Am (Flaschen-)Boden zerstört

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Tuas Stimme am Telefon zu hören tut noch mehr weh, als mich seine Worte verletzen.
"Ist besser, wenn du bei Mika bist heute Abend."
Ich blinzle die Tränen weg. David mustert mich schon skeptisch vom Schreibtisch gegenüber, er hat aber genug zu tun, wie ich eigentlich auch.
"Ich muss weiterarbeiten", wiegle ich meinen Freund kurzerhand ab.
"Ciao", gibt der bloß trocken zurück und noch bevor ich mich von ihm verabschieden kann, hat Tua schon aufgelegt. Erschöpft drehe ich mein Smartphone in den Händen, schließe einen Moment lang die Augen. Jetzt ist kein guter Zeitpunkt, um zu flennen.
"Iara", reißt mein Mitauszubildender mich aus meinen Gedanken. "Du hast noch immer Beziehungsstress, oder?"
"Ich will da nicht drüber reden", wehre ich ab und, greife nach dem kopierten Tech-Rider für Luks Solo-Tournee, hefte ihn ein und stehe mit dem Ring-Ordner in der Hand auf. "Ich bringe Marcello auf den neusten Stand, soll ich dir eine Tasse Kaffee mitbringen?"
"Nein, danke. Ich verzichte momentan auf Koffein. Kannst du aber vielleicht Nita sagen, dass sie zu mir kommen soll, falls sie 'ne halbe Minute erübrigen kann? Ich hätte 'ne Frage."
Ich nicke, bin schon halb aus der Tür raus, schließe sie hinter mir und atme tief durch. Nur noch drei Stunden. Dann umklammere ich eine von Mikas viel zu starken Mischen ganz fest, weil Pari mich zum Lachen gebracht hat und ich nicht will, dass die Flüssigkeit überschwappt. Feierabend, feiern, Absturz.

Etwa gegen dreiundzwanzig Uhr habe ich genug Alkohol meine Kehle hinuntergespült, dass ich eindeutige Veränderungen in meiner Sinneswahrnehmung bemerke. Es fühlt sich an, als würde alles irgendwie langsamer passieren.
"Mein Gott, Pari", klage ich meine beste Freundin an. "Du machst es dir mit Dag echt krass kompliziert", lalle ich. "Triffst irgendwelche Annahmen, was er mit dir vorhat und lässt dich kein Stück auf ihn ein. Wenn du ihn so behandelst, als würde er dich nur zu sich ins Bett locken wollen, ist doch klar, dass seine Absichten unlauter wer- Uh!" Erschrocken reiße ich die Augen auf, als ich bemerke, wie ich mit dem Oberkörper zur Seite kippe. Zum Glück ist Kitty zur Stelle, die durch einen schnellen Handgriff verhindert, dass ich mit dem Kopf gegen die Wand knalle.
"Iara, vielleicht ist es besser, wenn du dir deine Ratschläge für morgen aufhebst, und dich für heute hinlegst", schlägt sie vorsichtig vor.
"Auf keinen Fall, es ist noch nicht mal Mitternacht!", halte ich ruppig dagegen und schaue Mika an, der mich besorgt mustert. "Wir müssen doch auf deinen Geburtstag anstoßen", sage ich.
"Iara", mischt Pari sich nun ein. "Du hast eine beachtliche Menge intus und bist nicht mehr auf der Höhe. Wenn du nicht auf Wasser umsteigst, müssen wir dich noch vor Mitternacht mit einer waschechten Alkoholvergiftung ins Krankenhaus bringen."
"Eigentlich hatten wir's doch gerade noch von dir", wechsle ich prompt das Thema. "Warum trittst du dein eigenes Glück mit Füßen? Dag interessiert sich immerhin für dich. Das ist mehr, als du von einem Mann zu erwarten hast", murmle ich und trinke meinen Whiskey aus.
"Ey", gibt Mika einen empörten Laut von sich. "Was laberst du für Scheiße, Iara? Es gibt genug Männer, die sich bemühen."
"Tua ist schon mal keiner davon", rutscht es mir raus und Pari verdreht die Augen.
"Daher weht also der Wind", kommentiert sie bissig.
"Achso, und deinen Frust lässt du jetzt an uns aus?", lacht Mika nervös. "Mann, Iara. Wolltest du dich nicht ursprünglich amüsieren?"
"Manchmal ist es nicht so einfach, sich zu amüsieren, Mika", fauche ich ihn an und ziehe damit Kittys Zorn auf mich.
"Ist das dein Ernst? Was ist denn auf einmal los mit dir? Legst du es irgendwie drauf an, dass die Stimmung kippt, nur weil's bei dir privat nicht optimal läuft?" Mein Kumpel klopft seiner Freundin leicht auf die Schulter.
"Lass gut sein ..." Er wirft ihr einen ernsten Blick zu. "Iara?", wendet er sich an mich. "Sollen wir draußen reden?"
"Reden, reden, reden", singe ich genervt. "Ich hol mir was zu trinken."
"Bleib sitzen", stoppt Pari mich. "Ich bringe dir ein Glas Wasser." Ich schlage ihre Hand von meinem Knie weg und schnalze mit der Zunge. "Nein, keine Umstände, ich mach den Woddi alle."
"Den Wodka? Der ist halbvoll, willst du dich zu Tode saufen?", ruft Mika mir hinterher. Unter beträchtlicher Anstrengung gelingt es mir, Gott weiß wie, das Gleichgewicht zu halten und ich wanke in die Küche. Aber meine beste Freundin ist inzwischen aufgesprungen und mir hinterher gerannt.
"Iara, ich kann nicht dauernd auch noch außerhalb der Bar Besoffene betreuen." Sie packt mich am Arm. "Tu mir den Gefallen und hör auf, dich zu betrinken, du bist ja wohl inzwischen breit für zwölf Menschen."
"Seit wann darf man sich in dieser WG nicht mehr in Frieden besaufen?", knurre ich.
"Du ruinierst Mika den Geburtstag", blafft Pari mich streng an. Sie hat die Arme vor der Brust verschränkt und reckt mir trotzig das Kinn entgegen. Diese Ansage fruchtet bei mir tatsächlich. Ich benehme mich egoistisch. Meine Züge werden für einen Moment ganz weich. Vielleicht zerfließt mein Gesicht auch.
"Tut mir leid", entschuldige ich mich.
"Sollte es auch", schnaubt Pari. "Du bist furchtbare Gesellschaft momentan. Reiß dich bitte am Riemen, nicht für mich, aber wenigstens für Mika."
"Ich lege mich schlafen." Meine beste Freundin, die eigentlich längst im Begriff war zu gehen, dreht sich mit besorgter Miene wieder zu mir um.
"Du kannst mit uns darüber reden, wenn du Kummer hast. Jetzt. Letztes Angebot."
"Nein, es ist Mikas Geburtstag", hauche ich tonlos.
"Okay", gibt Pari seufzend auf. "Schlaf gut."

Sie kehrt zurück zu Mika und Kitty. Meine Augen bleiben nichtsdestotrotz an der Wodka-Flasche kleben. Kurzerhand schnappe ich mir den Alkohol und schließe mich damit in meinem Zimmer ein. Ich setze mich auf die Bettkante, streiche meine Decke glatt. Das Blumenmuster darauf verschwimmt vor meinen Augen. Plötzlich poltert es an meiner Tür.
"Iara, komm schon! Gib den Wodka raus, du kannst dich nicht so volllaufen lassen", ruft Mika. Seine wütende Stimme erschreckt mich derart, dass ich zusammenfahre. Die Flasche gleitet mir aus der Hand und fällt klirrend zu Boden. Schneller als ich gucken kann, breitet sich der Alk auf dem Parkett aus.
"Scheiße", fluche ich. Notdürftig wische ich mit Taschentüchern über den Boden, bis ein stechender Schmerz durch meine Hand fährt. Ich habe mich an einer großen Glasscherbe geschnitten.
"Iara, mach endlich auf, bevor noch was passiert", ertönt es erneut aus dem Flur, doch diesmal ist Mikas Stimme leicht brüchig.
Langsam öffne ich die Tür. Blut tropft aus der offenen Wunde auf den Boden.
"Zu spät", nuschle ich, den Blick beschämt zu Boden gesenkt.
"Fuck, Iara, was machst du denn?" Mein Kumpel begutachtet, was für eine Schweinerei ich angerichtet habe. Kitty schiebt sich an ihm vorbei und nimmt meine Hand in ihre. Sie zieht scharf die Luft ein.
"Das ist richtig tief", informiert sie Mika, der sich halb umdreht.
"Pari, ruf Tua an, er soll herkommen. Sofort."

MessiasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt