mal wurde mir etwas bewusst.
Ich war frei und auch wenn ich nicht wusste, ob ich es schaffen konnte das auch weiterhin zu bleiben...für den Moment war ich es. Ein freies Mädchen.
Und als freies Mädchen lief ich nun in den Wald hinein und blickte nicht mehr zurück.

Kaleana & Tarven - Das SternenreichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt