Als wir spät in der Nacht bloß bei angeknipster Nachttischlampe auf dem Bett liegen und kuscheln, legt sich der Sturm meiner Gedanken allmählich. Tua küsst mich auf die Stirn. "Ich liebe dich", sagt er und ich sehe zu ihm auf. Sagt er das nur, um mir Halt zu geben? Im Grunde ist es auch egal, denn es funktioniert. Die drei Worte schenken mir Wärme.
"Ich liebe dich auch", erwidere ich mit belegter Stimme. Unser Rumgebrülle am Strand hat mir nicht gut getan.
"Möchtest du reden oder soll ich lieber leise sein?", fragt er.
"Halt lieber die Klappe, ich will nicht, dass wir anfangen zu streiten, ich bin gerade ein Pulverfass."
Er atmet ein und zieht mich dabei näher zu sich. "Nur eins noch", flüstert er. "Du fällst die richtige Entscheidung, ich weiß das, okay?"
Übt auch gar keinen Druck auf mich aus, wenn du das so sagst - Was, wenn ich den falschen Weg einschlage? Tua setzt ein so unerschöpfliches Vertrauen in mich; was, wenn es am Ende falsch investiert ist?
Ich schlucke und räuspere mich. "Erzählst du mir was?"
"Einfach irgendwas?"
"Ja, einfach irgendwas. Ich mag es, deine Stimme zu hören und du fühlst dich besonders gut an, wenn du redest", gestehe ich kaum hörbar. "Dann vibriert alles."
Tua lächelt. "Ich hab noch eine Überraschung für dich", informiert er mich und ich spitze unwillkürlich die Ohren. "Morgen", sagt er und es kitzelt an meinem Hals, weil er mir so nah ist, "habe ich ein Wellnesspaket für dich und mich gebucht." Ich lege den Kopf in den Nacken und starre ihn aus großen Augen an. "Du kannst ja wirklich romantisch sein."
"Und du kannst ein bisschen Entspannung echt gebrauchen." Er wickelt eine meiner Locken um seinen Finger.
"War das nicht teuer?", frage ich unsicher.
"Vorgezogenes Weihnachtsgeschenk."
Ich kaue auf der Innenseite meiner Wange herum, sinke wieder gegen ihn und überlege, was ich ihm dieses Jahr schenken könnte. Einen ganzen Urlaub oder auch nur einen Aufenthalt in einem Wellness-Resort kann ich mir nicht leisten.
"Wünschst du dir was?", frage ich abgehackt, während ich sanft auf seine Brust trommle.
"Zu Weihnachten?"
Ich nicke.
"Kündige", meint er knapp ... Und wieder nicke ich. "Ich denke ernsthaft drüber nach, okay?"
Tua sieht wenig überzeugt aus, nimmt meine Antwort aber so hin. Er küsst mich und wir versinken eine Weile darin. Doch dann knurrt mein Magen lauter und er löst sich von mir. "Du hast Hunger", stellt er fest.
"Stimmt", grinse ich und küsse ihn unbeirrt weiter. Er zieht mich an meinem Pulli von sich runter auf die Matratze wie ein lästiges Kind mit übermäßigem Spieltrieb. "Ich mache dir was zu essen."
"Aber bleib nicht so lang weg", rufe ich ihm hinterher.
"Nimm dir ein Buch", schlägt er vor.
Keine schlechte Idee. Müde fahre ich mir mit beiden Händen durchs Haar, während ich aufstehe, zu meiner Reisetasche gehe und meinen Arm ausstrecke, um nach dem Buch zu greifen, das ich mitgenommen habe. Love Letters to the Dead von Ava Dellaira. Ich streiche mit dem Finger vorsichtig über den Hardcover-Einband, klappe den Roman auf und atme den Duft des bedruckten Papiers ein. Als ich noch klein war, konnte ich mir nie viel leisten und meine letzte Priorität waren Bücher. Wenn ich etwas lesen wollte, was selten genug vorkam, dann war es immer etwas Abgegrabbeltes, und meist ein Taschenbuch, das ich aus Carries dürftigen Beständen gefischt hatte. Oder etwas aus der Schule. Deutsch war mein absolutes Lieblingsfach. Bestimmt nicht, weil ich so literarisch begeistert gewesen wäre. Aber an meiner Schule gab es leider keinen Philosophie-Kurs. Im Deutschunterricht haben wir also öfter über Gefühle und Menschen geredet als in jedem anderen Fach. Mit Ausnahme von Psychologie natürlich, aber das war eben bloß ein mickriger Zusatzkurs im Abi.Ich habe nur ein paar der Briefe geschafft, als mich Tua aus dem Lesefluss reißt. Er reicht mir eine Schüssel mit Salat, auf dem angebratene Süßkartoffelstreifen thronen, die nach einer pikanten Gewürzmischung duften.
"Hast du keinen Hunger?", frage ich ihn.
"Nein, ich musste die Reste deines Mittagessens vernichten, weil du dich übernommen hast", erinnert er mich. Da hat er Recht. Während das Gewitter draußen über den Mittag gewütet hat, haben wir eine Family-Pizza bestellt, von der ich bloß ein Viertel geschafft habe. Ich könnte schwören, das Ding war so groß wie ein Wagenrad.
"Morgen koche ich", verspreche ich und drücke ihm einen Kuss auf die Wange. Er gesellt sich zu mir aufs Bett und legt seinen Kopf auf meinem Bauch ab, sodass ich den Teller beiseite ziehen und meinem Oberkörper unangenehm verdrehen muss, um ihn noch zu sehen. "Weißt du, was perfekt wäre?", frage ich und grinse schelmisch über den Einfall, der mir soeben durch den Kopf geschossen ist.
"Wenn du einfach deinen Teller leer essen würdest und ich hier liegen und mein Leben genießen könnte?"
"Nein", entgegne ich triumphierend. "Wenn wir auf die Couch umziehen und diesen Trash-Porno gucken würden."
"Dabei kannst du nichts essen und - ich warne dich, Iara - dir vergeht außerdem die Lust für die nächsten paar Tage", mahnt er.
Ich schüttle heftig den Kopf. "Das bezweifle ich." Er lächelt, schiebt meinen Pullover hoch und küsst meinen nackten Bauch, auf dem sich sofort eine zarte Gänsehaut bildet. Dann erhebt er sich schwungvoll und dreht sich nach mir um.
"Na, was ist? Willst du dein Schmutz-Filmchen jetzt sehen?"Ein bisschen später halte ich mir auf der Couch die Augen zu. "Das kann doch wirklich kein Mensch ertragen", jammere ich. "Das ist ja widerwärtig! Wer guckt sich das denn an und wedelt sich darauf einen von der Palme?"
"Überleg dir mal, was du dir für den einen Euro stattdessen alles hättest kaufen können", streut Tua noch Salz in die Wunde.
"Dich?", frage ich ihn, um ihn zu ärgern.
"Für mich müsstest du schon mindestens zehn Kamele blechen", erwidert er trocken. "Ich kann schwere Arbeiten verrichten und ich bin ein Mann, darum koste ich prinzipiell drei Kamele mehr als du."
"Außerdem bin ich weder weiß noch blond", resigniere ich.
"Richtig."
"Und im Körbchengrößenvergleich schneide ich auch nur mittelmäßig ab."
Tua nimmt meine Hände und führt sie weg von meinen Augen. "Deine Körbchengröße lässt kein Stück zu wünschen übrig." Ich lächle, doch er küsst mich einfach nur. Zärtlich, sodass ich selbst kaum realisiere, wie ich seitlich auf die Couch sinke. Zumindest nicht, bis die Pornodarstellerin gekünstelt stöhnt, auf eine so abstrus animalische Art und Weise, dass ich nicht anders kann als schallend loszulachen. Tua fällt mit ein als wäre er mein Echo und so lachen wir im Kanon, bis wir uns die Bäuche halten.
"Danke", bricht es schließlich aus mir heraus, als wir uns einigermaßen beruhigt haben. "Danke für den Urlaub; und dafür, dass du du bist; und überhaupt." Ich ziehe ihn wieder zu mir heran und küsse ihn. Er lächelt, als ich ihn freigebe. "Nichts zu danken."
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Messias
RandomIara war schon mit vierzehn in der Rap-Szene unterwegs, hier mit der einen Band am Start, dort mit der anderen. Irgendwie kommt man nicht mehr raus aus diesem doch sehr speziellen Freundeskreis. Aber warum sollte man das auch wollen? Staffel 4 meine...