Marshmallow-Blubberblasenschaumbad in ernst

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Wie ich das geschafft habe, kann ich euch nicht sagen, doch etwa zwanzig Minuten später sitzt Tua mit mir in der Eckbadewanne, umgeben von nach Marshmallows duftendem Blubberblasenschaum. Thoralf kam auf die gloriose Idee, sich mit Badebomben bei Carrie und mir für die Rede auf der Hochzeit zu bedanken. Mit diesem Geschenk hat er genau ins Schwarze getroffen, denn in meiner Freizeit liebe ich solche Wellness-Intensivkuren für daheim. Obwohl es exakt ist, wie Mama es am Telefon beschrieben hat: Von echter Freizeit konnte ich in den letzten Monaten so gut wie nie sprechen. Die ein oder andere Me-Time fiel aus ... Okay, vielleicht habe ich sowas wie eine Me-Time seit August permanent ausfallen lassen. Wann habe ich das letzte Mal Musik gehört, ohne dabei E-Mails zu beantworten; wann in einem Buch geschmökert, ohne es nach zehn Minuten aus der Hand legen zu müssen, weil ich Kopfschmerzen bekam?

Um mich von solchen Gedanken nicht ebenfalls runterziehen zu lassen, konzentriere ich mich wieder auf meinen Freund.
Tua blickt zwar griesgrämig drein, dafür ist er aber wenigstens seine müffelnden Klamotten losgeworden. Ungefragt nehme ich das fast leere Männerduschgel vom Rand, verteile etwa die Hälfte der restlichen Menge zwischen meinen Fingern, dann seife ich ihn damit ein. Ich tue es absichtlich nicht erotisch, eher fürsorglich; es kümmert mich eben, dass er schlecht drauf ist. Tua sagt nichts, er lässt die Waschung bloß über sich ergehen. "Das Dusch-Zeugs riecht nach dir", bricht er schließlich doch sein eisernes Schweigen und ein mattes Lächeln schleicht sich in mein Gesicht. Noch hat er sich nicht in seinen Käfig der Einsamkeit gesperrt und ganz gleich wie mulmig mir selbst gerade zumute ist, weil mal wieder alles drunter und drüber geht - Ich werde nicht zulassen, dass er sich heute von mir entfernt, um sich endgültig von allem abzuschotten.
"Ist Bastians Dusch-Zeugs", verweise ich auf den eigentlichen Besitzer des teuren Marken-Duschgels. "Ich musste sparen, wo ich konnte, um meine Schulden bei ihm zu begleichen, deswegen habe ich angefangen, sein Duschgel mitzubenutzen. Abgesehen davon mag ich den Geruch von Männerduschgel. Besonders diesen." Die Moschus-Mischung weckt Erinnerungen. "Julie hat den Duft vor Ewigkeiten für Bastian ausgesucht, als sie noch ein Paar waren. Er hat ihn auch nach der Trennung nie gegen einen anderen eingetauscht." Nachdenklich betrachte ich die luxuriöse Flasche. Bastian kritisiert dauernd Stean dafür, dass dieser Katjas Abfuhr nie ganz überwunden hat, doch in Wahrheit ist vor allem er es, der seiner verlorenen Liebe hinterherrennt. Julie und er haben sich zwar ständig gestritten und als ich den Rosenkrieg live miterlebt habe, dachte ich noch, es wäre definitiv besser für beide, wenn sie schnellstmöglich jeder ihrer Wege gingen. Mittlerweile sehe ich die Sache jedoch ein wenig anders. Seit sie nicht länger zusammen sind, haben beide nur noch Pech. Bastians vielversprechende Aussichten beliefen sich auf eine Fünfundzwanzigjährige, die ihre kleine Schwester großziehen musste, weil beide Waisenkinder waren. Das dazu notwendige Verantwortungsbewusstsein brachte er in diese Beziehung, in der er sich tagtäglich mit einem Kleinkind konfrontiert sah, dummerweise nicht mit.
Julie geriet an einen Typen, der zuerst auf ihren gesamten Freundeskreis - Bastian und mich eingeschlossen - einen passablen Eindruck machte, sich dann allerdings als mieses Arschloch entpuppte, der sie mit keiner geringeren als Pari betrog. Meine beste Freundin fand es zufällig heraus und zierte sich anfangs, Julie die geplante Hochzeit mit Simon, dem Volltrottel, kaputt zu machen. Schlussendlich konnte ich Pari zum Glück überzeugen, Bastians Ex-Freundin alles zu erzählen, da die einen Casanova wie diesen Idioten nun wirklich nicht verdiente.

"So oft wie ich dein Duschgel benutze, sollte dich das gar nicht wundern", schüttle ich den Gedanken an Bastian und Julie ab. Tua kauft irgendwas von Axe, das zu seinem Deo passt und verboten sinnliche Pheromone ausströmt, die mich schwach werden lassen.
Er stoppt meine Hände, die über seine Haut wandern, und befiehlt mir wortlos ihm den Rücken zuzudrehen. Gehorsam tue ich, was er verlangt. Tua legt seine Arme von hinten um meinen Körper, weshalb ich prompt ein Stück tiefer sinke, um mich anzulehnen, bis meine Schulterblätter auf seiner Brust aufliegen.
"Die Jungs wollen dich kennenlernen." Sein Körper vibriert unter mir, während er spricht.
"Deine Jungs?" Fragend blicke ich zu ihm hoch.
Er erwidert nichts darauf. "Deine Wimperntusche ist verschmiert", wischt er vorsichtig unter meinem Auge entlang.
War meine Nachfrage unbeabsichtigt rhetorisch? Ja, höchstwahrscheinlich. "Also deine Jungs", ziehe ich den logischen Schluss aus seinen versiegelten Lippen. Zart umfasse ich sein Handgelenk; von seinen Fingern perlt das Wasser.
"Es sind drei", belebt er unser Gespräch wieder. "Einen von ihnen kenne ich sogar noch aus dem Sandkasten."
"Klingt schön", lächle ich leicht, denn sofort formen sich Bilder der Idylle in meinem Kopf, vom kleinen Tua, der buddelnd auf dem Spielplatz hockt und mit seinem Kumpel Sandburgen baut. "Wann denn? Und wo?"
"Einfach bei mir. An dem Abend, bevor wir ans Meer fahren." Sein Blick schweift in die Ferne. Das ist nicht der Enthusiasmus, den ich erwartet hatte.
"Du wirkst nicht sonderlich begeistert", meine ich unsicher.
"Wird daran liegen, dass ich's nicht bin. Ich denke nicht, dass das gerade ein guter Zeitpunkt dafür ist." Er streicht in Gedanken versunken über meine Hüftknochen.
"Wieso nicht?"
"Weil einer von ihnen im Moment arge Probleme im Umgang mit anderen Menschen hat. Ich wollte dir das ersparen."
"Du kennst mich, ich werde mich schon mit ihm arrangieren." Federleicht puste ich ein Schaumtörtchen von meinem flachen Handteller in die Luft.
"Ja, ich kenne dich und ich würde nie an deinem Umgang mit Menschen zweifeln, aber Hannes ist zurzeit einfach denkbar schlechte Gesellschaft. Hier geht's nicht nur um dich, sogar ich kann ihn momentan nicht ab."
"Habt ihr mal darüber geredet?" Selbstvergessen male ich Kringel auf seine Haut. "Also über die möglichen Gründe, warum er gerade nicht die angenehmste Person ist?"
"Das erzähle ich dir lieber nicht. Ich will deinen Eindruck von ihm nicht von vornherein zerstören. Er ist nicht besonders aufgeschlossen und ziemlich anti, wenn man behauptet, man könne sich in ihn hineinversetzen. Ich weiß, dass ich ihn verstehe, aber er behauptet, das wäre gequirlte Scheiße. Er will nicht verstanden werden. Es hat mich einiges an Aufwand gekostet, irgendwas Privates aus ihm rauszuquetschen. Wir waren ein Herz und eine Seele als Trainingspartner beim Boxen und sind es noch. Ein Jahr hat er gebraucht, um mich als Freund zu akzeptieren und nicht nur als den Typen, auf den er zu Trainingszwecken eindrischt. Dann fingen wir an, uns nebenan nach dem Training jeder einen Döner zu holen, gemeinsam was zu essen und zu quatschen. Als er endlich echtes Vertrauen zu mir gefasst hatte, war es das beste, im Ernst. Hannes ist ein Irrer, aber er ist einer von den Guten. Rabiat, direkt, gesegnet mit einem rasiermesserscharfen Verstand; und jeden, den er liebt, liebt er im Kern, auf der tiefsten Ebene, auf der Liebe möglich ist. Sobald man das kapiert hat, merkt man, dass sich sein Leben um all die Anderen dreht, nur nicht um ihn. Er hat extrem selbstzerstörerische Tendenzen; schlimmer als du, schlimmer als ich", beendet er seinen Monolog.
Gebannt blicke ich durch Tuas Augen mitten in seine Seele. Nicht nur mich habe ich vernachlässigt. Wann hat er vor mir das letzte Mal seine Vergangenheit angesprochen? Ich möchte auf ihn eingehen und weiß doch nicht wie. "Unbeabsichtiger Reim, aber meine selbstzerstörerischen Tendenzen halten sich in Grenzen", scherze ich stattdessen und bereue es sofort. Wo ist unsere emotionale Verbindung bloß abgeblieben? An welcher Ausfahrt haben wir sie aus dem Fahrzeug geworfen?
"Sagt die, die einfach aufhört zu essen, wenn sie im Stress ist", kommt sofort der harsche Konter von ihm, den ich verdient habe für meinen sinnentleerten Kommentar.
Verächtlich schnalze ich mit der Zunge. "Rude."
"Ist mir rausgerutscht, entschuldige." Er legt seine Arme auf dem Rand des Pseudo-Jacuzzis ab. "Es macht mir Angst, wie er ist."
"Hannes?"
Tua nickt.
Alles klar, Iara, zweiter Versuch, sei einfühlsam. "Du glaubst, du verlierst ihn."
"Es ist schlimmer. Ich spüre, dass ich ihn verliere; weil er geht. Weil weder Vadim noch Momo ihm nachlaufen können; nicht einmal ich. Hinter ihm lösen sich die Wege in ein schwarzes Nichts auf."
"Leute abzuhängen ist keine Zauberkunst. Hannes ist dein Freund, nicht Merlin der Magier. Ihr müsst ihn nicht retten, Vadim, Momo und du, ihr müsst ihn jagen. Menschen sind undankbare Wesen, besonders in Hilfsangelegenheiten, aber wem sage ich das?"
"Sie brauchen ihre Freiheit."
"Wo hat Hannes seine Freiheit hinbefördert?", entgegne ich.
"Wo hat sie die hinbefördert, denen du nachgejagt bist?"
"Bastian ins Krankenhaus, Tarik in den Knast, Timmi in die Drogensucht, Carrie in die Selbstzweifel; soll ich weitermachen?"
"Nein, ist in Ordnung." Tua fährt besänftigend durch mein feuchtes Haar. "Vielleicht hast du Recht", murmelt er.

MessiasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt