Epilog - Messias

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Tua hat seine Finger mit meinen verschränkt. Unsere Hände liegen so ineinander geschlungen auf meinem Oberschenkel. Ich nehme seinen Duft neben mir wahr, heute hat er einen Spritzer Parfüm zu viel aufgelegt. Das stört mich aber im Moment nicht, es entfaltet eher eine Art beruhigende Wirkung.
Wir sitzen zu viert an einem der rechteckigen Holztische im Backshop unweit entfernt von meiner Arbeitsstelle.
Inzwischen habe ich Titus' Gesicht dreimal auf Familienähnlichkeiten gescannt. Er sieht Hannes tatsächlich ähnlich, vor allem die Augenform erinnert mich an Tuas Freund, aber auch der harte Zug um seine Mundwinkel herum oder seine Haarfarbe, die zwischen braun und blond schwankt.
Julia starrt stumpf die Tischplatte an. Keiner von uns hat seine dampfende Kaffeetasse berührt. Titus räuspert sich.
"Elias ..." Ich bemerke, wie Julias Blick zur Seite aus dem Fenster gleitet. Sie erträgt die Erwähnung dieses Namens nicht. "Er war ... unser kleiner Bruder. Der Jüngste." Er sieht wieder meinen Freund an und in seinen Augen flimmert die Vergangenheit. "Du siehst aus wie er", wiederholt er mit kratziger Stimme.
Julia kramt in ihrer Manteltasche und zieht ein anderes Foto raus als das, das sie mir vorhin gezeigt hat. Sie gibt es Tua. Ich beuge mich leicht vor, um ebenfalls draufschauen zu können und sehe die Irritation in seinem Blick, bevor auch ich mir die Person auf dem Bild genauer angucke. Es stimmt. Der junge Mann auf dem Foto sieht meinem Freund äußerlich verblüffend ähnlich. Das ist also Elias. Ich erkenne zwar Unterschiede zwischen ihnen, aber ich bin auch Tuas Freundin, klar fallen mir Details auf, die anderen sicher entgehen würden. Die leicht andere Form der Augenbrauen, die Kinnpartie ... und dennoch - sie könnten blutsverwandt sein.
Titus fährt sich durch die Haare. "Scheiße", murmelt er wieder. Mein Freund sieht seinem kleinen Bruder tatsächlich ähnlicher als er selbst es tut, bemerke ich.
"Ich kann nicht glauben, dass wir ihn endlich gefunden haben", mischt Julia sich wieder ins Gespräch ein.
"Hannes?", hake ich nach. Denn sie meint nicht Elias. So viel weiß ich. Spüre ich. Sie nickt.
"Wir haben die letzten sechs Jahre nach ihm gesucht."
"Sechs Jahre?", wiederhole ich ungläubig.
"Was ist mit ihm passiert?", fragt Tua tonlos, während er weiter das Foto von Elias anstarrt.
"Er ist tot", meint Titus und ich drücke die Hand meines Freundes automatisch fest. Sowas hab ich mir schon gedacht, aber es ist trotzdem erschütternd. Julia verzieht das Gesicht.
"Ein Autounfall", fügt sie hinzu. "Hannes ist damals gefahren. Und eine Woche später verschwand er aus unserem Leben. Um seinen Erlöser zu suchen." Sie sieht Tua in die Augen. "Dich."
"Mich?", fragt Tua irritiert.
"Deine Musik", erwidert Julia knapp. "Sechs Tage nach dem Unfall, hat er sie abgespielt, über seinen Rechner und er meinte zu mir: 'Weißt du, was krass ist, Lia? Dieser Typ: er sieht aus wie Elias.' Das war das letzte Mal, dass wir miteinander gesprochen haben. Am nächsten Morgen war er weg."
"Wir glauben, er hält dich für 'ne Art Messias oder so", wirft Titus' ein. "Für jemanden, der ihn von seinem Leiden erlösen kann."
"Mir wird schlecht", sage ich und greife nach meiner Kaffeetasse, trinke rasch einen Schluck.
"Aber ich bin nicht Elias", meint Tua und sein Blick huscht zu mir rüber. "Alles gut?" Ich winke ab.
"Wir wollen mit Hannes reden", fordert Julia entschieden. "Ihr müsst uns helfen. Er gehört hier nicht her, wir wollen nur, dass er endlich wieder nach Hause kommt."

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