Kapitel 14a

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Die nächsten Tage gehört die Aufmerksamkeit der Brüder, ihrer kleinen Schwester. Zum einen überkommt mich eine irrationale Eifersucht, aber auch eine Erleichterung. Mit ihrer Aufmerksamkeit bei Maisie fällt sie von mir ab. Auch fühle ich mich nicht mehr zwischen den beiden hin- und hergerissen.

Während dem Frühstück und Mittagessen plappert Maisie fröhlich vor sich hin. Wüsste ich es nicht besser, könnte ich meinen, sie sei mit Kalea verwandt. Ich lausche ihren Erzählungen gerne, denn sie sind so fröhlich und unschuldig. Die wenige Aufmerksamkeit und Ablenkung durch die Brüder lässt mich meine Mutter und meinen Bruder noch mehr vermissen. Wann sie wieder zurückkommen kann mir Beynon noch nicht sagen, aber er versicherte mir, dass es nicht lange sein wird.

Das Privileg im Palast einherzugehen, nutze ich aus um mir einen besseren Lageplan und Übersicht vom Palast zu machen. Inzwischen habe ich mein komplettes Stockwerk erforscht und einige der anderen. Mein Wachmann fällt inzwischen immer weiter zurück und lockert langsam seine Adleraugen. Mehr als einmal ist mir aufgefallen, dass er kurz verschwindet, während ich ein neues Zimmer erkunde. Anfangs habe ich mich stark zurückgehalten, um genau das zu erreichen.

Ich streife gerade durch einen der Gänge, als mir eine wunderschön geschmückte Tür ins Auge fällt. Nicht wie die anderen, ist diese bunt, einladend und mit einem Kunstwerk geschmückt. Wie jedes Mal halte, ich vor der Türe bis der Wachmann zu mir aufholt. Es ist meistens derselbe. Ein Mann im mittleren Alter, einen Kopf größer als ich, breite Schulter, kurz geschnittenes Haar und ein glatt rasiertes Gesicht. Er läuft als hätte er einen Stock im Hintern und seine Schritte sind schwer. Seine eiserne Miene, aus der ich nicht schlau werden kann, lässt nicht darauf schließen, dass er abgeneigt von seiner Arbeit ist. Er spricht nicht viel und beantwortet Frage meist einsilbig, ist jedoch immer höflich. Allgemein fällt mir auf, dass mich die Bediensteten, denen ich immer wieder über den Weg laufe, wie eine Hochrangige behandeln. So wie ich es in Merah mit den Abgeordneten getan habe. Ein kurzer Knicks, kein direkter Blickkontakt und ansprechen tut mich niemand. Immer wieder frage ich mich wer sie denken, dass ich sei und wie viel sie über meine Situation wissen.

„Tal!", rufe ich dem Wachmann entgegen. Es ist nicht sein wirklicher Name. Aber er will ihn mir nicht nennen, weshalb ich ihn nach dem Wächter in Merah benenne, den Jayden kannte. Wie jedes Mal, wenn ich ihn bei dem Namen rufe, verdreht er seine Augen, setzte aber einen Zahn zu.

„Was ist hinter dieser Türe?", frage ich neugierig und zeige auf die schön verzierte Türe.

„Galerie." Wie immer kein Mann der vielen Worte.

„Darf ich da rein?" Bevor ich einen unbekannten Raum betrete, frage ich nach. Ich will nichts dummes Anstellen, wie Beynon es genannt hat. Kurz nickt mir Tal zu und positioniert sich neben dem Türrahmen. Er kommt also nicht mit rein, schlussfolgerte ich aus seinem Verhalten und drückt die Türe auf. Ein dunkler Raum kommt zum Vorschein. Durch einen Vorhang dringen einzelne Sonnenstrahlen, in dessen Licht tausende Staubkörner tanzen. Die Luft ist stickig und trocken, weshalb ich mehrmals husten muss. Hier war schon lange niemand mehr. Mit zügigen Schritten gehe ich auf den Vorhang zu und schiebe ihn zur Seite. Was zum Aufwirbeln von mehr Staub führt und mich niesen lässt.

„In Merah würde es so etwas nicht geben. Da hätten wir bereits jedes Staubkorn weggewischt", bemerke ich laut an, als meine Gedanken kurz zu Madam Pilo, die die Aris im Palast überwacht, geht. Kurzentschlossen öffne ich das Fenster, um etwas frische Luft in den Raum zu lassen. Danach öffne ich die anderen Vorhänge und flute den Raum mit schönem Tageslicht. Erst dann blicke ich mich um.

Erstaunt gleitet mein Blick über die Wände. Unzählige Gemälde in den verschiedensten Farben und Größen hängen an ihnen. Wahre Meisterwerke. Detailliert und mit Liebe zeigten sie Porträt, Landschaften und Tierwesen. Kian würde das hier lieben, schießt es mir als Erstes durch die Gedanken. Auf einem der Gemälde erkenne ich einen jungen Beynon und trete näher an das Familienporträt. Sofort erkenne ich auch den König, der sich kaum geändert hat und seine wütenden Augen sind exzellent getroffen. Auch den jungen Leander erkenne ich sofort. Er scheint um die zwölf zu sein und hat seinen Arm um die Schultern des kleinen Beynons. Sie wirken vertraut, freundschaftlich, brüderlich. Das kleine ungefähr fünfjährige Mädchen muss Maisie sein. Ihre langen lockigen roten Haaren waren schon damals bezaubern. Ein weiteres kleines Mädchen mit denselben roten Locken, ungefähr drei, hält die Hand der Frau, die neben dem König steht. Offensichtlich die Königin. Auch sie ziert wunderschöne rote Haare. Mir fällt auf wie sehr sich Leanders Haar, von dem seiner Geschwister unterscheiden. Es ist beinahe dunkelbraun mit einem rot stich. Nicht so reines Rot wie das der anderen. Ein weiterer Junge steht neben ihnen, den ich jedoch nicht erkenne.

Eine ganze Weile betrachte ich auch die anderen Kunstwerke. Die Bilder, der Natur scheinen mich tatsächlich an den Ort zu entführen und verzaubern mich. Ein Bild zeigt eine Hütte im Wald an einem kristallklaren See, das etwas Beruhigendes und Wohlfühlendes hat.

Als mein Blick an einem kleinen blonden Jungen hängen bleibt, stocke ich. Unbestreitbar ist es mein kleiner Bruder Willem. Er ist vielleicht zwei Jahre. Dieses Funkeln in seiner Augen. Kurz bin ich gewillt das Bild von der Wand zu nehmen und in mein Zimmer zu hängen. Das würde wahrscheinlich, als dummes Handeln zählen und mich meines Privilegs berauben. Es ist von demselben Künstler wie die meisten Porträts. A.J.M. Eine ganze Weile starre ich das wunderschöne Bild meines kleinen Bruders an, als die Türe aufgeht und mich herumschnellen lässt. Tal räuspert sich kurz und deutet auf seine Uhr. Es muss Zeit für das Mittagessen sein.

Schnell schließe ich das Fenster und eile durch den Flur. Genau pünktlich erreiche ich den Essenssaal. Als ich eintrete bin ich die Erste. Etwas verwirrt lasse ich mich auf meinem Platz nieder und warte. Nach einigen Minuten geht die Türe auf und Maisie tritt hinein.

„Was? Noch niemand da?", fragt sie verwundert und blickt mich an. „Was machst du denn schon hier?", fragt sie danach. Was meiner Meinung nach im Gegensatz zu ihrer ersten Frage steht. Ich weiße nicht, wie ich darauf antworten soll, weshalb mein Blick kurz zur großen Uhr an der Wand geht. Um sicherzugehen, dass es tatsächlich schon Zeit ist. Zehn nach zwölf.

„Pünktlich wie James sehe ich. Normalerweise zumindest. Es kommt nicht oft vor, dass er sich verspätet. Also Leo schon, aber James nie", sagt sie kichern, aber verwirrt mich. Ich habe schon oft gehört, dass Willy, Leander mit Leo anspricht, weshalb ich davon ausgehe, dass sie ihn meint.

„Wer ist James?", frage ich verwirrt und ernte ein Lachen von dem Mädchen.

„Oh, tut mir leid. Ich meine Beynon." Meine Gedanken graben eine Erinnerung heraus und ich erinnere mich an unsere erste Begegnung, „Beynon James der dritte."

„Er mag es normalerweise nicht, wenn man ihn bei seinem zweiten Namen anspricht, aber bei mir macht er eine Ausnahme", verkündet das Mädchen freudig. „Weißt du, die beiden haben mir schon einiges über dich erzählt", sagt sie neugierig und musterte mich genau.

„Wirklich?" Etwas fürchtet es mir davor, was die Kleine fragen könnte. Ich darf ihr nichts verraten und muss daher meine Worte sehr bedacht nutzen.

„Ja. Glaub mir, die beiden hast du voll im Griff", verkündet sie belustigt. „Die scheinen hin und weg von dir zu sein. Sogar Leo, der meistens irgendwie abwesend ist. Zwar geben sie es nicht zu. Aber ich sehe, wie sie dich ansehen, wenn du nicht hinschaust. Beynon als wärst du das wertvollste auf der Welt und Leo als müsse er dich für sich gewinnen. Du wirst noch für viel Trubel sorgen", plappert sie amüsiert weiter. „Kein Wunder, dass Beynon und Leo so angespannt sind. Das erklärt, weshalb sie sich noch weniger als sonst ausstehen können." Mich wundert es, dass ihr das aufgefallen ist. Meiner Meinung nach, haben die beiden sich gerade in der letzten Zeit extrem zusammen gerissen und würde ich es nicht besser wissen, würde ich keine Bruderfehde vermuten. „Sie denken ich merke es nicht, aber ich bin gut im Menschen-lesen", scheint sie meine Gedanken zu beantworten, was mich zurückschrecken lässt.

„Deshalb weiß ich auch, dass dich etwas stoppt. Irgendetwas hält dich gefangen was dich traurig macht. Das Lächeln mag meine Brüder täuschen, aber ich sehe, dass dich etwas bedrückt. Ich werde nicht ganz schlau aus dir. Zu viele Widersprüchlichkeiten." Ich muss erneut schwer schlucken. So viel Auffassungsgabe habe ich dem kleinen Mädchen nicht zugetraut. Wenn sie nur wüsste, wie richtig sie liegt. Ich darf mir nichts anmerken lassen, ich habe es Beynon versprochen. „Was ist dein Geheimnis?", fragt sie nachdenklich, mehr zu sich als an mich. Und mir rutscht mein Herz in die Hose. „Keine Angst, du musst es mir nicht sagen. Früher oder später bekomme ich es sowieso heraus", verkündet sie freudig und ich sehe Ehrgeiz in den Augen aufblitzen. Ich hoffe nicht, bete ich in Gedanken.

Die Flucht (Merahs Fluch 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt