Kapitel 21c

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„Ich lass dich nicht rein", höher ich Leanders strenge Stimme.

„Leander, geh mir aus dem Weg!", blafft ihn Beynon genervt an, aber auch Verzweiflung ist aus seiner Stimme hörbar.

„Nein!", antwortet dieser streng. Wie viel Zeit ist vergangen? Mein Körper fühlt sich schrecklich müde an. Acht-und-zwanzig Tage, höher ich die Stimme des Königs und reiße meine Augen auf. Wie viel Zeit ist vergangen? Wie viel Zeit habe ich verloren? Erschrocken schaue ich zu den zwei Brüdern, die in der Türe stehen. Sie bemerken mich nicht.

„Leander, ich kann ihr helfen! Außerdem gehört sie nicht dir", sagt er sanfter, beinah flehend, aber so herrisch, dass es mir eine Gänsehaut über den Rücken jagt. Dann sehe ich es. Ich sehe das kleine Objekt, dass er in der Hand hält. Die kleine blaue Murmel, die ich beinah wieder vergessen habe.

Ich weiß, dass Beynon recht hat, was die Murmel angeht. Die Kugel hat damals nicht nur die Wunde an meinem Arm geheilt, aber sogar die Narben. Jeder Atemzug schmerzt und sprechen kann ich nicht. Die Murmel könnte mir vielleicht wieder meine Wunden nehmen und den schrecklichen Schmerz lindern.

„Leander!", brüllt Beynon genervt und versucht sich an seinem Bruder vorbeizuschieben. Ein kleiner Kampf bricht zwischen den Beiden aus. Ich versuche nach ihnen zu rufen, doch alles, was aus meiner Kehle kommt, ist ein heiseres Krächzen und schmerzt wie tausend Messerstiche. Panisch schaue ich mich um. Irgendwie muss ich ihre Aufmerksamkeit auf mich ziehen. Neben mir erkenne ich ein Tablett mit einem Krug Wasser und einem Glas. Ohne groß nachzudenken, lasse ich beides auf dem Boden zerspringen. Abrupt halten die beiden in ihrer Bewegung inne und schauen zu mir.

„Emmelin!", rufen sie gleichzeitig. Beynon will auf mich zu treten, doch hält abrupt an, um meine Reaktion zu beobachten. Starr blicke ich in seine Augen. Seine blauen Augen. Doch jetzt erkenne ich, dass es nicht dieselben blauen Augen sind. Nein. Die seines Vaters sind dunkler. Beynons haben diesen Schimmer und es gelingt mir, ihnen ohne Panik entgegenzublicken. Leander steht inzwischen neben mir und tätschelt meine Hand.

„Wenn du willst, schicke ich in weg", sagt er, doch ich schüttele meinen Kopf. Ich gebe Beynon ein Zeichen näherzukommen und freudig springt er beinah auf mich zu. Er wirft seinem Bruder einen bösen Blick zu, bevor er sich ganz auf mich konzentriert.

„Emmelin, es tut mir so leid. Ich wusste nicht, dass mein Vater ... es tut mir leid", bricht es aus ihm heraus. Mein Blick haftet an der kleinen schimmernden Kugel. Beynon bemerkt meinen Blick und hält sie mir entgegen. Bevor ich sie greifen kann, schnappt Leander sie sich.

„Leander!", schimpft sein Bruder und versucht sie sich wiederzuholen. Er wirkt verärgert und verängstigt zugleich.

„Erklär mir, wie das Ding sie besser machen soll", sagt er abschätzig und betrachtet die Kugel. Weiß er nicht, was Beynon über die Kugel weiß? Was ich weiß?

„Ich muss dir gar nichts erklären. Und jetzt gib sie mir!" Leander schenkt ihm keine Beachtung und Beynon wird panisch.

„Leander", oder so etwas in der Art krächze ich heiser und bekomme seine Aufmerksamkeit. Flehend blicke ich zu ihm und halte ihm meine Hand entgegen. Er legt die Murmel in sie. Feste schließe ich meine Hand, um das kleine blaue Objekt und beobachte wie sich die Ranken wieder um meinen Arm formen. Das leichte Kitzeln fühlt sich angenehm an.

Langsam bahnt es sich meinen Armen hinauf und ich spüre wie meine Kehle beginnt zu kitzeln. Langsam legt sich der Schmerz. Das Atmen fühlt sich nicht mehr so qualvoll an. Genau in dem Augenblick, in dem der Schmerz beinah komplett von mir abfällt, spüre ich wie jemand meine Finger aufzwingt und die Murmel von mir reist. Abrupt verschwindet das Prickeln und ein leichter pochender Schmerz kehrt zurück.

„Beynon!?", erschrocken schaue ich zu ihm. Doch dann bemerke ich, dass meine Stimme kein Krächzen mehr ist. Immer noch etwas heißer, aber durchaus verständlich. Fassungslos blicke ich dem blauäugigen Thronerben entgegen, bis Leanders Worte meine Aufmerksamkeit packt.

„Wie ist das möglich?", höher ich Leander verwundert sagen. Sein Blick ist starr auf meine Arme gerichtet, auf denen vor ein paar Sekunden noch die blauen Ranken glühten. Er wirkt erschrocken, verwirrt und etwas beängstigt. Er weiß nichts über das alles. Ich versuche erneut nach der Murmel zu greifen, doch Beynon lässt sie in seiner Hosentasche verschwinden.

„Mehr geht nicht", sagt er traurig, doch entschlossen. „Mein Vater darf nichts davon wissen. Wenn die blauen Flecken verschwinden, wird er etwas ahnen", erklärt er traurig. Er schaut Leander mahnend an, um ihn aufzufordern, dass auch er nichts sagen darf.

„Beynon, spinnst du? Wenn du ihr noch mehr helfen kannst, dann mach es!", sagt Leander mit fester Stimme.

„Ich kann nicht! Er macht mit ihr noch viel Schlimmeres, wenn er davon erfährt", keift Beynon seinen Bruder an. Dieser will gerade etwas erwidern, doch ich unterbreche ihn.

„Er weiß nichts davon?", frage ich ungläubig. Damals auf dem Schiff war ich mir sicher, dass er sofort dem König Bericht erstatten wird. Er wirkte, als habe er den Jackpot gewonnen. Einen Trumpf, den er auszuspielen nicht abwarten konnte. Beynon schüttelt den Kopf und schaut mir entgegen. Leander sagt irgendetwas, aber mein Fokus gilt ganz Beynon.

„Wieso nicht?" Ich weiß, wie viel ihm an der Anerkennung seines Vaters liegt. Ich versteh nicht, was diese Murmel wirklich ist, doch scheint es ganz, nachdem was der König sucht. Beynon zuckt mit den Schultern. Ich sehe ihm an, dass er nicht die Wahrheit sagt. Also lasse ich meine Augenbrauen vielsagend nach oben huschen und betrachte ihn feste.

„Ich hatte Angst, was er dir antun würde", sagt er leise, doch verständlich.

„Das hast du trotzdem hinbekommen", höre ich wieder Leander vorwurfsvoll sagen und sehe, wie Beynon kurz zusammenzuckt. Das alles ergibt keinen Sinn. Dass Beynon inzwischen etwas an mir liegt oder er das glaubt, ist mir bewusst. Doch damals? Ich war mir sicher, dass er mich verabscheut. Ein Objekt, das er besitzen wollte. Alles scheint wieder in meinem Kopf zu drehen.

„Ich möchte zurück zu Kian", ist alles, was ich sage und mich mühevoll vom Bett kämpfe. Meine Kraft ist nicht ganz regeneriert, denn ich sacke zusammen und werde im letzten Moment von ihm gehalten. Gemeinsam helfen mir die beiden Brüder zurück aufs Zimmer. Nachdem ich darauf bestehe zu laufen und nicht getragen zu werden, stützt mich jeweils einer von ihnen auf jeder Seite.

Am Zimmer angekommen, stelle ich erschrocken fest, dass die Türe abgeschlossen ist. Ohne Zögern entriegelt sie einer der nun vier Wachmänner. Die Türe ist gerade einen Spalt geöffnet, als Kian sie aufreißt. Sein Blick trifft auf meinen Hals und jegliche Farbe weicht aus seinem Gesicht. Besorgnis legt sich auf ihn, dann Ärger und dann Zorn.

Als sein Blick auf Beynon trifft, schellt seine Faust in das Gesicht, des Thronerben, der zu Boden geht. Bevor Kian erneut zuschlagen kann, wird er von zwei Wachmännern gepackt. Wild versucht er sich aus dem Griff zu lösen, um auf Beynon los zu gehen, doch die Männer sind stärker. Leander gelingt es mich vor einem Sturz auf den Boden zu halten und betrachtet die Situation mit etwas, das beinah an ein Grinsen erinnert.

„Kian!", schreie ich entsetzt. Er beruhigt sich, als er zu mir blickt und hört auf sich gegen den Griff von den Männern zu wehren. Die Wachmänner lassen nicht von ihm ab. Flehend blicke ich zu Leander, der ihnen ein Zeichen gibt und sie von ihm ablassen. Schmerzhaft schnauft Beynon und steht auf. Auch er schaut zu mir. In seinen Augen sehe ich, wie sehr er mit sich kämpft, Kian nicht zu schlagen. Bevor seine Wut überschäumen kann, stürmt er den Gang entlang. Vorsichtig kommt Kian auf mich zu und ich lasse mich von ihm in den Arm ziehen. Kurz bleibt Leander noch stehen, geht dann auch ohne eine Verabschiedung.

Mühevoll hilft Kian mir zum Bett. Gerade als ich mich setze, höher ich wie die Türe geschlossen und verriegelt wird.

Die Flucht (Merahs Fluch 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt