Nachdem wir aneinander geraten sind, ist meine Stimmung gedrückt und Hannes geht es ganz genauso. Meine Anspannung ist im Gegensatz zu seiner aber wirklich unübersehbar. Vielleicht ist das der einzige Grund, weshalb Tua mich zu sich zieht und es zulässt, dass ich an seiner Brust in regelmäßigen Abständen mein Gesicht vergrabe. Vielleicht hat Hannes Recht und er gestattet es mir, weil es verdächtig wäre, würde er mich in meiner jetzigen Verfassung nicht an sich heranlassen, wo es ihm doch - laut seinem Freund und, wie es aussieht, meinem neuen Erzrivalen - primär darum geht, die Skepsis seiner Jungs gegenüber unserer Beziehung im Keim zu ersticken und damit die perfekte Lüge zu erschaffen. Ich will es nicht und doch zweifle ich an meinem Freund. Hannes hat Tua leider ziemlich erfolgreich vor mir schlechtgeredet.
Statt mich aktiv am Gespräch zu beteiligen, versuche ich das Gläserklirren ebenso auszublenden wie den Rauch der Haschzigaretten.
Die Stimmen der Jungs ebben jedoch bald ab. "Bruder, hast du 'ne Minute?", räuspert Tua sich irgendwann in die entstandene, unangenehme Stille hinein. Seine Augen sind auf Hannes gerichtet. Auf wen auch sonst?
"Immer." Der Angesprochene kippt seinen Whiskey runter. Die Ähnlichkeit, die er dabei zu Luk aufweist, wenn der mit seinem Alkoholproblem zu kämpfen hatte, überrascht mich kein Stück. Gott sei Dank gehört das der Vergangenheit an und Luki ist gesund, er hat es überwunden. Hannes hingegen steckt mittendrin in der Sucht, soweit ich das beurteilen kann.
"Lässt du mich kurz?", nuschelt Tua in meine Haare, ehe er mir einen Kuss auf die Stirn haucht. Grummelnd entlasse ich ihn und wickle mich stattdessen in die graue Flauschdecke auf der Couch.
"Iara?", richtet Vadim das Wort zögerlich an mich. Auch Momo mustert mich besorgt. "Nimm dir nicht so zu Herzen, was Hannes gesagt hat", tröstet er mich. "Der übertreibt oft."
"Er kann sehr überzeugend sein", mischt Vadim sich wieder ein, "aber das ändert nichts daran, dass er Bullshit labert."
"Ihr seid krass anders als er", stelle ich fest, um vom Thema abzulenken. Der subtile Anstoß soll sie dazu bringen, etwas über sich zu erzählen; wenigstens einen von beiden, denn ich will nicht weiter über Hannes reden. Lieber erfahre ich mehr über Vadim und Momo. Das sind zwei Menschen, die Tua tatsächlich jederzeit gute Freunde waren, das spüre ich. Leider macht meine vom Fusel gelockerte Zunge mir da einen Strich durch die Rechnung. "Wieso seid ihr überhaupt mit Hannes befreundet? Er ist ein Schwachmat."
Sie wechseln einen komischen Blick. "Das hat schon seine Vorteile, wenn man mit Hannes auskommt", meint Vadim.
"Nur halt wahrscheinlich nicht so für dich, im ersten Moment", schließt Momo sich ihm an.
"Drogen sind keine Vorteile", antworte ich trocken. Solche Freundschaften habe ich zur Genüge beobachtet. Am Ende war ich diejenige, die Bastian beigebracht hat, dass er nichts von Tickern ohne Berufsethos kaufen darf, die bloß auf seine Partys wollen. Schuster, bleib bei deinen Leisten gilt genauso für Drogendealer: Dealer, bleib bei deinen Drogen und lass deine Kunden in Frieden.
Momo zuckt hilflos die Schultern. "Brauchst du 'ne Umarmung?"
Ein Lächeln stiehlt sich unwillkürlich auf meine Lippen. "Du siehst schon knuddelig aus."
"Bin ich! Ich bin Knuddel-Weltmeister. Frag meine Frau, meine Kinder ... Kannst sogar unseren verklemmten Russen hier fragen", grinst er und klopft Vadim auf den Rücken.
"Ey, Dicka, lass mich." Vadim, der offenbar kontaktscheu ist, schlägt Momos Hand weg. Doch ich beschließe das Angebot anzunehmen.
Der Eindruck täuscht nicht, Momo ist kuschlig. Wie einer dieser Teddybären in Übergröße, die man am Losstand auf dem Jahrmarkt gewinnen kann. Er riecht nach Old Spice, diesem klassischen Männerparfüm, das ich von meinem Großvater kenne; im Prinzip riecht er nach jeder Familienfeier, auf der ich je war: entfernt nach Babyshampoo, frischem Baklava aus dem Back-Shop gegenüber, außerdem nach Waschmittel - Der Duft von Geborgenheit strömt in meine Lungen.
"Geht's dir besser?", will Momo wissen, als ich mich widerstrebend von ihm löse.
Mehr als ein Nicken bringe ich nicht zustande. Trotzdem lächelt Momo und stupst gegen meine Nasenspitze. Immerhin, er hat mich scheinbar einigermaßen gern. "Kopf hoch, Kleines, das wird alles."
DU LIEST GERADE
Messias
RandomIara war schon mit vierzehn in der Rap-Szene unterwegs, hier mit der einen Band am Start, dort mit der anderen. Irgendwie kommt man nicht mehr raus aus diesem doch sehr speziellen Freundeskreis. Aber warum sollte man das auch wollen? Staffel 4 meine...