Einweihungspartys sind Ehrenpartys

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"Iara, dreh dich zur Kamera!", fordert Kitty mich auf. Ich stehe vor den weißen Holzlatten neben unserem Küchenfenster, die dem Balkon einen schwedischen Touch verleihen und außerdem den perfekten Hintergrund bilden, damit das Outfit, das ich trage, so zur Geltung kommt, wie die Frau mit der Kamera vor mir sich das wünscht. Mikas Freundin hat eine ganz genaue Vision für die Fotos, die sie auf ihrer Website veröffentlichen möchte. Ich bin für sie nur eine Puppe. Obwohl ich mich gut in den Klamotten fühle, die sie ausgewählt hat, ruft mir das Shooting wieder ins Gedächtnis, weshalb ich nie für Merch modeln wollte. Im Mittelpunkt zu stehen, reizt mich nicht. Selbst jetzt würde ich lieber Pari den Vortritt lassen. Meine beste Freundin lungert auf unserer Hollywoodschaukel herum. Gerade wirkt sie entspannt, aber immer, wenn Kitty sich von mir abwendet und die Kamera in ihre Richtung schwenkt, spannt sich ihr gesamter Körper an. Dabei geht Kitty nur die eben entstandenen Schnappschüsse durch. Sie prüft ihre eigene Arbeit gründlich und gewissenhaft. Das ist etwas, das sie mit ihrem Freund gemeinsam hat. Mika checkt jedes der Möbelstücke, die er anfertigt, mindestens dreimal.

"Scheiße ...", murmelt Kitty. "Nimm's mir nicht übel Iara, aber du wirkst auf den Bildern viel zu nachdenklich für das Feeling, das ich den Leuten verkaufen will. Ein, zwei Fotos auf denen du philosophisch aussiehst, sind okay, aber ein ehrliches Lachen könntest du mir zwischendurch ruhig schenken. Mein Styling verbessert deine gesamte Lebensqualität, alles klar?"
Ich grinse spöttisch. "Das ist mit Abstand das Oberflächlichste, was ich je gehört habe."
Kitty bedenkt mich mit einem finsteren Blick. "Es geht hier darum, dass dein Äußeres auch dein inneres Selbstbild aufpoliert. Wenn du gut aussiehst, wirst du es ausstrahlen. Das ist unser Motto. Bitte versuch zu kooperieren, dann sind wir gleich fertig und du kannst wieder mit dem Staubwedel durch die Wohnung wuseln."
Jemand öffnet das Küchenfenster. "Ich dachte, wahre Schönheit kommt von innen." Als ich Mikas blonden Haarschopf in der Wintersonne aufblitzen sehe, höre ich Kitty auch schon schnauben. "Wechselwirkung", belehrt sie ihn überdeutlich. "Wechsel. Wirkung."
Vorsichtig schleiche ich hinter Kittys Rücken zu meiner besten Freundin. Pari schlägt die Decke zur Seite und ich schlüpfe mit darunter. "Vielleicht -", spreche ich unsere Fotografin an, da vernehme ich ein Knutschgeräusch und blicke irritiert auf. Mika küsst seine Freundin durchs Fenster. "Ew ...", mache ich leise.
"Als wären Tua und du besser", kommentiert Pari meinen Ekel trocken.
Ich zwicke sie in die Wange. "Du bist so ein Grinch."
Meine Freundin kaut auf ihrer Unterlippe herum. "Ich bin unsicher wegen des Kleids."
"Pari Nikkah, du bist wunderschön und dieses Kleid ist buchstäblich wie für dich gemacht", rede ich ihr Mut zu. "Weißt du eigentlich, wie sexy du aussiehst?"
"Ja, leider", murrt Pari.
"Das bist du." Ich schlage einen festen Ton an und versuche Kitty nachzuahmen. "Blütenweiß und rein, aber feminin, verlockend und frei." Entschlossen schnappe ich mir ihre Hände. "Lass deine Ängste los. Heute Abend stiehlst du allen die Show, einverstanden?"
Pari schüttelt vehement den Kopf. "Nein, nicht einverstanden. Ich will niemandem die Show stehlen."
Dieses Gefühl, das muss ich offen zugeben, kenne ich nur zu gut. "Ich hab's auch nicht gern, wenn dutzende Augen auf mich gerichtet sind, aber im Gegensatz zu dir fürchte ich mich auch nicht davor. Ich will dir nur zeigen, dass nicht gleich die Welt untergehen muss, bloß weil du dich mal nach außen so präsentierst, wie du tatsächlich bist. Du bist meine verführerische, kleine Queen."
Ihr ist anzusehen, dass sie meinen Worten keinen Glauben schenkt. Mich macht das tatsächlich langsam traurig. In letzter Zeit werde ich den Eindruck nicht los, dass Pari sich immer mehr vor mir verschließt. Ich möchte ihr helfen, mit ihr und ihrem fehlenden Selbstbewusstsein habe ich es nur leider ähnlich schwer wie mit Tarik und den Drogen. Oder wie mit Tua und dieser einen Sache, mit der er hinterm Berg hält.

"Dein Becher ist leer, gib ihn mir." Mika nimmt mir den grünen Plastikbecher, den ich bis eben noch umklammert habe, aus der Hand und kippt erneut zu gleichen Teilen Rum und Cola rein.
"Oh Gott", stöhne ich. "Mika-Pika, wer hat dir eigentlich beigebracht, wie man Mischen macht?"
"Sei keine Pussy."
"Du hast gut lachen", knurre ich, als ich sein Grinsen bemerke.
"Ex, ex, ex, ex", beginnt er zu grölen.
"Auf keinen Fall", verneine ich.
"Du bist zahm geworden auf deine alten Tage. Ich hab gehört, Alkohol ist gut für die Knochen."
Ich muss unwillkürlich lachen. "Wie bitte? Wo willst du das denn bitte gehört haben?"
"Sagt der Alki in mir", erwidert er. "Hau jetzt weg, oder soll ich die Pflanzen damit gießen?"
"Vor allem sollst du mich nicht abfüllen und auch nicht den Rest unserer Gäste."
"Außer dir bekommen das alle klasse allein hin."
Wie zur Bestätigung betritt Bastian die Küche und mixt sich selbst seinen Wodka-Energy zusammen. "Na, Ex-Mitbewohner", trete ich an ihn heran und streiche über seinen Rücken. In Bastians Mundwinkel hängt eine Zigarette.
"Du rauchst aber schon draußen, oder?", frage ich ihn.
"Ich rauche, wo ich will", grunzt er.
"Du willst draußen rauchen, Bastian", versichere ich ihm und schiebe ihn aus der Küche raus.
"Ey", protestiert er grummelig und boxt mich leicht in den Bauch. "Mika!", ruft er nach meinem Kumpel. "Bring die mal zum Saufen, nüchtern ist die ja kaum auszuhalten!"
"Und ich kenne einen, der ist kaum auszuhalten, wenn er gesoffen hat", schieße ich zurück.
Mika taucht unerwartet hinter mir auf und zeigt auf meinen Becher. "Darauf ein Schlückchen?"
"Prost", kapituliere ich, stoße mit ihm an und leere in nur wenigen Zügen die giftige Mixtur.
"Deine Vorsätze haben ja lange gehalten", schmunzelt Mika.
"Vorsätze, bla bla, am Arsch", winke ich ab. "Sag mal, hast du Pari gesehen? Die ist anscheinend verschwunden."
Mika kratzt sich ratlos am Kopf. "Ja, du hast Recht, ist mir auch schon aufgefallen, dass sie irgendwie weg ist."
"Ich hoffe, ihr geht's gut", sage ich mehr zu mir selbst als zu ihm, aber er nickt. "Hoffe ich auch. Meinst du, sie ist vielleicht im Bad?"
"Vielleicht", zucke ich die Schultern.
"Ich kann gucken gehen, wenn du willst."'
"Ja, geh mal", befehle ich und schiebe mich an ihm vorbei, raus auf den Flur, wo ich mitten in Dag und Vincent reinrassle. "SDP is in da house", begrüße ich sie fröhlich. "Kommt ihr mit mir, Jungs? Lasst uns bei mir im Zimmer 'ne Runde quatschen. Wir haben uns ja ewig nicht gesehen."
"Stimmt", bestätigt Vincent. Er und Dag folgen mir und wir haben Glück. Tarik, Jenn und Tua, die bis eben noch zusammengesessen haben, stehen gerade auf. Letzteren bekomme ich an einem Fetzen seines T-Shirts zu fassen. Tua dreht sich zu mir um und sieht mir abwartend in die Augen. Sorge schleicht sich sofort in seine Miene.
"Geht ihr Gras rauchen?", frage ich ihn und tapse auf ihn zu, bis ich unverhältnismäßig nah vor ihm stehe. So nah, dass ich der Versuchung nicht widerstehen kann und meine Wange kurz an seine Brust schmiege.
"Geht's dir gut?", antwortet mein Freund mit einer Gegenfrage und ich nicke. "Mika hat mich vergiftet mit seinem Fifty-Fifty-Spezial." Ich tippe leicht unkoordiniert gegen meinen Trinkbecher. "Aber nicht schlimm, ich werd's überleben", schiebe ich noch hinterher. "Lasst mir ein bisschen Gras über", wende ich mich dann an Jenn und Tarik. Sie wechseln einen amüsierten Blick. "Sonnenschein, du solltest zwischendurch 'ne Limo oder sowas trinken", erteilt Tarik mir einen wohlmeinenden Ratschlag.
"Jawohl, Teddy", salutiere ich.
Tua zieht mich zu sich und drückt mir einen Kuss auf die Stirn, bevor er mir zuflüstert. "Hör auf ihn und wenn was sein sollte, kommst du zu mir. Ich bin auf dem Balkon."
Lächelnd löse ich mich von ihm. "Wird gemacht."
Ein Tippen auf meiner Schulter lässt mich herumfahren.
"Also im Bad ist sie nicht", informiert Mika mich.
Schmollend wende ich mich an Vincent und Dag. "Meine beste Freundin ist verschwunden, dabei wärt ihr so tolle Kandidaten um sie zu verkuppeln."

MessiasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt