Kapitel 1b

1.7K 123 58
                                    

„Bleib weg von mir", keife ich mit so viel Wut, wie ich in meinem momentanen Zustand aufbringen kann.

„Nah, nah, Milady, zier dich doch nicht so", sagt er mit einem Lachen, von dem er glaubt, es sei unwiderstehlich. Vor mir geht er in die Knie und mustert mich. Er nimmt mein Kinn in seine Hand, um mir direkt in die Augen zu sehen. Obwohl meine Sicht leicht schwammig, aufgrund der Tränen ist, sehe ich die Gier in seinen Augen. Seinen eisblauen Augen, die mein inneres frösteln lassen.

„Schade, dass ich Anweisung habe dich nicht zu ... Berühren." Das letzte Wort sagt er so widerlich, dass es mir beinah übel wird. Ich versuche mein Kinn aus seiner Berührung zu ziehen, doch er hält es fest in seiner Hand. „Aber ich verrate nichts, wenn du nichts sagst", sagt er verräterisch und fährt mit der Hand über mein Gesicht, meinen Hals, entlang über mein Schlüsselbein und zu meinem Dekolletee.

„Hilfe!", schreie ich so laut es meine heisere Stimme zulässt und tatsächlich lässt er abrupt von mir los.

„Nah Milady, wir wollen doch keine Probleme machen, oder?" Er sieht mich mahnend an und ich verstumme. Etwas in seinem Blick verrät mir, dass um Hilfe zu rufen keine gute Idee ist. Es scheint ihn eher zu amüsieren. Aus seiner Hosentasche zückt er ein Messer, das er verschwörerisch angrinst.

Das Blut gefriert mir in den Adern. Jetzt wird er mich umbringen. Langsam beugt er sich zu mir. Das Metall glänzt in den einzelnen Sonnenstrahlen, die hinter mir durchstrahlen. Aus Angst presse ich meine Augen zusammen. Ich möchte nicht das Beynon, das Letzte ist das ich vor meinem Tod sehe. Angestrengt versuche ich die Gesichter meiner Eltern vor mein inneres Auge zu bringen.

Ich spüre, wie Beynon, die kalte Klinge leicht über meinen Hals fährt. Feste genug um sie zu spüren, doch zu leicht um mich zu schneiden. Dann lässt er sie weiter über meinen Arm fahren und hin zu meinen gebundenen Handgelenken. Mit einer raschen Bewegung schneidet er die groben Seile in zwei.

Verwirrt schaue ich zu ihm und dann zu meinen Händen, die nicht mehr aneinander gebunden sind. Hastig setzte ich mich auf und bringe so viel Distanz zwischen uns wie es der kleine Raum zulässt. Vorsichtig reibe ich meine wunden Handgelenke und blicke wieder zu Beynon, der mich aufmerksam mustert.

„Wärst du irgendein anderes Mädchen, hätten wir jetzt wohl unseren Spaß, Milady", sagt er mit einem leicht glasigen Blick und ein Schauer durchflutet mich bei dem Gedanken. Lüstern mustert er mich erneut bevor er sich aufstellt und zur Türe schreitet. „Ich wünsche eine angenehme Reise, Milady." Seine Stimme ist feste und er blickt noch einmal zu mir, bevor er die Türe hinter sich schließt. Zwei leise Klicks ertönen und lassen darauf schließen, dass er das Schloss verriegelt. In diesem Moment kann ich mir keine Gedanken darüber machen. Zuerst muss ich mein Herz beruhigen, meine Atmung in einen normalen Rhythmus bringen und meinen Körper besänftigen. Mehrmals atme ich tief ein und aus. Die nasse Kleidung lässt mich frösteln und ich schlinge meine Arme um meinen Körper.

Ich versuche mich an irgendetwas zu erinnern, nachdem alles schwarz wurde im Palast, doch es ist nicht in meinem Kopf. Alles um mich scheint zu schwanken und meine immer noch vernebelten Gedanken, lassen Übelkeit in mir aufwallen. Erfolgreich schlucke ich die aufsteigende Galle hinunter. Mit zittrigen Beinen versuche ich mich aufzustellen, doch mein Körper ist zu schwach, mein Geist zu benebelt und der Boden schwankt.

Ich nehme mir einige Momente um mich in der Holzbox, in der ich mich befinde, umzusehen. Die Tür, so wie die Wände, ist komplett aus Holz. Ein kleines Fenster mit Gitterstäben erlaubt den Blick durch die Türe. Hinter mir entdecke ich ein kleines rundes Fenster. Zu klein um in Freiheit zu gelangen und zu hoch um von hier unten durchblicken zu können. In der Ecke vor mir liegen eine dicke Decke, ein kleines Kissen und ein dünneres Laken gefaltet auf dem Boden. Neben mir eine Holzbox mit einem Deckel. Sonst nichts. Sonst ist in dem kleinen, etwa dreimal drei Meter Raum nichts.

Langsam robbte ich auf die Holzbox zu. Meine nackten Beine, die ich über den Holzboden ziehe, schürfen unangenehm darüber und kleine Splitter schieben sich in meine Haut und lassen mich zusammen zucken. Auf allen vieren krabbelte ich zu der Box in der Hoffnung etwas darin zu finden, um aus diesem Raum zu entkommen. Als ich den Deckel hebe, erblicke ich nur ein fünfzehn Zentimeter großes Loch und ein beißender Gestank nach Fäkalien dringt zu mir. Schnell lasse ich den Deckel wieder auf die Kiste fallen und krabbele zur anderen Seite.

In einem Versuch meine Vermutung zu widerlegen, rüttele ich an der Tür, doch ohne Erfolg. Wie gedacht ist sie versperrt. Mühevoll ziehe ich mich an der Klinke nach oben. Meine Knie zittern verdächtig und meine Muskeln brennen, doch es gelingt mir auf die Beine zu kommen. Ich spähe durch das kleine vergitterte Fenster. Der Gang vor mir liegt im Dunkeln und ich kann keine Meter nach rechts oder links blicken. Ich erkenne nur dieselben Holzplanken, die auch diesen Raum ausmachen.

„Hallo? Ist da jemand?", schreie ich durch das Gitter, doch nichts. Alles was ich höre, ist ein lautes Rauschen. Keine Stimme, keine anderen Geräusche. Mühsam schwanke ich auf das Fenster zu und erst jetzt bemerke ich, dass nicht ich schwanke, sondern der Raum. Als ich am Fenster ankomme wird mir schnell bewusst wieso. Du bist auf einem Schiff. Vor mir erstreckt sich der Ozean. Ganz klein am Horizont kann ich Land und einen Hafen ausmachen, doch immer kleiner wird das Bild und ertränkt meine Hoffnung, dass wir darauf zu steuern. Die Sonne beginnt ihren Abgang hinter dem Wasser. Wäre die Lage nicht so angespannt, könnte ich mich beinah in dem Lila-rosa roten Farbenspiel verlieren.

Mittlerweile ist ein wenig meiner Kraft zurückgekehrt und meine Muskeln zittern nicht mehr so stark unter meinem eigenen Gewicht. Ich habe immer noch Schwierigkeiten dem Schwanken entgegenzuwirken, aber die Übelkeit hat nachgelassen. Immer wieder habe ich gegen die Holzwände getreten, in der Hoffnung, dass sich eines der Bretter löst. Auch habe ich versucht die Türe aufzustemmen, doch alles erfolglos. Was mir bleibt sind wunde Knöchel und schmerzende Füße. Ich muss meine Schuhe verloren haben oder sie haben sie mir abgenommen. Mehrere Holzsplitter ziehe ich aus meinen Fußsohlen, meinen Händen und meinen Beinen. Als plötzlich die Türe aufgerissen wird.

Wegen der lauten Wellen, die gegen das Schiff schlagen, habe ich die Schritte nicht vernehmen könne. Zuerst befürchte ich, dass Beynon mir einen weiteren Besuch abstatten, doch vor mir steht ein muskulöser, grimmig schauender Riese. Er ist ohne Frage mindestens zwei Köpfe größer als ich und hat Muskeln so groß wie Baumstämme.

Er wirft mir ein Stück Brot vor die Füße. Das anhand des Geräusches, das es macht, als es auf dem Boden abstößt, Stein hart sein muss. Er stellt einen Eimer Wasser neben die Tür und einen Stapel frischer Kleidung. Bevor er die Türe wieder laut ins Schloss fallen lässt, schaut er mich noch einmal grimmig an. Ohne ein Wort verschwindet er wieder aus dem Raum. Kurz habe ich die Hoffnung, dass er vergessen hat die Türe abzuschließen, doch als ich daran rütteln werde ich vom Gegenteil überzeugt.

Mein Magen grummelt laut und ich schlinge das Brot, das tatsächlich ziemlich hart ist, herunter. Mit meinen Händen zu einer Schüssel geformt, lasse ich auch etwas Wasser meine Kehle runterlaufen.

Ich erkenne eine frische Hose, ein Hemd und ein kleines Handtuch bei dem Kleiderstapel. Da meine Uniform immer noch nass ist und teilweise gerissen, entschließe ich mich mir die Kleider, die der grimmige Muskelprotz gebracht hat, überzuziehen. Die Notwendigkeit einer, wenn auch spärlichen Katzenwäsche sehe ich nicht. Weshalb ich das Handtuch wütend in eine Ecke mit meinem Kleid werfe.

Die dicke Decke lege ich als eine Art Matratze auf den harten Holzboden und schlinge das dünne Laken um meinen zitternden Körper. Erneut laufen Tränen über meine Wangen.

Was geht hier vor? Was wollen die von mir? Wieso haben sie mich gefangen? Diese und weitere hundert Fragen schwirren durch meinen Kopf.

Das konstante Wiegen des Schiffes in den Wellen, das Rauschen des Wassers und die nun anbrechende Dunkelheit schaukelt mich langsam in einen unruhigen Schlaf.

Jayden liegt vor mir.

Blut überströmt.

Ruhig.

Seine Gliedmaßen in den absurdesten Winkel. Seine Augen vor Schreck aufgerissen, seine Pupillen weit. Keine Reaktion. Kein Atemzug. Ganz still liegt er dort. Ich eile zu ihm. Schüttle ihn. Rufe nach ihm. Doch sein leerer Blick starrt mir entgegen.

Die Flucht (Merahs Fluch 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt