Kapitel 21b

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Am Rande meines Verstands scheine ich eine Stimme auszumachen. „Emmelin, hörst du mich?" Ich spüre, wie jemand meine Wange tätschelt. Nein nicht tätschelt, jemand schlägt sanft dagegen.

„Atmet sie?", höher ich eine weitere bekannte Stimme. Mein Kopf fühlt sich betäubt an, meine Lungen brennen und mein Hals schmerzt. Erst jetzt bemerke ich, dass ich den Atme anhalte. Jemand schüttelt mich unsanft. Der Schmerz lässt mich hastig nach Luft schnappen. Japsend nehme ich mehrere kleine Atemzüge.

„Emmelin!", höre ich erneut. Lauter, dieses Mal. Verzweifelter. Wo bin ich? Was ist passiert? Wieder spüre ich, wie mich die Dunkelheit zu sich zieht. Doch das erneute schütteln, lässt mich wieder hastig nach Luft schnappen.

„Sie atmet", höre ich jemandem ausrufen. Was ist passiert? Mit besten Kräften versuche ich meinen Gedanken zu durchforschen, meine Erinnerung zu durchkämmen. Als plötzlich Wut erfüllte blaue Augen mir entgegenblicken. Mit einem Schlag schlägt alles auf mich zurück. Wieder schnappe ich laut und schmerzlich nach Luft und reiße die Lider auf. Das Licht brennt sich in meine Augen, doch ich halte sie trotz der unausstehlichen Schmerzen offen. Augenblicklich richte ich mich auf, werde von einem Schwindel überrascht, der mich beinah wieder in mich zusammen sacken lässt. Doch jemand hält mich aufrecht.

„Ganz ruhig. Du musst ganz ruhig atmen", höre ich eine beruhigende Stimme neben mir. Eine bekannte Stimme, doch ich kann sie nicht zuordnen. Mein Blick bleibt hängen an dem jungen Mann vor mir. Viel mehr die blauen Augen, der Person vor mir. Auf einmal erfüllt mich eine panische Angst, dass ich meine ganze Kraft zusammen raffe und versuche von der Person wegzurutschen.

„Emmelin, dir passiert nichts mehr", höre ich die Stimme neben mir sagen. Als die blauen Augen wieder auf mich zukommen, spüre ich wie ein Schrei sich von mir löst. Nur ein Krächzen, doch genug, um die Person zum Stillstand zu zwingen. Tränen trüben meine Sicht. Aber die blauen Augen bohren sich immer noch schmerzlich in mich.

„Beynon, komm nicht näher", höre ich die Stimme rufen und der junge Mann mit den blauen Augen bleibt stehen. Ich spüre, wie ich angehoben werde. Schlapp fällt mein Kopf gegen die Brust, der Gestalt.

„Ich bringe sie zu Dr. Mino", ist das Letzte, das ich höre, bevor die Dunkelheit mich zu sich zieht.

***

„Wie konntest du sie alleine mit ihm lassen?" Die Worte holen mich zurück aus der Dunkelheit. Die Stimme ist nur ein Flüstern, doch ich verstehe jedes Wort genau. Vorwurf schwebt in dem Ton, sowie abgrundtiefer Ärger. Ich höre ihm an, wie sehr er mit sich kämpft, die Worte nicht zu schreien.

„Du weißt, ich hatte keine Wahl." Die Enttäuschung und der Selbstzweifel sind hörbar. Mein Körper scheint weniger zu schmerzen. Stattdessen liegt wieder ein Nebel über mir, der mich betäubt.

„Es ist deine Aufgabe, sie zu schützen! Ist das nicht der Grund, wie du das alles dir selbst erklärst?" Ich erkenne Leanders Stimme. Er hört sich so wütend an, wie noch nie zuvor. „Wir brauchen sie lebend. Du hättest sie schützen müssen", klagt er erneut seinen Bruder an. Erst jetzt bemerke ich, dass jemand meine Hand hält, doch ich kann meine Finger nicht bewegen.

„Ich weiß", höher ich Beynon reumütig sagen und mit einer Trauer, die einem das Herz zerreißt. „Ich wusste nicht, dass er ..."

„Beynon du kennst ihn so gut wie ich. Du hättest es dir denken können", unterbricht er seinen Bruder. Kurz herrscht Stille. Nur ein leises, regelmäßiges Piepsen erfüllt den Raum. Dann Schritte, die auf mich zukommen. Sanft streicht mir eine Hand übers Gesicht. Heiß fühlt sich die Berührung auf meiner Haut an. Ich kann nicht sagen, ob es Leander oder Beynon ist.

„Das hätte nicht passieren dürfen", höher ich Beynon vorwurfsvoll sagen. „Ich wusste, dass er getrunken hat. Und trotzdem habe ich sie bei ihm gelassen. Alleine", höre ich ihm selbst Vorwürfe machen. „Ich war direkt vor der Türe. Ich wusste nicht ..." Seine Stimme bricht und ich scheine spüren zu können, wie eine Träne über seine Wange rollt. „Es tut mir leid, Emmelin", sagt er liebevoll und ich spüre wie er erneut über mein Gesicht streicht. Dann räuspert er sich und seine Schritte entfernen sich von mir.

Wieder fordert die Dunkelheit ihren Tribut und zieht mich langsam zu sich zurück.

***

„Wie geht es ihr?" Dieses Mal dringt die Worte klarer zu mir. Der Nebel löst sich langsam von meinem Wesen und auch meine Augenlider sind nicht mehr so schwer.

„Unverändert", höre ich Leander neben mir sagen. Mühevoll kämpfe ich meine Augen auf. Meine Hand zuckt kurz und Leander scheint die Bewegung zu bemerken.

„Emmelin?" Ich drehe meinen Kopf leicht in seine Richtung und blinzele gegen das Licht. „Hey, guten Morgen. Da bist du ja endlich wieder. Wie geht es dir?" Sein Lächeln wirkt erleichtert.

„Gut." Meine Stimme ist nur ein Krächzen. Es ist mehr ein laut. Meine Kehle schmerzt so sehr.

„Du solltest noch nicht sprechen", höher ich Beynon hinter mir sagen und drehe mich zu ihm. Als mein Blick auf seine blauen Augen trifft, überkommt mich eine unbeschreibliche Angst. Augenblicklich versuche ich mich von ihm wegzubewegen, doch stürze beinah vom Bett. Beynon eilt zu mir, doch mehr Panik steigt in mir auf.

„Beynon, ich mach das!", höher ich Leander streng sagen. „Geh!", ruft er ihm entgegen. Kurz blickt Beynon mich noch einmal traurig an. Als ihm meine unerbittliche Angst bewusst wird, geht er enttäuscht aus dem Zimmer.

„Alles ist gut. Er ist weg", sagt Leander beruhigend, während er mir übers Haar streicht. Mein Herz findet wieder zu seinem Rhythmus und das Piepen, das sich beschleunigt hat, wird wieder gleichmäßiger. Doch etwas anderes bereitet mir wieder Sorgen. Leanders eindringlicher Blick. Der Wirbel zerrt erneut an meine Kraft und ich falle wieder in die Dunkelheit.

***


Die Flucht (Merahs Fluch 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt