007 BUCH FÜNF - Ladon

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Der Winter hielt nun endgültig Einzug. Dicke Schneeflocken fielen vom Himmel, tanzten im Wind umher, ehe sie auf die Erde fielen.

Meine Suche nach einem Seemann, der mich aufs Festland bringen könnte, wurde dadurch deutlich erschwert.

In der Taverne hatte ich mir einige vage Angebote einholen können, doch durch den endgültigen Wintereinbruch verloren sie alle an Gültigkeit. Den Seemännern war das Winterwetter nicht geheuer.

Heute aber hielt mich etwas ganz anderes davon ab, über meine schwindenden Möglichkeiten zur Überfahrt nachzudenken.

Es war Neumond und mein Blut schien heißer denn je. Vielleicht lag es aber auch nur an dem sehr kalten Winterwetter, das hier an der Küste viel kälter war als ich es von Gorian gewöhnt war.

Lyr bemerkte meinen Zustand bereits am Morgen. Als ich aufwachte, stand er neben meinem Bett, eine Hand an meinen Arm gelegt.

"Was machst du da?", fragte ich noch etwas schlaftrunken.

"Dein Feuer ist stark", antwortete er, nahm dann die Hand wieder von meinem Arm.

"Heute Nacht ist Neumond. Ich weiß nicht, ob dir bewusst ist, was das bedeutet."

"Das weiß ich", seufzte Lyr.

Ich nickte, stand dann auf und streckte mich ausgiebig. Dabei dachte ich an Cieran. Schon eine Weile hatte ich ihm keine Botschaft mehr über unser Band geschickt, obwohl ich es jeden Tag spürte.

"Bei Neumond verwandle ich mich und...naja. Ich bin praktisch unzähmbar. Nicht einmal Cieran hat es geschafft, mich zu besänftigen, als er einmal meiner Verwandlung beiwohnte."

"Das Feuer der Drachen... Unzähmbar, wenn es heller lodert als die Sonne."

"Es ist nicht immer einfach", entgegnete ich nur und der Elf nickte verstehend.

"Vielleicht kann ich dir helfen", meinte er dann und hielt ein Fläschchen mit einer dunkelgrünen Flüssigkeit hoch.

"Wie meinst du das?"

"Das hier ist ein starkes Schlafmittel. Es könnte dafür sorgen, dass du die Nacht über schläfst, statt...nun ja, du weißt schon."

Ich nahm das Fläschchen aus seiner Hand und betrachtete die Flüssigkeit darin.

"Du glaubst, das funktioniert?"

"Sicher bin ich mir nicht, aber einen Versuch wäre es wert, meinst du nicht?"

Noch einmal betrachtete ich das Fläschchen und schüttelte dann den Kopf.

"Das wird nicht klappen. Ein paar Kräuterchen können keinen Drachen zähmen."

Lyr nahm mir das Fläschchen wieder aus der Hand und sah mich mit einem verschwörerischen Grinsen an.

"Wer sagt denn, dass da nur gewöhnliche Kräuter drin sind?"

Ich brauchte einen Moment, um zu begreifen, was er damit meinte. Offenbar war ich doch noch nicht ganz wach.

"Ich weiß nicht, Lyr. Du magst mir zwar helfen wollen, aber dennoch ist mir Elfenmagie nicht ganz geheuer."

"Ich verstehe. Denk nochmal drüber nach, in Ordnung?"

Ich nickte, setzte mich dann an den Tisch, auf dem eine Schale mit Nüssen stand, bei denen ich mich bediente.

Als es auf Nachmittag zuging, verließ ich die Hütte, Schneeflocken wirbelten mir entgegen. Lyr wollte mir eine Höhle nicht weit von der Hütte entfernt zeigen, in der ich mich verwandeln konnte.

Als ich ihn entdeckte, stand er am Strand und sah gedankenverloren über das Meer. Ich blieb stehen, betrachtete die Szene.

Für einen Moment sah ich Cieran vor mir, hatte er doch auch oft in die Ferne gestarrt, gedanklich in seiner ganz eigenen Welt. Und ich hatte ihn stets dabei beobachtet, seine entspannten Züge und das verträumte Funkeln seiner wundervollen Augen bewundert.

"Du liebst ihn, nicht wahr?"

Ich schwieg, noch immer unsicher, ob ich Lyr in diesem Punkt wirklich vertrauen konnte.

"Keine Sorge, ich werd' es schon nicht in der Welt herumschreien. Am Ende sollte doch jeder einfach den lieben können, den er will. Bei uns war das nicht ungewöhnlich."

Überrascht lachte ich auf, war auf seine Offenheit überhaupt nicht vorbereitet.

"Jetzt komm, die Höhle ist gleich da hinten."

Wir gingen über den Strand, Schneeflocken verfingen sich in unserem Haar. Und schließlich standen wir vor einem schmalen Felsspalt, durch den wir uns hindurchzwängten, nur um dann in einem großen Höhlenraum zu stehen.

"Groß genug müsste sie sein", meinte ich, nachdem ich mich in dem dämmerigen Licht umgesehen hatte. Dann legte ich meine Hände an den kühlen Stein neben dem Felsspalt. "Aber ob die Wände stark genug sind, um meinem Feuer längere Zeit ausgesetzt zu sein, bezweifle ich."

"Wenn du schläfst, hätten wir dieses Problem nicht."

Ich strich nachdenklich über den dunklen Stein. Lyr hatte wahrscheinlich recht, aber wir wussten beide nicht, wie die Elfenmagie bei mir wirken würde. Ob sie überhaupt wirken würde.

Andererseits konnten wir das nur herausfinden, indem wir es ausprobierten.

"Ich weiß. Und ich habe über dein Angebot nachgedacht, Lyr."

Der Elf sah mich abwartend an.

"Wir können zwar nicht wissen, ob dein Trank überhaupt wirkt, aber einen Versuch ist es wert, denke ich."

-

Am nächsten Tag wachte ich in der Höhle auf, nackt und frierend. Ich wusste nichts mehr von der vergangenen Nacht, wie jedes Mal nach Neumond.

Aber trotzdem war etwas anders.

Meine Knochen und Muskeln schmerzten von der Verwandlung, aber ich fühlte mich dennoch nicht so erschöpft wie üblich.

"Ladon?"

Lyr's Stimme kam von draußen. Ich setzte mich auf, zog die Beine an meinen Körper um mich notdürftig zu wärmen.

"Komm rein."

Der Elf betrat die Höhle, Schneeflocken hatten sich in seinen dunkelblonden Locken verfangen. In den Händen hielt er Klamotten für mich.

"Wie geht's dir?"

"Ganz gut. Erstaunlicherweise. Wie...wie war die Nacht?"

"Ich habe kaum etwas gehört. Und das, obwohl ich die hier habe."

Lyr deutete mit einen leichten Grinsen auf seine spitzen Elfenohren.

"Das heißt, es hat gewirkt, oder?"

Lyr nickte.

"Das heißt, es hat gewirkt."

Legenden von Patria - Der Baum der GötterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt