Kapitel 25b

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Während des Essens heftet mein Blick immer wieder gedankenverloren an meiner Familie. Es fällt mir schwer den Gesprächen zu folgen und mehr als einmal schauen mir Leander oder Beynon verwirrt entgegen.

„Alles in Ordnung?", höher ich Leander besorgt fragen. Ich brauche einen Moment, um zu verstehen, dass seine Frage mir gilt. Schnell drehe ich mich zu ihm und lächle.

„Ja, alles bestens", sage ich schnell, doch sehe den Zweifel in seinen Augen. Auch spüre ich Beynons Misstrauen auf mir, versuche ihn zu ignorieren.

„Hey Willy, was hast du den ganzen Tag gemacht?", wende ich die Aufmerksamkeit von mir ab. Auch seine Stimme möchte ich mir ins Gedächtnis brennen. Aufmerksam verfolge ich jedes Wort, jede Gesichtsregung und jede Gestikulation. Ich sehe mehr von unserem Vater in ihm, als ich mir zuvor eingestanden habe. Er scheint tatsächlich nur die Augen meiner Mutter geerbt zu haben und nicht die Nase wie zuvor gedacht.

Nach dem Essen drücke ich den Kleinen an mich. „Ich hab dich lieb. Du bist der beste kleine Bruder der Welt. Vergiss nie, dass ich dich liebe. Okay?", flüstere ich ihm leise ins Ohr, um nicht das Misstrauen, der Brüder erneut zu wecken. Auch meine Mutter umarme ich feste. „Ich liebe dich", flüstere ich auch ihr zu. Versuche mir ihren Duft, ihre Wärme und ihr ganzes Sein einzuprägen. Ich werde für euch zurückkommen, verspreche ich ihnen in Gedanken. Wieder kämpfe ich mit den Tränen, aber muss einsehen, dass es zu viel Verdacht schöpfen würde.

„Emmelin, dürfte ich dich noch kurz entführen?", höre ich Leander hinter mir. Kurz zucke ich zusammen. Ich habe meiner Mutter und Willy hinterhergeblickt, als sie den Raum verlassen haben und vergessen, dass die Brüder noch im Raum stehen.

„Sie sieht müde aus. Du solltest sie schlafen gehen lassen", sagt Beynon mahnend zu seinem Bruder. Ich drehe mich zu den beiden um und sehe wie er seinen Bruder böse anblickt. Leander jedoch hat seinen Augen noch auf mich gerichtet.

„Es dauert nicht lange, versprochen", sagt er mit einem Lächeln und ich sehe Beynon an, dass er beinah vor Eifersucht platzt. Ich lächle Leander entgegen und nicke ihm zu. Dieser kommt glücklich zu mir und hält mir seinen Arm entgegen. Beynon schnaubt verärgert, legt aber keinen weiteren Protest ein. Schweigend führt er mich auf das Dach und weist mir an mich auf die Balustrade zu setzen. Kurz geht mein Blick zum Nachthimmel. Heute Nacht bin ich so frei wie ihr, rufe ich ihnen in Gedanken zu.

Als ich Leanders Anspannung und tiefe Atmung bemerke, richtige ich meine Aufmerksamkeit wieder ihm zu. Unruhig spielt er mit seinen Händen und leichter Schweiß glitzert aus seiner Stirn.

„Was ist es, dass du mir sagen wolltest?", frage ich sanft, um ihn ein wenig der Nervosität zu nehmen. Er nimmt einen letzten tiefen Atemzug und das leichte Zittert legt sich.

„Emmelin ... du weißt, dass ich nicht viel von der ganzen Situation halte ... deiner Einführung und ... das alles, was Beynon dir antut." Er schluckt kurz und betrachtet mich, um eine Reaktion zu erkennen. Mein Gesicht behält das leichte Lächeln und zuckt nicht einmal. Als er bemerkt, dass ich nicht reagiere fährt er vor.

„Ich habe mit meinem Vater gesprochen. Ich habe versucht ihn von der Hochzeit abzulassen. Du solltest nicht dazu gezwungen werden." Nun überraschen mich seine Worte doch und meine Augenbrauen gehen in die Höhe. Er tut es schon wieder. Setzte sich für mich ein. Bei meinem Gesichtsausdruck endet meine Reaktion und ich lasse ihn weitersprechen. Seine Augen werden forschender.

Wären die Umstände anders und meine Flucht nicht heute Nacht, würde mein Verstand wohl aufgeregter und flehender sein. Doch mit den mir bekannten Umständen gelingt es mir beinah neutral zu bleiben. Ich weiß, wie viel Autorität und Furcht der König versprüht, ich hatte nie die Hoffnung, dass es den Brüdern gelingen würde, ihn vom Gegenteil zu überzeugen.

Die Flucht (Merahs Fluch 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt