Kapitel 3b

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 „Was zum Henker Beynon? Du hast strikte Anordnungen von deinem Vater. Beim ersten Mal habe ich weggesehen, aber jetzt erneut. Du magst vielleicht der Prinz sein, aber ich habe Anweisungen vom König und das steht über deinem Wort. Du hältst dich von den Gefangenen fern, sonst Gnade dir Gott", faucht er Beynon an.

Ich sehe wie Beynon sich anspannt. Die Drohung sitzt. Als sein Blick noch einmal kurz meinen trifft, blitzt Furcht kurz auf. Unklar ob sie dem Kapitän oder seinem Vater gilt. Ich kann sehen, dass er erfahren hat, was er wissen wollte. Ohne ein weiteres Wort drückt sich Beynon an dem Kapitän vorbei und stapft über den Gang.

„Sieh zu, dass sie ein neues Hemd bekommt und etwas zu essen, sie sieht blass aus", sagt der Kapitän beinah fürsorglich zu dem Muskelprotz.

„Auch für Kian", bringe ich unter zittriger Stimme hervor.

„Was ist das Mädchen?" Die Stimme des Kapitäns ist wieder feindseliger, aber nicht so wütend wie gerade, als er mit Beynon sprach.

„Kian, er braucht frische Kleidung und Essen. Wir bekommen immer nur Speisen für eine Person." Unklar wie ich in diesem Moment so rational denken kann, aber es ist womöglich meine letzte Chance nachzufragen. Es ist vielleicht banal nach Essen und Kleidung zu fragen, wenn wir in Zellen eingesperrt sind, aber in dem Moment ist es das einzige Problem, dass ich lösen kann. Er schaute mich kurz prüfend an und dann zum Muskelprotz.

„Sorg dafür", sagt er kurz und verschwindet in die Richtung, in die Beynon gelaufen ist. Der Muskelprotz kommt wieder auf mich zu und packt mich am Arm. Als ich von seiner Berührung zurückschrecke, lässt er mich wieder los. Er muss meine schmerzerfüllten Schreie gehört haben und ich sehe so etwas wie Mitleid in seinen Augen aufblitzen.

„Ich kann selbst laufen", schnaufe ich wütend und trete aus der Tür. Froh, dass er mich tatsächlich nicht am Arm hält, gehe ich den Weg entlang, den ich bereits mehrere Male entlang gezerrt wurde. Dieses Mal versuche ich jedes Detail gedanklich zu notieren. Vielleicht gibt es noch eine Chance von diesem Schiff zu entkommen. Es kann nicht schaden sich einen groben Lageplan zu machen. Wieder werde ich in meine Zelle gebracht, nicht gestoßen wie die letzten Male.

„Emmelin", höre ich Kians erleichterte Stimme. „Geht es dir gut?"

„Keine Sorge, alles gut." Ich spritze mir etwas von dem Wasser ins Gesicht, um meine Tränen zu verhüllen und setzte ein Lächeln auf. Mein blasses Gesicht, von dem Schock als Beynon mir das Messer über den Arm gezogen hat, bleibt nicht unentdeckt und Kian fordert eine detaillierte Erklärung. Widerwillig erzähle ich ihm was vorgefallen ist, lasse den Teil weg, an dem Beynon, Kian drohte und somit mich unter Kontrolle hatte. Danach berichte ich noch schnell was ich in dem Logbuch gelesen habe, bevor wir gemeinsam weiter lesen.

„Als am zweiten Abend plötzlich eine vermummte Person im Thronsaal auftauchte ... - Kein Spiel, ein Handel - entgegnete der Mann, meinem Vater nun ernster."

Plötzlich wird die Türe aufgerissen und im Handumdrehen verstecken wir das Buch unter der Decke. Der Muskelprotz hat unser Tun nicht gesehen und kommt in den Raum. Zum ersten Mal stellt er das Essen in dieser Zelle ab. Neben zwei Tellern mit dem Mittagessen und einem neuen Eimer Wasser auch einen Stapel Kleidung. Kurz mustert er uns. Sein Blick bleibt etwas länger an mir hängen. Er scheint zu prüfen, ob es mir wieder besser geht. Ich werfe ihm einen bösen Blick entgegen und sein Blick wendet sich von mir ab. Er schließt die Türe und verschwindet.

Ich helfe Kian in das neue Hemd, da er seine Arme kaum über den Kopf bringen kann. Sein durchtrainierter Oberkörper ist von mehreren Hämatomen übersät und bietet ein schreckliches Bild. Vorsichtig streiche ich über die Blessuren, die wärmer, als die restliche Haut ist. Eine Gänsehaut zieht sich über seinen Körper.

„Es ist nicht so schlimm wie es aussieht", kommentiert er meinen erschrockenen Blick.

„Ist nur Make-up, oder?", entgegne ich genervt, weil mir sein Überspielen der Wunden missfällt. Das bringt ihn zum Lachen, das er schnell wieder beendet, als ihn die Schmerzen durchziehen. Nachdem ich Kian bitte sich von mir abzudrehen, streife ich mein zerrissenes Hemd von mir. Stocke in meiner Bewegung, als ich das Hemd über meinen rechten Arm ziehe.

„Kian", schreie ich erschrocken und er dreht sich abrupt zu mir. Als er seinen Blick schnell wieder abwendet, wird mir bewusst, dass ich nur Unterwäsche trage. Schnell ziehe ich das neue Hemd über und schiebe den rechten Ärmel hoch.

„Kian siehst du das?" Entgeistert strecke ich ihm meinen Arm entgegen. Das blaue Zeichen leuchtet immer noch vor sich hin und inzwischen kann ich bestätigen, dass sich der Balken darum jeden Tag ein bisschen verlängert.

„Emmelin, da ist nichts. Ich kann es immer noch nichts sehen. Da ist einfach nichts", sagt er frustriert.

„Kian da ist NICHTS!", schreie ich verzweifelt und er schaut erneut auf meinen Arm. Plötzlich versteht er was ich meine, reißt die Augen auf und streicht über meine Haut.

„Da ist nichts", sagt auch er. „Wo sind die Verbrennungen hin?" Tatsächlich zieren keine Narben meinen Arm mehr, nur noch reine Haut ohne einen Kratzer.

„Was geht hier vor?", will ich verwirrt wissen. Da uns einfach keine plausible Erklärung einfällt, beschließen wir uns wieder dem Buch zu widmen, das hoffentlich Antworten enthält. Wir lesen wieder weiter verwirrt was vor sich geht.

„-Kein Spiel, ein Handel - ... Meine Schwester zerfiel zu Staub. Arabella war verschwunden und was blieb war Staub. Nichts außer Staub." Ich stocke kurz vom vorlesen und Kian schaut mich verwundert an. Arabella, den Namen habe ich schon einmal gehört. Ich muss schwer schlucken.

„Arabella", sage ich schockiert. Verwirrt blickt mich Kian an. „Arabella, das war der erste Name, den ich damals gehört habe. Als ich die Kugel deines Vaters gehalten habe. Kann es sein, dass es dieselbe ist? Glaubst du, dass etwas an der Geschichte dran ist?"

„Ich weiß nicht, ob das Buch die Wahrheit sagt. Ich habe selbst noch nie von irgendetwas darin gehört. Außer natürlich die Entstehung von Merah. Für mich hört sich das an wie eine Schauergeschichte für Kinder. Aber mein Vater hat es versteckt gehalten und dafür muss es einen Grund geben. Für mich hört sich das verdächtig nach der zweiten Auslese an", sagt Kian ruhig und nimmt das Buch an sich und setzt das Vorlesen fort.

„... Ich werde versuchen erneut einen Blick auf sie zu erhaschen, denn ich spüre, dass sie die Antworten enthalten." Kian stoppt und blickt starr auf die Seiten.

„Wieso hast du aufgehört?", will ich verwirrt wissen.

„Das ist alles. Hier steht sonst nichts." Er blättert durch die restlichen Seiten und stoppt am Ende. „Warte, hier ist noch etwas. In verschiedenen Handschriften sind eine Reihe Mädchennamen gelistet. Arabella, Kathleen, Lavara ..."

„Zoey, Maya, Piyumi, Nadira", unterbreche ich Kian.

„Ja. Woher weißt du das?" Er schließt das Buch und blickt zu mir auf.

„Das sind die Namen, die ich gehört habe, vor den Schmerzen, als ich das blauen Glasding deines Vaters in der Hand hatte. Was hat das zu bedeuten, Kian?" Mein Puls ist wieder angestiegen und ein leichtes Zittern ist in meiner Stimme zu hören.

Für eine Weile versuchen wir aus dem gelesenen schlau zu werden. Aber es wirft noch mehr Fragen auf. Wir begutachten die leeren Seiten auf versteckte Nachrichten, doch sie bleiben leer.

Die Flucht (Merahs Fluch 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt