Am nächsten Morgen scheinen meine Schritte beflügelt zu sein. Ich kann das warme Gefühl in meinem Inneren nicht erklären. Denn meine Situation hat sich nicht geändert, ich habe immer noch keinen Plan nach Hause zu kommen und auch kreisen dieselben Fragen noch immer in meinem Kopf. Doch gestern Nacht habe ich es geschafft, die Nacht ohne einen Albtraum zu überstehen. Keine Erinnerungen rissen mich aus dem Schlaf. Keine Horrorszenarios und keine dunkle Vorahnung. Es war einfach nur Leere und sie hat mir gutgetan.
„Guten Morgen", rufe ich Kian fröhlich entgegen und er dreht seinen Kopf zu mir.
„Morgen. Gestern?" Wieder spricht er nur das Minimum, doch ich bin froh, dass er spricht.
„Ja, es wurde spät. Tut mir leid. Oh, Kian es war wunderbar. Hast du schon einmal von einem Rummel gehört?" Der Gedanke an den magischen Ort zaubert mir immer noch ein Lächeln aufs Gesicht. Kian schüttelt den Kopf und sofort verfalle ich ins Schwärmen. Ich berichte ihm von jeder Hütte, jeder Nascherei und all der Musik und den Lichtern. Auch von dem Riesenrad berichte ich ihm, nur das kleine Gespräch lasse ich aus. Aufmerksam und bezaubert von meiner Erzählung strahlt er mir entgegen.
Als es an der Türe klopf, lasse ich Minerva und Zoya hinein. Aufgeregt berichte ich ihnen von meiner neu gewonnen Liebe zum Rummel. Zum ersten Mal komme ich in ein richtiges Gespräch mit den beiden. Sie erzählen mir von ihren Erfahrungen auf dem Rummel. Im Handumdrehen erstrahle ich in einem erneut wunderschönen Kleid, einer schlichten Flechtfrisur und leichtem Make-up. Der Weg in den Essenssaal erscheint mir kürzer. Etwas traurig Leander bereits dort zu entdecken, ändert es nichts an meinem breiten Grinsen. Leander und meine Mutter betrachten mich verwirrt.
„Wieso so glücklich?" Leanders Stimme hört sich ungewohnt an. Ein Unterton von Eifersucht und Missfallen ist darin hörbar. Seine rechte Augenbraue geht in die Höhe und ich sehe ihm an wie neugierig er ist.
„Sagen wir so, der Tag gestern war..." Ich mache eine kurze dramatische Pause. Ich weiß nicht, weshalb ich Leander etwas sticheln will, doch es ist eine der wenigen Dinge, die ich hier tun konnte. „...magisch", beende ich meinen Satz. Meine Worte überraschen nicht nur Leander. Auch die Augenbrauen meine Mutter huschen in die Höhe. Ich kann so etwas wie Erleichterung in ihren Augen erkennen.
„Was hast du denn gemacht?", höre ich die süße Stimme meines Bruders. Ich gehe zu ihm, wuschele ihm durchs Haar und gebe ihm einen Kuss auf die Stirn.
„Ich war auf dem Rummel", verkünde ich so fröhlich, wie noch nie an diesem Ort.
„Oh, der ist toll. Ich will auch gehen", ruft Willy und blickt meiner Mutter entgegen. „Können wir gehen, Mama? Biiiitte", bettelt er. Ich sehe wie ihr Blick leicht traurig wird.
„Da musst du Beynon oder Leander fragen, Schatz." Die Aussage versetzt mir einen kleinen Stich. Nicht nur wurde sie ihrer Freiheit beraubt, aber auch die ihres Sohnes. Erneut wird mir bewusst, wie viel sie opfert und dass diese Leute das Leben meines kleinen Bruders in der Hand haben.
„Leo, können wir?", richtet der Kleine die Frage an Leander, der immer noch mich mustert.
„Beynon, hat dich auf den Rummel genommen?", fragt er ungläubig und beachtet den Kleinen, der an seinem Arm zerrt nicht.
„Ja?"
„Hm", ist alles, was er antwortet, als die Türe aufgeht und Beynon hineintritt.
„Einen wunderschönen guten Morgen", proklamiert er genauso fröhlich wie ich in die Runde. Leander mustert seinen Bruder misstrauisch und analysiert ihn.
„Du warst auf dem Rummel?", fragt er ihn mit einem kritischen Unterton.
„Ja, Bruder. Das waren wir", verkündet er und lässt sich das Grinsen nicht aus dem Gesicht nehmen
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Die Flucht (Merahs Fluch 2)
Fantasy!! Achtung Spoiler für alle die noch nicht Buch I (Die Auslese) gelesen haben!! Nicht nur kreisen die Bilder der zweiten Auslese in Emmelins Kopf und das merkwürdige Symbol auf ihrer Haut, sondern nun ist Beynon wieder da. Zu allem Übel mit einer Ar...