Kapitel 12a

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Die Nacht quält mich mit unzähligen Albträumen, die mich aus dem Schlaf reißen. Kian bleibt die ganze Nacht wach, hält mich in seinem Arm und beruhigte mich jedes Mal, wenn ich wieder aus dem Schlaf schrecke. Auf seiner Brust mit dem Arm um mich gelegt, gelingt es mir wieder Luft zu bekommen. Ich lausche seinem Herzschlag. Versuche mich zu beruhigen. Immer wieder muss ich mich daran erinnern, dass es Kians Herz ist, dem ich lausche. Seine Atmung geht inzwischen regelmäßig. Er muss endlich eingeschlafen sein. Die ersten Sonnenstrahlen fallen durch das Fenster. Doch es muss noch früh am Morgen sein. Ich traue mich nicht, mich zu bewegen aus Angst Kian zu wecken.

Jedes Mal, wenn ich meine Augen schließe, sehe ich die himmelblauen von Jayden. Im nächsten Moment sehe ich seinen leblosen Körper, weshalb ich versuche meine Lider offenzuhalten. Ich rufe mir schöne Erinnerung in Gedanken, um die dunklen zu verdrängen. Rosalee, Kalea, Micah, Willy, all ihre Gesichter blitzen vor mir auf. Der Nebel der Trauer löst sich ein wenig. Genug um meinen Herzschlag zu normalisieren. Kians linke Hand streicht mir liebevoll wilde Strähne hinters Ohr. Sanft streicht er mir übers Haar. Eine Geste die auch mein Vater getan hat, um mich in den Schlaf zu wiegen.

„Guten Morgen", wispert er leise und seiner Stimme gelingt es den letzten Nebel von mir zu vertreiben.

„Guten Morgen." Meine Stimme ist noch etwas heiser und kratzig. Mit seinem rechten Arm drückt er mich noch ein bisschen näher an sich. Tief atme ich seinen beruhigenden Duft ein.

„Möchtest du darüber sprechen?" Der erste komplette Satz in den letzten drei Wochen. Doch ich kann mich nicht richtig freuen. Ich schüttele meinen Kopf. Für eine ganze Weile bleiben wir schweigend in der Position. Die Stunden scheinen die Wunden meines Verstandes zu beruhigen und mir gelingt es wieder zu meinem alten Ich, dem Ich vor dem gestrigen Kuss mit Leander.

Mühevoll kämpfe ich mich aus dem Bett. Kurz betrachtet mich Kian besorgt, doch ich schenke ihm ein Lächeln. Um ihm zu verstehen zu geben, dass es mir wieder besser geht. Ich trage immer noch das Kleid von gestern. Mit langsamen Schritten schreite ich in das Badezimmer. Vorsichtig streife ich es von mir und stelle mich unter die Dusche. Mein Blick bleibt kurz an dem blauen Symbol auf meiner Haut hängen. „Ebevie consiquegt allea nym dinich", lese ich die Worte laut vor.

Das warme Wasser löst die letzten Reste der Trauer, der dunklen Erinnerung und richtet meinen Fokus wieder auf meinen Plan, einen Weg aus dieser Misere zu finden. Mit neuer Kraft und Willen trete ich zurück ins Zimmer. Minerva und Zoya strahlen mir höflich entgegen. Kian muss sie hineingelassen habe, während ich geduscht habe. Still lasse ich mich auf dem Stuhl vor dem Schminktisch nieder. Ein Gefühl von Normalität und Routine erfüllt mich.

Wie die anderen Tage sehe ich wunderschön aus. Ich beschließe mich nicht von dem gestrigen Tag ablenken zu lassen und setzte ein Lächeln auf. Es ist nicht so ehrlich wie die letzten Tage, aber es würde sogar mich überzeugen. Tief atme ich ein und aus bevor ich in den Essenssaal trete. Zu meiner Überraschung sitzen nur Beynon, meine Mutter und Willy am Tisch. Erleichtert atme ich auf. Leanders Abwesenheit wird es mir leichter machen. Doch gerade als ich mich setze, geht die Türe auf und Leander tritt an den Tisch. Ein leichter Schauer überkommt meinen Körper. Um nicht wieder in mir zusammenzubrechen, vermeide ich den Blickkontakt zu ihm. Ich spüre seinen Blick auf mir, aber noch bin ich nicht bereit ihm zu entgegnen. Die Stille fühlt sich heute bedrückend an und ich bin froh als Beynon sie bricht.

„Emmelin, ich wollte mich noch einmal wegen gestern entschuldigen." Kurz glaube ich, er meint den Vorfall mit Leander. Auch höhere ich besagten Thronerben scharf einatmen. Dann wird mir bewusst, dass er von seinem abrupten Abgang spricht.

„Es ist schon okay, Beynon." Beruhige ich ihn und schenke ihm ein liebevolles Lächeln. „Ich wollte dich noch einmal fragen wegen der Bibliothek." Mir ist eingefallen, dass er mir noch keine Antwort gegeben hat. Meine Gedanken könnten eine Ablenkung gebrauchen.

„Oh ja, ich habe dir ganz vergessen zu sagen, dass es kein Problem ist", verkündet er mir freudig. Ich weiß nicht weshalb mein Blick zu Leander geht, aber mein Strahlen schwindet auch nicht als meine Augen seine treffen. Ich meine Reue, Sorge, Trauer und das Verlangen nach Vergebung in seinen Augen zu sehen, aber es kann auch mein Unterbewusstsein sein, das hofft diese Dinge zu sehen. Mein Blick bleibt noch kurz an ihm hängen und geht zurück zu Beynon. Der jetzt seinen Bruder mustert. Als er Beynons Blick bemerkt, wird seine Miene wieder neutral mit einem beinah triumphierenden Lächeln. Verwirrt sieht mich Beynon an, doch ich lächle ihm einfach entgegen.

Nach dem Essen bringt mich Beynon in die große Bücherei. Sie ist hat einen Bruchteil der Größe im Vergleich zu der in Merah, aber trotzdem ist sie faszinierend. Die nächsten Stunden verbringe ich mit unendlichen Buchrückenlesen und Bücher durchblättern. Die Wachmänner, die mich misstrauisch beobachten, ignoriere ich. Viele der Bücher gleichen denen in Merah. Interessant, aber nicht von belangen. Historische Aufzeichnungen über Evrem scheint es hier keine zu geben. Ich finde lediglich einen Atlas und die königliche Ahnenlinie, die die ganzen Könige der letzten Jahre listet. Nichts scheint von belangen. Aber ich habe erst die Hälfte der Bücher betrachtet und gebe die Hoffnung nicht auf. Ein paar der Bücher lege ich mir beiseite, um nicht zu sehr aufzufallen, wonach ich in Wirklichkeit suche. Wer weiß was die Wachen sonst noch berichten.

Gegen Mittag bringen sie mich wieder in den Essenssaal. Etwas bedrückt lasse ich mich auf meinen Platz fallen. Ich bemerke zuerst nicht, dass außer Leander noch keiner da ist.

„Emmelin?" Leanders Stimme lässt mich hochfahren und ich bemerke die Abwesenheit der anderen. Tief atme ich ein und aus und blicke ihm direkt in die Augen.

„Das gestern, tut mir leid. Ich wollte ..." Ich sehe ihm sein unwohl an, doch bin nicht in der Lage oder der Gemütsstimmung ihn zu beruhigen. „Ich wollte dich nicht so überrumpeln. Ich wurde einfach von dem Moment kontrolliert. Es tut mir leid." Seine Worte sind so ehrlich, so flehend und wenn ich genau darüber nachdenke, trifft ihn keine Schuld. Ich war es die den Kuss erwiderte.

Natürlich küsste ich in Gedanken Jayden, aber das konnte er nicht wissen. Ich kann nicht verstehen was für eine Kraft die beiden Brüder über mich haben, dass ich ihnen immer wieder verzeihen will. So sehr ich mich dagegen sträube, beharrt mein Verstand darauf. Dabei sind sie Teil meiner Peiniger, teil der Menschen, die mich gefangen halten, meine Mutter entführten und meinen Bruder. Leander scheint genau die Person zu sein, die ich im Moment brauche und Beynons Aufrichtigkeit lässt mich ihn in einem neuen Blickwinkel sehen. In Gedanken überdenke ich Leanders Worte, obwohl ich meine Entscheidung schon getroffen habe.

„Es war nicht deine Schuld", sage ich leise, doch er hört es trotzdem. Seine Miene hellt auf, und er schenkt mir ein Lächeln.

„Hast du Lust heute Abend..." Bevor er seine Frage beendet, tritt Beynon ein und mustert uns streng.

„Heute früh wollte ich nichts sagen. Aber erklärt mir was zwischen euch los ist", sagt er streng an seinen Bruder gerichtet und das Missfallen in seiner Stimme bleibt nicht unentdeckt.

„Ach, Brüderchen. Du denkst mal wieder zu viel. Nichts ist zwischen uns. Ich war nur gerade dabei Emmelin zu fragen, ob sie Lust hat heute Abend wieder in den Garten zu gehen. Das ist alles." Leander hat wieder dieses spitzbübische Lächeln aufgesetzt und ich sehe den Drang seinen Bruder zu reizen darin. Seine Augen haben wieder dieses Glitzern, das sie nur bekommen, wenn er mit seinem Bruder spricht. Es ist beinah herausfordernd und provokativ. Ungläubig sieht Beynon zu mir. Mit der Ausrede, dass ich vom ganzen Lesen, zu müde bin, schaffe ich es mich aus der Verabredung herauszureden. Trotzdem lässt sich es Beynon nicht nehmen mich aufs Zimmer zurückzubringen.

Die Flucht (Merahs Fluch 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt