Kapitel 13b

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Nach dem Essen bringt mich Beynon in den Saal, in dem wir damals das Date hatten. Der Nachmittag an dem mich Leander küsste. Ich verdränge die Erinnerung und versuche mich auf Beynon zu konzentrieren. Wir stehen vor dem großen Fenster, welches eine hervorragende Aussicht auf den Garten und das große Tor der Palastmauern gibt. Beinahe hoch genug, um über sie hinauszusehen. Von hier oben wirkt der Garten noch prächtiger und bunter.

Ich erkenne wie das schwere Tor der Außenmauer, sich öffnet und eine Kutsche hineinrollt. Zuerst ist sie nur ein kleiner Fleck, doch so näher sie kommt, umso pompöser und größer wird sie. Eine Kutsche fit für einen König, bemerkt mein Verstand. Und ich muss zustimmen. Mit Gold verzierte Ornamenten, den Farben und der Flagge von Evrem wirkt sie wahrlich prunkvoll. Auch ein Siegel, wahrscheinlich das des Königshauses, prunkt groß auf ihr. War der König unterwegs? Oder kommt die Königin, die offensichtlich nicht im Palast lebt, zu Besuch? Mein Blick geht zu Beynon, der ebenfalls die Kutsche fokussiert. Sein breites Lächeln lässt darauf schließen, dass es sich nicht um den König handeln kann. Also doch seine Mutter.

Als die Kutsche vor dem Haupttor des Palastes hält, öffnet der Kutscher schnell die große Türe und hilft einem jungen Mädchen mit langen roten Locken aus ihr. Sie trägt ein einfaches aber trotzdem pompöses rotes knielanges Kleid. An den Ärmeln hat es große Rüschen, aber andere Details kann ich aus dieser Entfernung nicht ausmachen. Sie ist sehr jung. Viel zu jung um jemandes Mutter zu sein. Verwirrt schaue ich zu Beynon, der auch kurz seinen Blick zu mir wendet.

„Meine Schwester", sagt er stolz mit einem breiten Grinsen. Mir fällt der Mund auf. Damit habe ich nicht gerechnet.

„Du hast eine Schwester?", frage ich verblüfft, während ich das junge Mädchen vom Fenster betrachte.

„Ich habe sogar zwei Schwestern", sagt er belustigt und etwas irritiert über meine Ahnungslosigkeit.

„Sie waren beide am Abend des Balles in Merah anwesend. Aber wie ich sehe, hattest du tatsächlich nur Augen für mich", zieht er mich auf und wirft mir ein bezauberndes Lächeln entgegen.

„Und wo sind sie? Weshalb leben sie nicht im Palast?" Die Wohnsituation seiner Familie wird immer komplizierter. Wie kann jemand seine Familie so aufteilen?

„Vom zehnten zum sechzehnten Lebensjahr, erhalten wir unsere Schulbildung an einem angesehen Internat im Landesinneren. In dem Zeitraum verbringen wir nur wenigen Zeit im Palast", erklärt er mir geduldig. „Das ist auch der Grund, weshalb meine Mutter dort lebt. Um näher bei ihnen zu sein." Kurz schaut er noch einmal aus dem Fenster. Danach wendet er sich wieder zu mir und sein Blick wird ernster, beinah besorgt.

„Emmelin, meine Schwester weiß nichts von den Umständen, die dich hierher bringen. Also ich meine die ..." Kurz pausiert er und überlegt wie er es formulieren soll.

„Die Entführung", beende ich den Satz kalt, aber nicht wütend.

„Ja. Sie glaubt wir haben uns am Abend des Balles kennengelernt. Immerhin hat sie uns gesehen. Sie glaubt du seist nur zu Besuch. Ich weiß wie du dich fühlst und deine Einstellung zu all dem. Ich weiß, dass du mir nicht glaubst, dass das alles zu deinem Besten ist. Aber ich würde dich trotzdem bitten vor ihr die Umstände nicht zu bemerken. Wenn nicht meinetwillen, dann ihretwegen. Sie ist vierzehn Jahre und sollte nicht in die Sache mit hineingezogen werden." Er hat sich viele Gedanken gemacht und will tatsächlich nur seine Schwester schützen. Irgendwie tut sie mir leid. Ich muss an Willy denken und wie ich mir wünschen würde, dass jemand das auch für ihn tun würde und willige ohne Murren ein.

„Ich möchte dich nicht ... einsperren während sie zu besucht ist. Das hast du nicht verdient. Aber ich muss dir vertrauen können." Sein Blick ist flehend und ich sehe seine Befangenheit. „Mein Vater glaubt, es sei keine gute Idee. Aber ich konnte ihn überzeugen, dass du dich ihretwillen zusammenreißen kannst." Ich kann ihm ansehen, dass es kein leichtes Gespräch gewesen ist. Zumal ich weiß was für einen Respekt er vor seinem Vater hat. Irgendwie schmeichelt es mir, dass er sich dafür eingesetzt hat mich nicht einzusperren. Er weiß wie sehr ich es hasse. Ich gewinne langsam sein Vertrauen, jubele ich innerlich.

„Kannst du mir das versprechen?", höre ich ihn zärtlich, hoffnungsvoll und mit leicht zittriger Stimme fragen. Ich nicke leicht.

„Du musst es sagen", drängt er sanft.

„Ich verspreche es." Meine Worte sind ehrlich. Er hat recht. Seine Schwester verdient es nicht in diese Situation mit hineingezogen zu werden.

„Sehr gut", sagt er zufrieden und glücklich. „Zudem darfst du ab heute dein Gemach verlassen, wann immer du möchtest. Natürlich begleitet von einem Wachmann. Ein Geschenk deiner vierwöchigen Anwesenheit hier, sozusagen", verkündet er so fröhlich, dass ich Grinsen muss. Doch innerlich ist mir nicht nach Lachen. Vier Wochen? Sind wir schon vier Wochen hier? Und kein Stück näher an einem Fluchtplan. Ich muss schwer schlucken.

„Aber sei vernünftig. Denn wenn du etwas anstellt oder dummes machst, verlierst du das Privileg wieder. Okay?", beendet Beynon seine Ansprache.

„Okay", sage ich schüchtern, da ich in Gedanken immer noch über die Zeitspanne geschockt bin.

„Okay, also gut, lass uns meine Schwester begrüßen", trällert er glücklich und sein Gang ist leichter. Die normale Anspannung ist verflogen und die steife Haltung etwas gelockert. Gemeinsam schreiten wir die breite Treppe hinunter zum Haupteingang des Palastes. Leander steht bereits bei seiner Schwester und unterhält sich mit ihr.

„Maisie", ruft Beynon glücklich seiner Schwester zu, welche sich sofort zu ihm dreht und ihm freudig in die Arme springt. Die Beziehung zwischen den beiden ist nicht zu übersehen und steht jetzt schon in so einem großen Kontrast zu der zu Leander. Ob es daran liegt, dass sie nicht dieselbe Mutter haben oder doch nur brüderliche Rivalität? Es ist ungewohnt Beynon so herzlich zu sehen. Leander stellt sich leise neben mich und wir betrachten das glückliche Wiedersehen.

„Wie lange war sie nicht mehr hier?", frage ich verwirrt über die große Freude.

„Das letzte Mal beim Ball in Merah", sagt er leise und schenkt mir ein vorsichtiges Lächeln.

Als die beiden sich ausgetauscht haben, dreht sich das junge Mädchen zu mir und betrachtet mich zuerst skeptisch. Doch dann wird ihre Miene seicht und lächelt.

„Hallo, ich bin Maisie." Sie streckt mir ihre Hand entgegen und ein zuckersüßes Lächeln schmückt ihr zartes Gesicht.

„Emmelin", erwidere ich, während ich ihre Hand schüttelt.

„Schön dich kennenzulernen." Kurz darauf verziehen die drei sich, um sich auf den neuesten Stand zu bringen und lassen mich in zurück. Da ich nicht mehr an mein Zimmer gebunden bin, haben sie es nicht für nötig gehalten mich dorthin zurückzubringen. Etwas wütend darüber, beruhige ich mich schnell. Ich muss eingestehen, dass es etwas Positives ist. Sie vertrauen mir inzwischen genug, um mich nicht zum Zimmer zu bringen. Etwas vorsichtig schaue ich um, doch am Rande der Eingangshalle sehe ich meinen persönlichen Wachmann. Ganz vertrauen sie mir nicht. Um ehrlich zu sein, würde ich mir auch nicht vertrauen.

Die Flucht (Merahs Fluch 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt