Kapitel 7a

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Nachdem mich Beynon in dem Zimmer zurücklässt, beginne ich an der Türe zu rütteln, in der Hoffnung sie sei nicht verschlossen. Doch vergebens. Auch die Fenster versuche ich zu öffnen. Sie sind ebenfalls verriegelt. Selbst wenn ich sie hätte öffnen können, befindet sich das Zimmer im ungefähr vierten Stock. Weder Leiter, noch Seil zur Hand, wäre ein Fall garantiert und damit mein Tod.

Frustriert lasse ich mich vorwärts auf das große Bett fallen. Meine Schreie werden von dem Polster gedämpft, aber legen trotzdem meine Wut. Eine Weile bleibe ich regungslos liegen. Meine Gedanken kreisen. Heirat. Kian. Meine Mutter. Willem. Jayden. Rosalee. Der Palast. Alles scheint gleichzeitig in meinen Gedanken herumzufliegen und ich schaffe es nicht einen klaren Gedanken zu fassen. Mein Herz hat sich inzwischen beruhigt, meine Wut gelegt und die Frustration ist abgeschwollen.

Ich setze mich auf und schaue mich in dem neuen Raum um. Es ist ein großes Zimmer. Beinah die Größe von Kians Zimmer im Palast. Das große Bett, auf dem ich sitze, ist zur rechten der großen Flügeltür. Zur linken stehen zwei große Sofas gegenüber voneinander, getrennt durch einen kleinen Glastisch. Die Wand zu meiner Rechten ist von Fenstern übersät, mit einem großen Schminktisch mit einem ovalen Spiegel. Daneben entdecke ich eine Tür.

Ohne groß nachzudenken, springe ich hoch und reiße sie auf. Nicht abgeschlossen, jubele ich innerlich. Doch werde enttäuscht, als ich das Badezimmer mit einem anschließenden leeren begehbaren Kleiderschrank entdecke. Wieder enttäuscht lasse ich mich in das Bett fallen. Kurz geht mein Blick zu dem blauen Symbol auf meinem Arm, das mich zu verhöhnen scheint. Die Bedeutung so ungewiss, wie mein Aufenthalt in Evrem. Mein Blick geht starre an die Decke, die mit einem spektakulären Mosaik geschmückt ist. Für eine Weile, versinke ich in die bunten Farben und Muster, als ein Klopfen mich aufschrecken lässt.

Wieso klopft jemand? Die Türe ist sowieso verschlossen? Regungslos verharre ich auf dem Bett. Erneut klopft es an der Türe und ich stehe paradoxerweise auf. Wie automatisch drücke ich die Türklinke nach unten und zu meiner Überraschung öffnet sich die Türe. Eine Dame im mittleren Alter mit grauem lockigem Haar strahlt mir entgegen.

„Guten Tag, Milady." Sie macht einen Knicks bevor sie mir wieder fröhlich in die Augen schaut. „Prinz Beynon schickt mich, um ihnen zu helfen, sich fertig zu machen." Sie hat wahrlich eine liebenswerte und beruhigende Ausstrahlung, doch ihre Worte verwirren mich.

„Fertig wofür?", frage ich leicht stotternd, da mir die Situation surreal erscheint.

„Milady, ihren gemeinsamen Abend natürlich", trällert sie überglücklich und drängt sich an mir vorbei in das Zimmer. Gefolgt von einem Mädchen in meinem Alter, das ein Kleid über dem Arm hängen hat und eine kleine Box in der anderen. Das ist meine Chance abzuhauen. Die Türe steht offen. Renn Emmelin, befiehlt mir mein Verstand, doch im selben Moment blitzen Bilder von meiner Mutter, dem kleinen Willy und Kian auf. Ich kann nicht, erkläre ich meinem Verstand und lasse meinen Kopf hängen. Als mein Blick zum Boden gleitet, entdecke ich einen Brief, der säuberlich gefaltet und mit einem roten Siegel verschlossen ist. Vorsichtig hebe ich ihn auf und breche das Siegel.

Liebe Emmelin,

Ich hoffe dich heute Abend auf einen kleinen Spaziergang im königlichen Park zu führen. Gefolgt von einem Abendessen bei Mondscheinlicht. Vor unsere Hochzeit sollten wir noch ein wenig Zeit gemeinsam verbringen.

Beynon

P.S. Ich denke, dir liegt viel an dem Wohlempfinden deiner Familie

„Was fällt ihm ein!", brülle ich entsetzt und die Augen der Damen schnellen zu mir. Mir wird bewusst, dass ich die Worte laut aussprach. Meiner Frustration ist zu groß, um sie zu unterdrücken. Laut schlage ich die Türe zu, knülle den Brief zu einem Ball und schmeiße ihn quer durch das Zimmer. Hochzeit. Pah! Soweit wird es nicht kommen! Doch er hat die Oberhand. So sehr ich das Vorgeschlagene verabscheue, wie immer hat er die richtigen Druckmittel. Wenn ich meine Familie in Sicherheit wissen will, habe ich keine Wahl. Wütend stampfe ich von einer Wand zu anderen und schnaube immer wieder laut. Ich versuche einen Weg aus der Situation zu finden, doch mir fällt nichts ein.

„Milady ...", die Stimme der älteren Dame reißt mich aus dem Sog und wieder wird mir bewusst, dass ich nicht alleine bin. Böse funkele ich sie an und ich sehe wie sie kurz den Atem anhält. Mein Blick gleitet zum Spiegel. Oh, wenn Blicke töten können. Ich zwinge mich zu einer etwas freundlicheren Miene und richte mich erneut zu der Dame, die einen eher ängstlichen Gesichtsausdruck schmückt.

„Ja?", versuche ich möglichst höflich. 

Sie trifft immerhin keine Schuld an der ganzen Situation. 

Sie ist lediglich eine Bedienstete. 

Sie tut nur was man ihr sagt.

„Wir wären dann so weit", sagt das jüngere Mädchen schüchtern und meidet jeglichen Augenkontakt. Ich verdrehe genervt meine Augen. Resigniert lasse ich mir von ihnen in das Kleid helfen und setze mich auf den Stuhl vor dem Spiegel. Ich meide einen erneuten Blick, um nicht wieder auf mein Spiegelbild zu treffen. Eine ganze Weile hantieren die beiden an meinem Gesicht und Haaren, bis sie endlich von mir ablassen. Sie gehen einen Schritt nach hinten, um ihr Werk zu betrachten.

„Wunderschön", kommentiert das junge Mädchen und blickt mir zum ersten Mal in die Augen. Das Haselnussbraun ihrer Augen blitzt mir bewundernd entgegen und versetzt mir einen tiefen Schmerz. Wie gerne würde ich mit ihr tauschen. Gekonnt meide ich den Blick zum Spiegel, um nicht zu sehen, was sie aus mir gezaubert haben. Ich fühle mich alleine, machtlos, verraten, ausgenutzt und betrogen. Das Letzte, was ich will, ist eine schönere Hülle dieser ganzen Gefühle zu sehen. Ich drehe mich zu den beiden.

„Und jetzt?", frage ich. Zum einen hoffe ich, dass sie noch mehr machen müssen, um Beynon nicht schon gegenüberzustehen. Aber zum anderen möchte ich einfach, dass es schnell vorbei ist. Der Gedanke einen ganzen Abend mit Beynon alleine zu sein, lässt Tränen in meinen Augen aufquellen.

„Nana, Kind, du verschmierst noch das Make-up." Ihre Worte klingen nicht harsch, aber fürsorglich. Beinah mütterlich. Zum ersten Mal sehe ich Bedauern und Mitleid in ihren blauen Augen. Ich nehme einen tiefen Atemzug und dränge die Tränen zurück. Sie können nichts an meiner Situation ändern.

„Prinz Beynon, sollte dich jeden Moment abholen", sagt das junge Mädchen beinah begeistert. Ihre Augen funkeln bei dem Gedanken an den Prinzen und jagen mir einen erneuten Stich ins Herz. Waren sie alle so blind, um sein wahres-ich nicht zu sehen? Ich nehme einen weiteren tiefen Atemzug, als ich bemerke, wie ich leicht angefangen habe zu zittern. Reiß dich zusammen, Emmelin, mahnt mich mein Verstand. Ich drücke den Rücken durch, straffe mein Schultern und bemühe mich an einem neutralen Gesichtsausdruck. In demselben Moment, in dem ich etwas zu den Damen sagen will, klopft es an der Tür und mein Puls steigt wieder in die Höhe.

Das junge Mädchen quietscht leise und ich höher die ältere Dame auf die Türe zugehen. Ich bin plötzlich wie erstarrt. Meine Glieder sind so schwer, die Luft zu dünn und mein Herz zu schnell. Feste drücke ich meine Augenlider zusammen. Denk an etwas Schönes. Etwas Schönes. Rede ich auf mich ein. Einer Panikattacke so nah kann ich keinen klaren Gedanken fassen. Erst recht keinen schönen. Emmelin! Scheint mich mein Verstand anzubrüllen, doch es gelingt ihm nicht mich aus der Starre zu reisen.

Eine Berührung am Arm reißt mich dann in die reale Welt. Mit aufgerissenen Augen starre ich in die der älteren Dame.

„Milady, haben Sie gehört, was ich gesagt habe? Oh, geht es ihnen nicht gut? Sie sehen so blass aus?" Die Besorgnis ist nicht mehr zu überhören und ich blicke mich im Raum um. Kein Beynon. Ich Atme auf.

„Was?" Meine Stimme zittert leicht.

„Maurice wird sie zum Garten begleiten, wo Prinz Beynon sie bereits erwartet." So schnell die Freude über Beynons Abwesenheit gekommen ist, wird sie auch schon wieder vertrieben. Unfähig weiterzusprechen, nicke ich zustimmend und trete durch die Tür. Wo mich bereits ein älterer Herr in einem schwarzen Anzug erwartet. Kurz schenkt er mir ein Lächeln, bevor er mich bittet ihm zu folgen. Der Weg zum Garten fliegt an mir vorüber. Gerade noch stehe ich in dem Zimmer und im nächsten Moment im Garten. Der Mann, der Maurice zu heißt, macht eine Verbeugung und verschwindet wieder in den Palast.

Mein Blick geht zum ersten Mal zu Beynon. Auch er hat sich für den Abend hergerichtet und wie am Abend des Balles sieht er sehr gut aus. Ich muss gestehen, unter anderen Bedingungen und keiner Vorgeschichte, könnte ich ihn für sehr attraktiv halten. Doch ich kenne ihn und der Gedanke lässt mich schaudern.

Die Flucht (Merahs Fluch 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt