Kapitel 2b

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Da er meinen Arm losgelassen hat, entreiße ich ihn ihm. Ich höre wie die Murmel auf den Boden fällt und darüber rollt. Wie eine wild gewordene Maus läuft er der Murmel hinterher und fängt sie ein. Als mein Blick wieder auf meinen Arm fällt, sind die blauen Linien von dem Zeichen abgelöst.

„Wirklich einzigartig", sagt Beynon wieder an mich gerichtet.

„Kannst du es noch sehen?", frage ich ihn verwundert, ob er das Zeichen sieht.

„Siehst du es noch?", entgegnet er meine Frage mit einer Gegenfrage. Aus Angst ich habe zu viel gesagt, schüttele ich den Kopf. Auf keinen Fall werde ich ihm von dem Zeichen erzählen.

„Nimm sie nochmal", fordert er mich auf und hält mir die Kugel entgegen. Schnell verschränke ich meine Arme vor der Brust. Ich werde schon gegen meinen Willen festgehalten, dann werde ich es ihm nicht leicht machen.

„Stell dich nicht so an", schimpft er, als es an der Türe klopft.

„Was?", schreit er zur Türe, durch die ein älterer Mann tritt, ohne ein Wort zu sagen. Ich sehe, wie sich Beynon vor dem Mann, der von Autorität übersprudelt, anspannt. Mit polierter Kapitäns uniform und den glänzenden Schuhen steht der Mann stramm vor Beynon. Kurz betrachtet er mich und mit einer Kopfbewegung fordert er Beynon auf ihm zu folgen, was er ohne Widerrede tut.

Als ich eine Chance sehe mich etwas umzusehen, taucht auch schon der Muskelprotz auf und packt mich am Arm. Ich wehre mich wieder und werfe ihm ein paar strenge Worte an den Kopf, doch es lässt ihn alles kalt. Wieder werde ich in die kleinen vier Wände gestoßen und lande unsanft auf dem Boden. Erst jetzt bemerke ich, dass die roten Striemen um meine Hand von den Fesseln, verschwunden sind.

„Na wartet, ihr Barbaren!", schreie ich dem Muskelprotzen streng entgegen und mir gelingt es tatsächlich eine Gesichtsregung von ihm zu bekommen. Nicht die, die ich mir wünsche, denn er zieht einen Mundwinkel nach oben und schnaubt belustigt. Er hat recht, was soll ein Mädchen schon gegen ein ganzes Schiff voll muskelbepackter Kerle anstellen können. Entgeistert lehne ich meine Stirn gegen das Holz.

„Emmelin", höre ich eine leise Stimme krächzen, als mir Kian wieder einfällt. Schnell stürze ich mich zu dem kleinen Loch, das ich entdeckt habe.

„Kian, geht es dir gut?" Inzwischen sitzt er etwas zusammen gesackt an der Wand. Sein Kopf hängt vor seiner Brust und er wippt leicht mit der Bewegung des Schiffes. Als er meine Stimme hört, blickt er auf. Sein linkes Auge ist komplett geschwollen und er kann es nicht öffnen.

„Emmelin?", krächzt er wieder und schleppt sich über den Bode auf mich zu.

„Ja, Kian. Ich bin es. Wie geht es dir?", frage ich erneut. Ich sehe wie er kurz lächelt, doch dann muss er husten und ich sehe sein schmerzverzerrtes Gesicht.

„Blendend", brummt er.

„Kian!"

„Ich werde schon wieder." Er muss erneut husten. „Wie geht es dir? Haben sie dir etwas getan?" Der Schmerz, der in seiner Stimme zu hören ist, lässt mir Tränen über die Wangen laufen.

„Mir geht es gut. Nein, sie haben nichts getan", sage ich möglichst stark. „Beynon ist hier." Ich muss schwer schlucken, aber er sollte es wissen. Er reißt sein Auge auf und zieht die Luft schnell ein.

„Emmelin ..." Ich unterbreche ihn. „Kian, mir geht es gut. Keine Sorge. Aber du siehst schrecklich aus." Überrascht sucht er die Wand ab und entdeckt das kleine Loch durch das ich spitze. Er setzt ein zaghaftes Lächeln auf. Eine Weile berichte ich ihm was gerade passiert ist und von der merkwürdigen Murmel die Beynon hat. Als plötzlich die Türe wieder aufgeht. Kein andere als mein persönlicher Essenslieferant Herr Muskelprotz tritt mit einem Teller und einem vollen Eimer, ein.

„Hey, du!", rufe ich dem Mann entgegen, der verwirrt zu mir schaut. Ich weiß nicht, wo ich plötzlich den Mut herhabe. „Ich will zu Kian in die Zelle. Er braucht Hilfe, weil ihr ihn übel zugerichtet habt!", schnauze ich den Mann an, der nur belustigt schnaubt. Als ich auf ihn zu trete, gibt er mir wieder einen Stoß und ich falle zu Boden. „Barbaren!", schreie ich ihn an, als er die Türe wieder ins Schloss fallen lässt. Wut brodelt in mir auf.

„Emmelin, was machst du? Willst du, dass die dich umbringen!", höre ich Kian gequält rufen.

„Die tun mir schon nichts", lüge ich ihn an. Ich habe zwar ein Gefühl, aber sicher bin ich mir nicht. Als mir auffällt, dass sie Kians nichts zu essen bringen, werde ich noch wütender. Ich beginne an den Brettern zu rütteln. Meine Finger bluten bereits von dem scharfen Kanten, die sich in meine Haut borgen, aber tatsächlich beginnt eines verächtlich zu wackeln.

„Kian, du musst mal dagegen treten. Ich weiß du bist verletzt, aber du brauchst was zu essen", erkläre ich ihm mein Verhalten. Er lacht kurz auf. Wahrscheinlich wegen des banalen Grund. Wir sind gefangen, er wurde verprügelt und ich mach mir Sorgen, dass er etwas zu essen bekommt. Es ist banal, doch auch das einzige Problem, dass ich im Moment lösen kann.

Tatsächlich gelingt es uns eine der Latten herauszubrechen. Der Spalt ist gerade groß genug, um mich durchzuquetschen. Allerdings kratzt mir ein scharfes Stück Holz übers Gesicht und zieht einen Schnitt über meine rechte Wange. Besorgt begutachtet Kian die Wunde, doch ich lenke ab.

Ich ziehe das Essen und Wasser herüber und Kian nimmt gierig ein paar Schlucke. Auf dem Teller liegen fünf kleine Kartoffeln, von denen ich drei Kian gebe, die er nach Protest verdrückt, doch ich höre immer noch wie sein Magen laut brummt. Mit dem Handtuch reinige ich vorsichtig seine Wunden.

„Was denkst du wollen die?", frage ich, nachdem wir ein paar Minuten gedankenverloren an die Wand starren.

„Ich weiß es nicht. Sie haben mich die ganze Zeit über meinen Vater ausgefragt, aber wohl nicht das gehört, was sie wollten", sagt er traurig. Als ich plötzlich höre, wie meine Türe geöffnet wird.

Schnell schlüpfe ich wieder durch die neue Öffnung. Natürlich bemerkt der Muskelprotz was wir getan haben. Sagt jedoch nichts und schaut nur missbilligt zu mir, sammelt den lernen Teller ein und wirft mir wieder ein Stück Brot vor die Füße, das heute nicht so hart ist wie gestern. Wieder krabbele ich zu Kian, dieses Mal mit meinen Decken und dem Brot im Schlepptau.

Ich helfe Kian sich auf sein Behelfsbett zu setzen, als mir plötzlich etwas ins Auge fällt. „Was hast du denn hier?" Ich ziehe ein Leder Notizbuch aus seinem Hosenbund. Das Buch, das wir beim König gefunden haben! Das von Caspian Kingston. Erschrocken schaut er auf das dünne Notizbuch in meiner Hand.

„Ich hab nicht gemerkt, dass ich das noch habe. Ich bin davon ausgegangen, dass sie es mir abgenommen haben", sagt er etwas amüsiert und lacht auf. Stoppt abrupt und hält sich gequält seine Rippen.

„Die haben dir echt übel zugesetzt", erkenne ich traurig an. Ich versteck das Buch unter unserer Decke. Dafür haben wir später noch Zeit. Kians Atmung ist leicht röchelnd und immer wieder muss er husten.

Ohne Widerrede legt er sich hin und schließt die Augen. Ich habe ihm die Müdigkeit angesehen. Auch ich fühle mich auf einmal so müde. Nach ein paar Momenten lege mich neben ihn und falle schnelle in einen unruhigen Schlaf.

Jayden dreht sich zu mir. Blut fließt über seine Stirn, aus seinem Mund und Nase. Er hustet Blut und sein Atem ist röchelnd. „Hilf mir, Emmelin", presst er hervor. Streckt seinen Arm nach mir aus. Ich renne auf ihn zu. Renne so schnell ich kann. Ich muss ihm helfen. Doch mit jedem Schritt, den ich näher komme, entfernt er sich zwei von mir. Immer schnell renne ich. Schneller. Doch er ist nur noch ein lichter Punkt in der Dunkelheit.

Die Flucht (Merahs Fluch 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt