Ich lächle in den Kuss hinein, als Tua mich in seine Wohnung zieht, kaum dass er mir die Tür geöffnet hat.
"Es riecht total lecker", schnurre ich. "Hast du die Pilzpfanne für uns gemacht?"
"Ja, aber iss nicht zu viel davon. Ich hab dir außerdem deine Lieblingschips besorgt." Während ich bis über beide Ohren strahle, schiebt mein Freund mich in die Küche. Als ich vorhin absagen musste, weil ich nicht rechtzeitig mit meinen Aufgaben auf Arbeit fertig geworden bin, konnte ich ja nicht ahnen, dass er sich derart reinhängen würde für unseren gemeinsamen Abend in dieser Woche. Überrascht schaue ich zu ihm auf.
"Ist was passiert?", frage ich. "In der Sitzung heute vielleicht?", präzisiere ich noch einmal. Tua schüttelt den Kopf. Er hält inzwischen zwei Teller in die Hand, auf denen er unser Abendessen anrichtet.
"Mit meiner Kindheit sind wir durch. Der Wahnsinn überrollt mich aber beim nächsten Mal, wenn wir über den Beginn meiner Pubertät sprechen."
"Deine Jugend war eine aufwühlende Zeit, und das ist noch milde ausgedrückt", kommentiere ich, schlinge beide Arme von hinten um ihn. Er haucht mir einen Kuss auf den Scheitel, ehe er mir meinen Teller in die Hand drückt. Ich stelle ihn auf dem Esstisch ab und sinke vorsichtig auf einen Stuhl. In den letzten Stunden kurz vor Feierabend bin ich ewig von hier nach dort gerannt, weil ich meinen Freund unbedingt von der Therapie abholen wollte. Am Ende habe ich mich verzettelt und musste meinen ursprünglichen Plan verwerfen. Der Duft der Pilzpfanne steigt mir in die Nase. Es freut mich, dass Tua die Zeit offenbar anderweitig zu nutzen wusste.
"Wie geht's dir?", frage ich ihn, als er sich zu mir setzt. Tua sieht mir nicht in die Augen, als er antwortet: "Ganz gut." Ich greife nach meinem Besteck und schaue zu, wie er den verbleibenden Löffel in der Mitte des Tisches zu sich ranzieht. Plötzlich besinnt er sich noch einmal und sieht mir doch in die Augen. Er lächelt.
"Ich freu mich, dass du hier bist."
Ein seltsames Gefühl überkommt mich. Irgendwas daran ist nicht ganz richtig. Prüfend scanne ich sein Gesicht. Seine Augen würden ihn sicher verraten, wenn es gar nicht ernstgemeint wäre. Aber er löst den Blickkontakt auf. Ich will nachhaken, doch dann ... Was, wenn es ihm ernst damit ist? Was, wenn ich die Harmonie eigenhändig ins Wanken bringe? Mit dem ersten Bissen versuche ich mein Misstrauen runterzuschlucken, aber auch mit dem zweiten und dritten, will es nicht klappen.
"Wie war dein Tag?", fragt er mich.
"Arbeitsreich", erwidere ich wahrheitsgetreu. "Ich hatte kaum Zeit, mir Gedanken darüber zu machen, wie's mir geht, aber ich freu mich auch, bei dir zu sein." Wieder lächelt er. Diesmal hält er den Augenkontakt sogar aufrecht. Ich muss an seine Worte denken, dass er es selbst schnell vergisst, wenn er mich belügt. "Irgendwie bin ich nicht so hungrig", murmle ich. "Obwohl's total lecker ist", füge ich noch hinzu.
"Was ist los?", fragt er mich und stupst unter dem Tisch mit seinen Zehen gegen mein Schienbein.
"Ich vermisse dich so schrecklich", platzt es unvermittelt aus mir raus.
"Ich dich auch", sagt er leise, und da ist sie: Die Traurigkeit. Sie hat sich zurück in seinen Blick geschlichen.
"Ein Abend pro Woche ist ganz schön hart für mich", gebe ich zu. "Die letzten Male waren so schön, ich will uns das nicht kaputt machen, indem ich die Frequenz unserer Treffen erhöhe." Tua steht auf und ich tue es ihm gleich. Wir umarmen uns.
"Mir geht's ganz genauso wie dir. Exakt so", betont er nachdrücklich und streicht mir eine Locke hinters Ohr. "Ich will dich um mich haben, aber ich möchte dich wirklich nicht verletzen und es lastet ein irrer Druck auf mir deswegen."
"Wieso Druck? Ich mache dir keinen Druck. Sei du, das ist alles, was ich brauche, um glücklich zu sein."
"Gott, ich liebe dich, du hast ja keine Ahnung", nuschelt er in mein Haar.
"Wir sollten essen, bevor es kalt wird", räuspere ich mich. "Du hast dir so viel Mühe gegeben heute."
"Ich komm nicht drüber hinweg, dass das selbstverständlich sein sollte. Du verdienst einen Freund, der dich so umsorgt."
"Aber dieser Mensch bist du für mich." Er sieht mir in die Augen.
"Deine Kindheit war nicht kindgerecht, manchmal scheinst du das zu vergessen." Er drückt mich noch eine Spur fester. "Du weißt nicht, wie das wirklich aussieht und wie es sich anfühlt, wenn sich jemand um dich kümmert." Statt etwas zu erwidern, schweige ich. Vielleicht hat er recht. Wahrscheinlich sogar. "Ich glaube, ich hab's auch unter anderem deswegen so leicht mit dir."
"Ist das schlecht?"
"Wer weiß", flüstert er und küsst mich auf den Scheitel. "Los, ich hab keine Lust am Tisch zu essen. Wir ziehen auf die Couch um. Geh mal vor und such einen Film aus."
"Mir ist egal, was wir gucken", gebe ich gelangweilt zurück.
"Alles okay?", fragt er.
"Ja ... Nein." Tua streichelt meine Wange. "Mir geht nicht aus dem Sinn, was du über mich gesagt hast. Dass ich noch besser darin bin, mich selbst zu verletzen, als du es bist." Mein Freund schüttelt den Kopf.
"Das mit Jess hat mich wütend gemacht."
"Später, kurz bevor du dich bei mir entschuldigt hast, hast du mit ihr gesprochen. Worüber?"
"Darüber."
"Und was genau hast du zu ihr gesagt?" Tua überlegt einen Moment und holt Luft.
"Ich hab ihr gesagt, sie soll keine Schlampe sein und dich abwimmeln, falls du zu ihr kommst und mit ihr reden willst."
"Du hast ihr verboten mit mir zu reden?", frage ich ungläubig. "Muss ich nochmal wiederholen, was ich damals schon meinte? Ich habe nicht vor, mich mit ihr anzufreunden."
"Das ist die Frau, mit der ich meine Ex-Freundin betrogen habe. Du hast sie begrüßt und noch Smalltalk mit ihr geführt. Ich will dir nicht vorschreiben, mit wem du abhängen sollst, aber du suchst dir echt Leute aus -" Er unterbricht sich, vergräbt das Gesicht kurz in den Händen. "Es tut weh, wenn du in meiner Vergangenheit wühlst, Iara. Wieso verstehst du das nicht? Ich bin derjenige, der dir davon erzählen sollte." Ich mustere ihn und mir wird das Herz schwer.
"Doch, ich verstehe, dass es wehtut. Aber es hat sich herausgestellt, dass du kein sonderlich zuverlässiger Erzähler bist, Tua." Meine Augen brennen, Tränen sammeln sich darin, wie so oft. "Was, wenn die Leute, von denen du nicht willst, dass ich mich zu lange mit ihnen unterhalte, die einzigen sind, die die Wahrheit kennen, weil sie live dabei waren? Du verschweigst mir jede Menge. Ich wünschte, ich würde mir das nur einbilden; ich wünschte, du wärst immer ehrlich zu mir, aber das bist du nicht, und das weißt du selbst am besten." Ich wische mir über die Augenpartie und ziehe die Nase hoch. "Ich verletze mich damit, es stimmt. Und ich frage mich die ganze Zeit etwas, was du dich auch fragen solltest: Warum sehe ich keinen anderen Weg?"
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Messias
RandomIara war schon mit vierzehn in der Rap-Szene unterwegs, hier mit der einen Band am Start, dort mit der anderen. Irgendwie kommt man nicht mehr raus aus diesem doch sehr speziellen Freundeskreis. Aber warum sollte man das auch wollen? Staffel 4 meine...