Kapitel 24a

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In meiner Hand halte ich eine Zeichnung, die ich bis jetzt noch nie gesehen habe. Eine Zeichnung, die Tränen in mir aufsteigen lässt. Eine Zeichnung, die mich unsere Situation vergessen lässt.

„Emmelin, was machst du?", ruft Kian erschrocken und springt vom Bett. Als er jedoch sieht, dass ich die Zeichnung bereits in Händen halte, stoppt er in seiner Bewegung.

„Wieso ..." Meine Stimme bricht. Mein Blick ist starr auf das Blatt Papier in meiner Hand gerichtet. „Wieso hast du das gemacht?", frage ich mit zittriger Stimme, sodass die Worte kaum verständlich sind. Jetzt kann ich mir erklären, weshalb er es ständig versteckte, wenn ich den Raum betrat. Weshalb er nicht wollte, dass ich es sehe. Er muss gewusst haben, wie ich mich fühle. Musste wissen, was mir der Anblick antun würde.

„Emmelin", hörte ich Kians sanfte Stimme und spürte wie er näher kommt. „Ich wollte nicht, dass du es siehst. Noch nicht", sagt er traurig und legt behutsam seine Hand auf meine Schulter. Kurz zucke ich zusammen, halte meinen Blick aber auf die Zeichnung. Der Anblick hält mich gefangen und erweckt eine Trauer, die mir das Herz zerreißt; Erinnerungen, die meinen Verstand angreifen und Gefühle, die eine Wolke auf mich legen.

Das lange Haar, das ovale Gesicht mit den hohen Wangenknochen und der kleinen Narbe auf der Wange brennt sich in meinen Verstand, wie es meiner Erinnerung zuvor nicht gelungen ist. Der große sportliche Körper, der so stark und doch so sanft wirkt. Die Hände die behutsam auf dem jungen Mädchen liegen. Die blauen Augen, die, obwohl sie nur mit Bleistift gezeichnet sind, himmelblau funkeln. Eine Liebe glitzert in ihnen, die deutlicher nicht sein kann. Auf den schmalen, geschwungenen Lippen liegt ein Lächeln, das mein Herz kurz tanzen lässt.

Der junge Mann strahlt das Mädchen, das er in den Armen hält, an und zu einer Melodie schwingt, die ich in Gedanken hören kann. Seine Hände lösen ein Kribbeln auf ihrer Haut aus, das wie ein Lauffeuer in ihr brennt, sie jedoch nicht verbrennt. Ihr das Gefühl von Geborgenheit und Zuflucht gibt. Einen Sinn von Heimat und – Liebe. Mit einem Schlag wird mir etwas bewusst. Ich liebe Jayden. Die Zeichnung von ihm und mir auf der Tanzfläche, schlägt bei mir ein wie eine Abrissbirne, die all die Zweifel, Ängste und Bedenken, die ich je über meine Gefühle von ihm hatte, nieder reißt.

Im nächsten Moment schaltet sich mein Verstand ein. Es ist zu spät, kommentiert er traurig, ohne einen spöttischen Unterton. Weitere Tränen fließen meine Wangen hinunter bis ich keine mehr habe. Meine Augen beginnen zu brennen und mein Herz stärker denn je zu schmerzen.

„Es ist zu spät", schluchze ich und falle in die Arme von Kian. Eng ziehe ich ihn zu einer Umarmung, mit der ich versuche, die Teile meines Herzens zusammenzuhalten. Es vor dem kompletten Verfall zu schützen. Meine Schnappatmung lässt auch meine Lunge schmerzen, meine Gedanken werden von einem Nebel der Trauer überdeckt und alles in mir lechzt nach Liebe. Nach Jayden. Nach seiner Berührung. Seiner Nähe.

Ich weiß nicht wie lange ich mich, wie ein Mensch im offenen Meer an eine Rettungsboje, an Kian klammere. Meine Glieder werden schwerer, meine Kraft erlischt und meine Knie weich. Ich kann mich nicht mehr aufrecht halten. Im letzten Moment gelingt es Kian meinen Fall zu stoppen. Er hebt mich in seinen Arm und legt mich behutsam ins Bett. Als er um das Bett gehen will, um sich auf seine Seite zu legen, greife ich nach seinem Arm.

„Lass mich nicht alleine", flehe ich mit einer so tiefen Trauer, dass auch ihm Tränen in die Augen steigen. Vorsichtig legt er sich neben mich. Augenblicklich rücke ich näher und lege meinen Kopf auf seine Brust. Ich brauche die Nähe, muss seinen Herzschlag hören und seinen Duft einatmen. Ich brauche seinen Arm um mich, der mich fest an sich drückt und die Hand, die mir liebevoll übers Gesicht streicht. Ich brauche die Liebe eines Freundes, um das Loch, das in mir aufreißt, zu bändigen. Um es davor zu stoppen mein ganzes Sein zu verschlingen.

Die Flucht (Merahs Fluch 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt