Kapitel 13a

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Die nächsten Tage vergehen wieder schnell und ohne große Vorkommnisse. Leander nimmt mich abends in den Garten und Beynon versucht nach dem Mittagessen mit mir Zeit zu verbringen. Inzwischen teile ich so viel Zeit mit den zwei Brüdern, dass mir kaum Luft zum Atmen bleibt, geschweige denn Zeit um an einem Fluchtplan zu arbeiten. Aber langsam gewinne ich das Vertrauen, der beiden. Speziell Leander, der sowieso schon immer auf meiner Seite zu stehen scheint. Doch bis jetzt sind meine Fragen immer nur auf traurige Blicke gestoßen.

Meine Mutter ist mit meinem kleinen Bruder für ein paar Tage zum Landhaus, einige Stunden entfernt vom Palast, geschickt worden. Wieso will mir keiner erklären. Es sei einen Urlaub für die zwei, ist alles, was Beynon sagt. Ich solle mir keine Sorgen machen. Sie nicht mehr bei den Mahlzeiten zu haben und zumindest einige Stunden am Tag ihre Gesichter zu sehen, hat meine Stimmung wieder heruntergeschraubt.

Wie so oft in den Tagen ihrer Abwesenheit sitze ich traurig auf meinem Bett und starre ins Leere. In Gedanken bei den beiden oder im Spielzimmer mit Willy. Die wenigen Erinnerung, die ich inzwischen mit dem kleinen Teile, sind wie Diamanten in dem Meer der Erinnerung.

„Hab was für dich", reißt mich Kians Stimme aus meinen Gedanken. Wie jeden Tag sitzt er über Papier und zeichnet die schönsten Porträts und Tierwesen. Einige Bilder der kleinen Lilly des Palastes und verschiedener Vogelarten schmückten inzwischen die Wände. Auch ein paar Porträts meiner Wenigkeit hat er angefertigt, doch sie liegen am Rande des Tisches. Es fühlt sich falsch an ein Bild von mir an den Wänden zu sehen. Zumal das Mädchen, das darauf wunderschön und glücklich wirkt, nicht meine momentane Stimmung repräsentierte.

Ich nehme das Papier entgegen, das mir Kian reicht. Als mein Blick die Personen darauf erkennt, beginnen Tränen an meinen Wangen herunterzurollen. Er hat ihre Ausstrahlung, Schönheit, Lebensart und Ästhetik genau getroffen. Beinah wie eine Fotografie strahlen die beiden mir entgegen. Genau so habe ich sie in Erinnerung. Ich kann die beiden beinah aus dem Bild lachen hören. Rosalee, Kalea und ich. Wir drei sitzen auf der kleinen Bank am Teich, im Palast in Merah. 

Der Ort, der uns so oft Momente der Erholung geboten hat. 

Der Ort, an dem ich meine Freunde traf. 

Der Ort, an dem ich das erste Mal Jayden sah. 

Die Erinnerung lässt weitere Tränen aufsteigen. Dankbar für ein Stück Heimat falle ich Kian um den Hals.

„Danke", wispere ich mit zittriger Stimme. Kian zuckt etwas zusammen. Seit er von, wo auch immer er war, zurück ist, zuckt er bei jeglichem Körperkontakt. Ich glaube sie beengt ihn in gewisser Weiße. Er wehrt sich auch nicht. Denn er weiß wie sehr ich es in diesem Moment brauche. Eine ganze Weile starre ich auf das Bild, als mir etwas einfällt. Kian kennt Rosalee und Kalea kaum. Er hat sie nur wenige male gesehen, auch habe ich ihm nie von unserem Lieblingsplatz erzählt.

„Du hast uns beobachtet", stelle ich schockiert fest. Mehr als einmal haben wir über ihn dort geschimpft. Wie viel hat er damals gehört? Kians sitzt wieder vor einem frischen Blatt Papier und mustert mich verwirrt. Er versteht nicht, wovon ich spreche. Ich halte ihm die Zeichnung hin.

Du hast uns im Palastgarten beobachtet", sage ich mit einem vorgespielten vorwurfsvollen Ton. Ein leichtes Grinsen setzt sich auf seine Lippen. Man könnte meinen es sei keine große Geste, doch zum ersten Mal hält das Muskelzucken an. Unschuldig zuckt er mit den Schultern und ich lache laut auf.

„Natürlich hast du das. Ich habe dir nie gesagt, dass ich mich mit ihnen dort treffe und so wie du ihr Wesen gezeichnet hast, musst du uns mehr als einmal gesehen haben." Wieder muss ich lachen, als Kian beschämt seinen Blick von mir abwendet. Erwischt.

Die Flucht (Merahs Fluch 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt