036 BUCH SECHS - Ladon

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Ich rannte und rannte, wusste nicht wohin. Meine Sicht war verschleiert von Tränen. Meine Beine trugen mich in die Höhlen, immer weiter und tiefer in die Dunkelheit, wahrscheinlich würde ich selbst gar nicht mehr herausfinden.

Als ich den unterirdischen Fluss erreichte, blieb ich stehen und sah mich das erste Mal wieder richtig um.

Es war keine mir bekannte Stelle der Höhlen. Die Kristalle in den Wänden und im Flussbett verströmten ein bläuliches Schimmern, ansonsten gab es keine Lichtquelle.

Eigentlich war dieser Ort wunderschön, doch ich war zu aufgewühlt, um seine Schönheit jetzt zu bewundern. Für mich war er gerade nur eine der vielen Orte in den Höhlen, in der Dyana meine tote Mutter gefunden hatte.

Mir wurde beinahe schlecht bei dem Gedanken daran, wie sie gestorben war. Aber gleichzeitig schürte es unbändige Wut in meiner Seele.

Mein Blut brodelte, glühender Hass schürte das Drachenfeuer. Hass auf Cystenian, weil er meiner Mutter etwas so schreckliches angetan hatte. Weil er sie von mir gerissen hatte.

Ich rannte weiter, hoffte, durch die Anstrengung eine Verwandlung verhindern zu können.

Wenn der Drache jetzt ausbrach, wäre er voller Wut und Hass - unzähmbar, auch für Cieran.

Tief in die Berge war ich inzwischen vorgedrungen, ich bemerkte es an der stickigen Luft und dem schwächer werdenden Licht der Kristalle in den Höhlenwänden.

Das Rasseln einer Eisenkette, als ich darauf trat, ließ mich stoppen. Das Echo des Geräuschs hallte durch die Höhle, in der ich stand.

Ich blinzelte den Tränenschleier aus meinen Augen, machte mir jedoch nicht die Mühe, meine Wangen zu trocknen. Weinen würde ich heute wahrscheinlich noch hundert Mal.

Auf dem Boden lagen Eisenketten, lang genug, um einen Drachen, der deutlich größer war als ich, damit zu fesseln. Stark genug war Eisen jedoch nicht, um einen Drachen zurückzuhalten. Spätestens unserem Feuer würden sie zum Opfer fallen.

Unter einigen der Ketten sah ich Krallenspuren auf dem Steinboden, an Teilen der Wände klebte tiefschwarzer Ruß, verdunkelte einige der Kristalle.

In keiner der anderen Höhlen, soweit ich sie wahrgenommen hatte, waren solche Spuren zu finden. Hier sah es fast so aus, als hätte ein Kampf stattgefunden.

Ich hob eine der Eisenketten auf, folgte ihr in die Mitte der Höhle. Während ich die Hand über die Kette gleiten ließ, sah ich noch einmal zu den verrußten Wänden.

Doch dann spürte ich etwas an der Kette und wandte meinen Blick wieder dorthin. Das glatte Eisen schien mit der Zeit wohl gerostet zu sein, das glänzende Grau war rötlich gesprenkelt.

Einen Augenblick später warf ich die Eisenkette jedoch von mir als hätte ich mich daran verbrannt. Ich war dem vermeintlichen Rost mit den Augen weiter in die Mitte der Höhle gefolgt.

Dort sah ich ebenfalls eine Stelle in derselben rötlichen Verfärbung, nur lag dort keine rostige Eisenkette.

Mir zog ein eiskalter Schauer über den Rücken. Blut! Auf dem Boden war eine große Lache von getrocknetem Blut. Daher auch der metallische Geruch, den ich zuvor den Eisenketten zugeschrieben hatte.

Sofort warf ich die Kette von mir, starrte auf meine Hand, an der ein klein wenig des getrockneten Blutes von der Kette hängen geblieben war.

Ein Drache war hier gestorben. Die Größe der Blutlache ließ kein Zweifel daran. Und die Eisenketten, ebenfalls mit Blut beschmiert, waren dazu genutzt worden, den toten Drachen aufzuhängen.

Ich stieß einen Schrei aus, als ich begriff, was für ein Ort das war.

Hier war meine Mutter gestorben. Hier hatte Cystenian sie gefoltert und getötet und anschließend ihren Leichnam geschändet.

Zuerst brach ich zusammen, schluchzte unkontrolliert.

Dann aber packte mich erneut der Zorn. Ich begann, an den Ketten zu reißen, bis sie aus ihren Halterungen sprangen.

Als das getan war, war mein Zorn aber noch lange nicht verraucht.

Lange war ich dort unten, riss schließlich die Kristalle aus den Wänden, Wut und Trauer verliehen mir eine unbändige Kraft, wie ich sie nie vorher gekannt hatte. Dennoch verwandelte ich mich nicht.

Schließlich saß ich in völliger Dunkelheit dort und weinte bitterlich.

Legenden von Patria - Der Baum der GötterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt