Kapitel 7b

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 „Du siehst sehr gut aus", kommentiert er während sein Blick kurz über mich huscht. Er streckt mir seinen Arm entgegen, um mich bei ihm einzuhaken. Aber ich starre ihn nur an.

„Was soll das? Warum dieses Schauspiel?", frage ich feste und mit neuer Kraft. Der Gedanke ihm gegenüber zustehen, war um einiges beängstigender als die Realität.

„Lediglich ein Spaziergang mit meiner zukünftigen. Kein Schauspiel. Ist es so absurd, dass ich dich etwas besser kennenlernen will?"

„Natürlich ist das absurd. Erpresst hast du mich zu diesem Treffen. Gekidnappt und gefangen gehalten werde ich. Also meiner Meinung nach ist das ziemlich absurd. Und deine Zukünftige bin ich auch nicht." Die Wut brodelt in mir auf, doch mir gelingt es meine Worte nicht zu schreien. Auch, wenn ich den Drang danach verspüre. Beynon bleibt ganz ruhig. Ein leichtes Lächeln ziert schon die ganze Zeit sein Gesicht. Es ist beinah beängstigend. Sonst ist er auch nicht so geduldig. Zukünftige?! Pah!

„Milady, lass uns ein paar Schritte gehen." Wieder streckt er mir seinen Arm entgegen.

„Das werde ich nicht!", sage ich feste und stampfe wütend auf den Boden. Kurz zerbröckelt seine Fassade und ich kann Ärger in seinem Gesicht erkennen.

„Emmelin, du scheinst zu vergessen, was für dich auf dem Spiel steht." Ich kann ihm ansehen wie ungern er das Druckmittel meiner Familie nutzt, aber trotzdem tut er es.

„Wie könnte ich das, so wie du mich jedes Mal daran erinnerst!" Beynon schließt seine Augen für einen Augenblick. Um nachzudenken oder sich zu beruhigen, kann ich nicht ganz erkennen, doch ich merke wie er langsam die Beherrschung verliert. Das merkwürdige Verhalten, dass er aufgesetzt hat, irritiert mich beinah noch mehr, als seine Anwesenheit.

„Was willst du? Was muss ich dir geben, dass du zumindest so tust, als ob du den Abend genießt?" Warum ist ihm das alles so wichtig?

„Wie wäre es mit meiner Freiheit, so wie die meiner Familie und Kians?", blaffe ich genervt.

„Das geht nicht." Für einen kurzen Augenblick sehe ich Mitleid in seinen Augen. „Wie wäre es, wenn ich Kian wieder zu dir schicke?" Kian. Vor knapp fünf Tagen wurde er von ihm geholt und seitdem weiß ich weder wo er ist, noch wie es ihm geht. Mir ist bewusst, dass das wohl das beste Angebot ist, dass ich bekommen kann. Bevor er es sich anders überlegt, stimme ich zu.

Erneut streckt er mir seinen Arm entgegen, resigniert hake ich mich bei ihm ein. Für eine Weile laufen wir still durch den Garten, der an Schönheit dem in Merah gleicht. Ich kann den Anblick nicht genießen, denn jede Blume, jede Pflanze erinnert mich an Jayden. An sein Lachen, seine Berührung und den Kuss. Und letzten Endes an seinen toten Körper.

„Woran denkst du?", will Beynon plötzlich wissen und ich schrecke zusammen. Ich bin schon wieder in Gedanken versunken und habe meine Umgebung vergessen.

„Nichts."

„Nichts? Das stimmt dich also so traurig? Das glaube ich dir nicht. Du musst dir schon etwas Mühe geben, wenn ich dir Kian zurückgeben soll." Seine kontinuierlichen Erpressungen ärgern mich. Was will er denn von mir? Ich kann doch nicht so tun als wäre nichts. Als wären wir einfach nur ein Mädchen und ein Junge, die durch einen schönen Park spazieren. Denn das sind wir nicht.

„Ich habe an einen Freund gedacht ... einen Freund, den deine Männer getötet haben", blaffe ich ihn verärgert an und ich kann sehen, dass er seine Frage bereut. „Du wolltest doch wissen, woran ich denke, dann sei nicht überrascht, wenn ich es dir sage." Seine Spielchen reichen mir so langsam. Wie gerne würde ich diesen Abend beenden, doch ich muss an Kian denken. Für ihn werde ich das durchstehen.

„Das tut mir sehr leid." Sein Mitleid ist aufrichtig, was mich kurz aus der Bahn wirft.

„Emmelin." Er stockt und schaut mir in die Augen. Plötzlich sehe ich den Gentlemen, den netten Beynon vom Ball vor dem Geschehen, vor mir. Den jungen Mann, dessen Gesellschaft ich genossen habe.

„Das am Abend des Balles, tut mir leid. Ich war betrunken. Und ... ich konnte es in deinen Augen sehen. So lange hatte es niemand mehr. Ich hoffe, du kannst mir verzeihen." Die Worte klingen ehrlich und sein Blick so flehend. Was hat er in meinen Augen gesehen? Ich kann ihnen keine Beachtung schenken. Zu viel ist passiert. Sein Blick wird intensiver und die Erinnerung an den Abend des Balles kehrt zurück. Mit ihr die Angst und das Gefühl zu ersticken. Kurz schnappe ich nach Luft und spüre wie eine Träne sich ihren Weg bahn. Nein! Ich werde nicht vor ihm weinen. Mit meiner ganzen Kraft dränge ich die Erinnerung wieder in die schwarze Tiefe meiner Gedanken.

„Die Umstände, wie du hierhergekommen bist und die dich zwingen, hier zu bleiben, stehen außer meiner Macht. Doch glaube ich, dass wir das Beste daraus machen sollten. Vielleicht kannst du hier wirklich glücklich werden. So wie deine Mutter und Willy. Lass uns die Vergangenheit vergessen. Lass uns neu anfangen. Kannst du das tun? Bitte." Wäre ich nicht bei ihm eingehakt, wäre ich jetzt wohl vom Hocker gefallen. Seine Worte, sein Blick, seine Ausstrahlung scheinen so aufrichtig, flehend, ernsthaft und ehrlich. Wie in Trance spüre ich, dass ich nicke, noch bevor ich einen klaren Gedanken fassen kann. Was ist mit mir los?

Natürlich kann ich nicht alles hinter mir lassen. 

Natürlich kann ich das nicht alles vergessen. 

Natürlich werde ich in diesem Leben nie wieder glücklich. 

Doch mir kommt plötzlich eine Idee. Bis ich einen Plan habe von hier zu verschwinden, kann es nicht schaden Beynons Vertrauen zu gewinnen. Vielleicht kann ich noch mehr über diese Kugel herausfinden und was es damit auf sich hat. Was kann es schaden einen Neuanfang vorzutäuschen? Auf Beynon Gesicht breitet sich ein Lächeln aus.

„Eine Bedingung", sage ich aus meiner Verblüffung befreit. Beynon blickt mir erwartend entgegen. „Wahrheit. Keine Lügen." Nun ist es er, der stumm nickt und wir setzen unseren Spaziergang fort. Seine Schritte sind leichter und seine Anspannung abgefallen. Bis jetzt glaubt er dir. Weiter so, feuert mich mein Verstand an.

„Was hat es mit der blauen Murmel auf sich?" Wahrscheinlich ist es zu früh, das zu fragen, doch einen Versuch muss ich wagen. In der Hoffnung, dass er die neue Vereinbarung nicht gleich schon fallen lässt.

„Die Wahrheit kann ich dir nicht sagen. Und lügen werde ich nicht. Es tut mir leid." Erschrocken über die Antwort, aber auch dem Fakt, dass er sich anscheinend an unsere Abmachung halten will.

„Ist sie der Grund, weshalb ich hier bin?" Beynon nickt kaum merklich, schaut dann wieder zu mir.

„Lass uns nicht über diese Dinge sprechen. Ich darf dir nichts darüber sagen, doch ich hoffe eines Tages kann ich dir alles erklären." Ich sehe ihm an, dass er mit sich selbst kämpft. Eines Tages. Das hört sich so lange an. Der Beynon, der schrecklich junge Mann, den ich dachte zu verabscheuen, scheint plötzlich ein anderer. Für einen kurzen Moment bin ich verführt tatsächlich neu zu beginnen. Doch dann erscheint das Bild von Jaydens leblosen Körper wieder vor mir. Beynon ist daran schuld! Auch deine Mutter hat er dir genommen! Und deinen Vater hat er auch auf dem Gewissen! Rufe ich mir erneut in das Gedächtnis. Wenn ich antworten will, muss ich erst einmal sein Vertrauen gewinnen, vielleicht verrät er mir dann etwas.

Die Flucht (Merahs Fluch 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt