Männer und Männer

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Nachdem Tua abgehauen ist, hat mich eine bedrückte Stimmung überfallen, die insbesondere Stean bemerkt. Wer auch sonst? Er ist es, der sich neben mir auf der Hollywoodschaukel niederlässt, weil er genau spürt, was mit mir los ist. So und nicht anders kenne ich es von uns. Egal, wie schräg es am Anfang auch mit uns war - Immerhin hat er mich angeflirtet, nur um direkt danach zu erfahren, dass ich erst vierzehn und somit ein gutes Stück jünger war als er. Seitdem sind wir Iara und Stean geworden. Wer uns kennt, kennt uns als Duo, obwohl zwischen uns nie was gelaufen ist. Etwa mit fünfzehn hatte ich mal eine nächtliche Fantasie, in der er die Hauptrolle eingenommen hat und ich habe mich geschämt dafür, aber ich musste es ihm sagen; ich musste einfach, so wie ich Stean immer alles sagen muss, was mich wirklich beschäftigt. Er hat nur gelacht. Nicht auf diese gemeine, herablassende Art und Weise, sondern warm und verständnisvoll. Spätestens da wusste ich, Stean kann ich mich anvertrauen - und zwar jederzeit und ausnahmslos. Er ist der einzige Mensch, dem ich noch nie eine Lüge aufgetischt habe und umgekehrt verhält es sich genauso. Als ich sechzehn war, ging er durch eine schwere Phase. Die Liebe seines Lebens hatte ihn verlassen, nachdem sie seinen Heiratsantrag abgelehnt hat und er hat sich in mich verknallt. Hatte, meine ich. Das ist lange her und ich kann es ihm nachsehen, weil ich weiß, wie sehr es ihn selbst gewundert hat, so zu empfinden. Man sagt mir eine gute Menschenkenntnis nach, aber bei Stean hat das nichts mehr mit bloßer Empathie zu tun. Es ist tiefgehender, es ist mächtig und fast schon spirituell. Er ist meine Mary Poppins: da, wenn ich ihn brauche und fort, wenn ich ihn nicht mehr brauche. Eigentlich ist es gut, dass ich nicht mehr allzu oft auf ihn angewiesen bin. Schließlich wohnt er in einer anderen, hunderte Kilometer weit entfernten Stadt und Besuche sind jedes Mal ein ganz schöner Akt. Aber das zwischen Stean und mir wird nie enden, das weiß ich einfach. Wir sind Seelenverwandte. Ich werde ihn immer brauchen. Vielleicht mit der Zeit immer seltener, aber dennoch ein Leben lang.
"Macht Tua dir Kummer?", will er wissen. Stean müsste gar nicht fragen, er kennt die Antwort längst.
"Ja", gebe ich sie ihm trotzdem. "Er macht sich selbst Kummer und das macht -"
"Dir Kummer", beendet er meinen Satz. Er lächelt sanft. Ich bin so froh, dass er es einrichten konnte, uns beim Umzug zu helfen. Generell bin ich einfach froh, dass er gerade hier ist. "Nimm's dir nicht so zu Herzen, okay? Der Urlaub mit ihm war doch gut." Ich habe ihm noch gar nicht davon erzählt, aber wie ich schon sagte: Unsere Verbindung ist stark und hochspirituell. Wir wissen, wie es dem anderen geht, und das über jede Distanz. Wie das sein kann? - Das werde ich mir wohl nie erklären können. Vielleicht gibt es auch keine Erklärung. Vielleicht ist keine vonnöten.
"Der Urlaub war wundervoll. Wieder hier zu sein, fühlt sich gerade irgendwie noch etwas seltsam an." Mein Blick schweift über den Balkon. Ich deute auf Jenn und Tarik. "Er will die Scheiße mit den Drogen lassen. Für sie. Glaubst du, er schafft es?"
"Du wirst ihm sicher eine Riesenhilfe dabei sein, das durchzuziehen. Wahrscheinlich willst du mehr als er, dass er die Finger von dem Zeug lässt."
"Ich will auch, dass du die Finger davon lässt", funkle ich ihn herausfordernd an. Ein Schmunzeln legt sich auf Steans Lippen. Zeitgleich bildet sich eine Zornesfalte auf meiner Stirn. "Du nimmst mich nicht ernst", konstatiere ich.
"Natürlich nehme ich dich ernst und ich weiß auch, dass du nur die besten Intentionen verfolgst. Aber guck mal, ich bin nicht Tarik. Ich habe keine Freundin, mit der ich irgendwann Kinder in die Welt setzen will und die ich bis an mein Lebensende glücklich machen möchte. Wenn er den Drogen abschwört, hat er ein klares Ziel vor Augen. Wenn ich den Drogen abschwöre, ist mein Leben bloß weniger bunt als vorher."
"Ihr seid unbelehrbar. Bastian, Timmi, du. Bastian ist noch der Einsichtigste von euch. Lass dir das mal auf der Zunge zergehen - Bastian", betone ich. "Der Einsichtigste."
"Bastian hat auch das Privileg genossen, mit dir zusammenzuwohnen, bevor du hierher gezogen bist."
"Wieso wagst du keinen Neustart, Stean?", frage ich ihn. Ich kann nicht an zwei Händen abzählen, wie oft ich ihn das schon gefragt habe. "Zieh nach Berlin."
"Ich bin aber zufrieden. Ich wohne bei meinem besten Freund um die Ecke, meine Jungs sind in Braunschweig und meine Mutter, der es das Herz brechen würde, wenn ich umziehen würde."
Seufzend falle ich gegen ihn. "Ich sag's doch: unbelehrbar."

Nachdem alle anderen gegangen sind, kann ich mich endlich der vermutlich dringendsten Baustelle widmen. Der Gefühlslage meiner besten Freundin. Tim, den ich auf einer Zugfahrt kennengelernt habe, hat Pari, ohne ihr in irgendeiner Form vorher Bescheid zu geben, einfach sitzenlassen. Er setzt sein Studium an einer anderen Uni in Deutschland fort und hat es nicht für nötig gehalten, sie darüber zu informieren. Pari wurde geghosted und hat schließlich über Social Media von seinem Umzug erfahren. Als wäre ihr letzter Freund nicht schon die Hölle gewesen, der schon längst verlobt war, als sie anfingen, einander zu treffen. Manchmal glaube ich, sie zieht das Pech in Sachen Männer an, wie die Leute täglich ihre Unterwäsche. Da ist sie oft noch schlimmer dran als meine Schwester und das will was heißen. Carries Rate geglückter Beziehungen ist wahrscheinlich die niedrigste mir bekannte.
"Süße?" Ich klopfe an Paris Zimmertür und meine beste Freundin öffnet mir in einem niedlichen babyblauen Pyjama-Set. Abgerundet wird die Personifikation der Gemütlichkeit durch die weißen Kuschelsocken an ihren Füßen.
"Wie geht's dir?", frage ich sie. Pari gähnt und winkt mich in ihr Zimmer.
"Mir ist ein bisschen mulmig zumute", erklärt sie freiheraus und klammert sich an ihren Kaffee. Ich weiß nicht, wie sie das macht, vielleicht ist es eine Studentenkrankheit, aber meine beste Freundin schläft trotz Koffein am Abend prima durch.
"Ich habe Bammel vor dem Foto-Shooting mit Kitty morgen." Mikas feste Freundin hat unsere Outfits für die Einweihungsparty kombiniert. Sie versucht sich mit einer Styling-Agentur selbstständig zu machen. Pari und ich greifen ihr unter die Arme, indem wir ihr morgen als Models zur Verfügung stehen und sie Fotos von uns in den Klamotten schießen darf, die sie ausgesucht hat.
"Du wirst toll aussehen", versichere ich ihr optimistisch und es stimmt. Ich habe mich ein bisschen eingemischt und Kitty gebeten, für Pari etwas zu finden, in dem sie strahlen wird.
"Mal gucken", seufzt sie.
Um ehrlich zu sein hoffe ich inständig, dass sie mal aus sich herauskommt. Sie ist ein wunderbarer Mensch, sie führt es sich bloß nicht oft genug vor Augen.
"Du schaffst das morgen", rede ich ihr Mut zu.
"Na, wenn du meinst." Gleichgültig zuckt sie die Schultern. "Wann sollen wir morgen aufstehen?"
"Neun sollte reichen."
"Okay." Pari streicht sich eine rebellische Haarsträhne aus dem Gesicht. "Ich habe vorhin kurz Croissants gebacken, die können wir frühstücken, bevor wir mit den Vorbereitungen loslegen."
"Du bist ein Engel", stelle ich fest. "Schlaf gut, Süße", verabschiede ich mich kurz darauf von ihr. "Hab dich lieb."
"Ich dich auch", sagt sie. "Ist zwischen dir und Tua alles in Ordnung?", hält sie mich dann aber doch auf und ich beiße mir auf die Zunge.
"Ja, ich -" Wie erkläre ich ihr das am besten? "Er verschweigt mir irgendwas, aber ich kriege schon noch raus, was es ist."
"Dann viel Erfolg dabei", schlägt sie einen aufmunternden Ton an.
"Gute Nacht." Ich schenke ihr ein letztes dankbares Lächeln, bevor ich ihr Zimmer verlasse, um mich selbst fürs Bett fertig zu machen. Morgen wird ein langer Tag für unsere WG.

MessiasWo Geschichten leben. Entdecke jetzt