Kapitel 21a

1K 98 22
                                    

Es ist fünf Abende her, seit dem die Männer aus Merah im Palast aufgetaucht sind.

Fünf Tage, seit Leander mich geküsst hat.

Fünf Tage, als das Gefühlschaos über mich zusammengebrochen ist.

Fünf Tage, seit dem Besuch bei Alistair, bei dem ich glaubte endlich Antworten zu bekommen.

Seit dem ist keine Spur mehr von Männern aus Merah. Jeden Abend habe ich mich zu Alistair geschlichen und an zwei Abenden auch wieder in Beynons Arbeitszimmer, kann die Schubladen jedoch nicht aufbekommen und auch den Schlüssel nirgends finden.

Das Buch, das ich aus Alistairs Zimmer entwendet habe, ist in einer alten Sprache geschrieben, sodass weder Kian noch ich die Worte verstehen. Nur zwei Zeilen sind uns bekannt: Onur toolb ronigmal ud nemral fer sotan ca comgin ligit fo nagi dervilt. Onur staduren midte nak tunle nela. Ebevie consiquegt allea nym dinich. Weshalb wir wissen, dass es etwas mit der Auslese zu tun hat. Dieselbe Liste von Mädchennamen, die der von Caspians Buch gleicht, schmückt die letzte Seite wenn auch die letzten vier Namen fehlen.

Vehement arbeite ich an einem Fluchtplan und inzwischen arbeitet auch Kian konzentrierter daran. Doch wir bekommen kaum Zeit uns etwas zu orientieren. Ständig kommt Beynon, Leander oder Minerva vorbei; fürchten, dass die Wachen uns belauschen oder sind zu müde.

Meine Mutter ignorierte ich weiterhin. Ihr Verrat schmerzt mehr, als alles andere. Ich habe Angst, wenn ich sie anblicke, sie den Hass sehen kann und das will ich nicht. Sie ist es, die mich so sehr lieben sollte, dass sie die Regeln für mich biegt; die versucht, Zeit mit mir zu verbringen, selbst wenn Beynon es nicht will. Sollte es nicht sie sein, die mich um sich haben will? Die Zeit mit mir genießt? Sollte nicht sie sich wie Leander verhalten?

Ich liege auf dem Bett, wieder gefangen von Fragen, die niemals beantwortet werden. Geistesabwesend starre ich auf das Armband, das Leander mir geschenkt hat. Die kleinen Sterne blitzen im Licht. Es ist schön, die Sterne auch bei Tag bei mir zu haben, auch wenn ich weiß, dass es sich nur um Metall handelt. Es ist eines der wenigen Dinge, die mir gehört. Innig betrachte ich die kleinen fünfzackigen Sterne und stelle traurig fest, dass sie weniger geworden sind.

Als es klopft ist es noch zu früh für das Mittagessen und verwirrt öffne ich die Türe. Beynon blickt mir besorgter als sonst entgegen. Eine Furcht blitzt in seinen Augen, die ich nur wenige Male zuvor gesehen haben. Nur wenn er zu ...

„Ich muss zu deinem Vater", sage ich schockiert und sein Gesichtsausdruck verrät mir, dass ich richtig liege. „Bitte nicht", beginne ich sofort zu betteln. Nur der Gedanke an den alten, dicken Mann lässt mir eine Gänsehaut über den Rücken fahren. „Ich mach, was immer du willst. Bitte, bitte bring mich nicht zu ihm", bettele ich so flehend, dass ich sehe, wie es ihm das Herz bricht. Ich kann nicht noch mehr Drohungen gegen meine Familie ertragen. Nicht noch mehr Zorn entgegensehen.

„Emmelin, ich muss. Aber ich bin bei dir. Du brauchst keine Angst zu haben." Ich höre, dass er seine eigenen Worte bezweifelt. Seine Augen strahlen noch dieselbe Angst aus.

„Bitte", bettele ich weiter und nehme ein paar Schritte rückwärts in den Raum. Kian springt sofort auf, als er meine Verzweiflung bemerkt und stellt sich schützend vor mich. Zum ersten Mal verstecke ich mich wie ein kleines Mädchen hinter ihm.

„Emmelin, es geht nicht anders. Glaub mir, du möchtest nicht, dass mein Vater Männer schicken muss. Es ist am besten, wenn du mit mir kommst", versucht er zu verhandeln. Er hat recht, gestehe ich mir selbst. Was auch immer er mit mir vorhat, er könnte meiner Mutter, Willy und Kian noch viel Schlimmeres antun. Meinen eigenen Schmerz kann ich vielleicht ertragen, aber keinen Moment, indem ich sie leiden sehen muss. Ich atme tief durch und will an Kian vorbei gehen, doch er hält mich auf.

Die Flucht (Merahs Fluch 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt