Tua dirigiert mich durch eine unscheinbare Glastür. Das Stimmengemurmel und die allgemein geschäftige Geräuschkulisse werden leiser. Als ich fröstelnd beide Arme um meinen Körper schlingen will, umfasst mein Freund sanft meine Handgelenke.
"Sekunde, hier", sagt er und hilft mir in seine warme Jacke.
"Danke." Erst jetzt, wo ich nicht mehr frieren muss, schaue ich mich neugierig um. Wir stehen in einer Außenlounge, oder - den Anwesenden nach zu urteilen wäre die Bezeichnung 'Raucherlounge' wohl passender. Mehrere kleine Grüppchen haben auf den luxuriösen Outdoor-Möbelstücken Platz genommen, aber Tua steuert eine bestimmte Ecke an. Eine Couch ist in Richtung Spree ausgerichtet, und wir betreten gerade eine erhöhte Holzterrasse unmittelbar am Fluss. Ich sinke auf das gemütliche Sofa und will meinen Freund gerade frech fragen, wo er die Leichen der Leute versteckt hat, die vor uns hier gesessen haben, da bemerke ich das Schild auf dem Tisch. Unsere Namen sind darauf abgedruckt.
"Wow", mache ich beeindruckt.
"Geil, oder?" Die Begeisterung ist ihm anzuhören, er legt einen Arm um meine Schultern und ich kuschle mich an ihn. Auf der gegenüberliegenden Flusseite ist die Promenade hell erleuchtet und die bunten Lichter vergnügen sich beim feuchtfröhlichen Farbenspiel im Wasser. Die Wellenbewegung ist gleichförmig. Es hat etwas Beruhigendes, wie das Meer im Urlaub. Tua haucht mir einen Kuss auf den Haaransatz.
"Ist schön hier", flüstere ich.
"Manchmal kann es verdammt simpel sein. Ich weiß nicht, warum mich das so glücklich macht", meint er leise. "Aber irgendwie ist das doch perfekt." Er wickelt geistesabwesend eine meiner Locken um seinen Zeigefinger und ich mustere sein Profil. Seine Augen schimmern. "Weißt du, was ich denke?" Als er mich anschaut, kribbelt es verdächtig in meinem Bauch. "Wir sollten ständig Urlaub machen. Scheiß aufs Geld, die billigen Unterkünfte sind mir egal, solange da irgendwo Wasser ist." Er streicht mit dem Daumen über meine Wange. "Und solange du da bist." Seine Lippen legen sich auf meine und ich erwidere den Kuss. "Lass es uns tun", flüstert er. "Lass uns reisen, regelmäßig, nur du und ich."
"Okay", stimme ich zu, mit einem Lächeln. Er hat recht. Scheiß aufs Geld. "Und wenn wir angefangen haben, lass uns nie wieder damit aufhören."
"Nie wieder", bestätigt er und es folgt ein weiterer Kuss. Ich greife nach seiner Hand, verschränke seine Finger mit meinen und lege den Kopf leicht schief.
"Wusstest du eigentlich, das Wanja in einer toxischen Beziehung war?", frage ich ihn und Tua zieht mich noch ein Stück näher zu sich.
"Ja, das wusste ich. Hat sie dir davon erzählt?"
"Eben erst." Er schmunzelt schnaubend.
"Was ist?"
"Nichts. Ich find's bloß krass, wie schnell dir jeder vertraut."
"Das Leben ist zu kurz. Geheimnisse voreinander zu haben, ist unsinnig."
"Interessante Perspektive", nuschelt Tua. Er küsst mich auf die Schläfe.
"Sie hat mich noch was gefragt", fahre ich fort.
"Hm?" Mein Freund hat sich zu meinem Hals vorgearbeitet. Ich lege mein angewinkeltes Bein über sein ausgestrecktes, streiche mit einer Hand über seine Brustmuskulatur und küsse ihn auf den Mund.
"Ich hab ihr erzählt, dass ich in deiner Nähe diese Geborgenheit spüre; und sie wollte wissen, wann ich mich sonst noch sicher fühle im Leben."
"Was hast du geantwortet?" Er streicht mir eine Haarsträhne hinters Ohr.
"Gar nichts. Ich hatte seltsamerweise keine Antwort darauf." Verunsichert zupfe ich am Kragen seines Hoodies.
"Wenn du die Welt, in der wir leben, in wenigen Worten beschreiben müsstest: Wie würde das klingen?" Ich zucke die Schultern.
"Keine Ahnung."
"Erstes Wort, das dir in den Sinn kommt." Der Wind frischt auf und wirbelt meine Haare durcheinander. Ich schlucke.
"Bedrohlich." Tua schaut mich aus großen Augen an.
"Ehrlich?" Unfreiwillig verziehe ich das Gesicht und wende meinen Blick hin zum Wasser."Wieso bedrohlich?", fragt er mich, nachdem wir eine Weile geschwiegen haben.
"Ich hab Angst vor Veränderung. Um mich herum ändert sich dauernd alles, vor allem Menschen. Es passiert vor meinen Augen und ich kann nichts dagegen tun. Ich weiß auch gar nicht, ob ich irgendwas dagegen tun will; ich weiß nur, dass ich einfach ich sein möchte. Kompromisslos."
"Und du möchtest jemand sein, der die Welt als bedrohlich empfindet?" Er stellt mir die Frage ohne jede Wertung in der Stimme.(und) Ich schaue ihn lange an, bevor ich den Kopf schüttle."Kluge Entscheidung", kommentiert er es und zupft leicht an meinem Ohrläppchen. "Du sagst, du fühlst dich bei mir sicher. Aber was ist bei mir anders als bei deinen Freunden oder deiner Familie?"
"Ich weiß nicht. Das kann ich nicht in Worte fassen. Es ist nun mal ein Gefühl. Was soll ich dir dazu groß erzählen?" Er furcht die Stirn.
"Jetzt klingst du schon wie ich."
"Vielleicht liegt es daran", schließe ich nahtlos an seine Aussage an. "Es kommt mir vor, als könnte keiner das verstehen, außer uns. Du bist wie ich, ich bin wie du."
"Das ist nur die halbe Wahrheit. Du weißt das." Ich nicke.
"Stimmt, ich bin nicht so ein Griesgram wie du", murre ich und Tua lacht.
"Ganz genau." Er küsst mich auf die Nasenspitze und ich muss kichern, weil es kitzelt. "Korrigier mich, wenn ich falsch liege ... Aber ich glaube, ich bin nicht so oft traurig wie du", fügt er dann hinzu.
"Wann haben wir Rollen getauscht?", frage ich ihn kraftlos.
"Haben wir nie. Du bist nur einfach inzwischen bereit, dir auch mal den ein oder anderen deiner Fehler einzugestehen und Sichtweisen zu begraben, die dir nicht gut tun."
"Hey, was soll das denn heißen?", meine ich schmollend.
"Dass du dich veränderst", erwidert er. "Und dass das vollkommen okay ist. Das ändert nichts daran, dass ich dich liebe."
"Hast du keine Angst davor?"
"Doch, klar. Wenn ich keine Angst vor Veränderung hätte, wär' ich nicht in Therapie. Trotzdem kann ich nicht bleiben, wie ich bin. Ich kann mich nicht aufgeben."
"Kannst du auch nicht, ich würde dir nie verzeihen", entgegne ich hochnäsig.
"Kann ich mit leben. Wir sind aber auf einer Stufe, ja? Selbes gilt für dich: Nicht aufgeben."
"Niemals", verspreche ich. Tua küsst mich zärtlich und ich schmelze in seinen Armen. Unterbrochen werden wir von meinem Magen, der ungeduldig knurrt. Mein Freund lacht.
"Ich hole uns was zu essen, dauert 'ne Minute. Soll ich die mal fragen, ob sie Tee haben?" Ich grinse ihn verliebt an.
"Du bist süß."
"Du auch." Er küsst mich auf die Stirn. "Deinetwegen krieg ich noch Zahnschmerzen, bevor ich diesen Burger essen kann."
"Armes Tua", säusle ich.
"Siehst du, gleich zwei Löcher mehr im Backenzahn links unten."
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Messias
RandomIara war schon mit vierzehn in der Rap-Szene unterwegs, hier mit der einen Band am Start, dort mit der anderen. Irgendwie kommt man nicht mehr raus aus diesem doch sehr speziellen Freundeskreis. Aber warum sollte man das auch wollen? Staffel 4 meine...